„Für mich sind das nicht nur Statistiken“
Janet Yellen hat über Arbeitslosigkeit geforscht – „Mrs. Fed“gilt als Vollblutökonomin
Wer weiß, vielleicht beginnt es mit einer kleinen Revolution, einer Änderung verstaubter Statuten der Notenbank. Wenn Janet Yellen ihr neues Amt antritt – immer vorausgesetzt, die skeptischen Republikaner des Senats blockieren die Personalie nicht, bevor sie im Februar ins Chefzimmer des Marmorpalasts an der Constitution Avenue in Washington zieht – wird eine semantische Frage zu klären sein.
Nach dem Federal Reserve Act von 1913 ist es ein Chairman, maskulin, der den Gouverneursrat der Zentralbank leitet. Von einer Chairwoman, feminin, steht nichts in dem Gesetz, zu fern lag damals allein der Gedanke an eine weibliche Vorsitzende. Yellen schreibt also Geschichte, wenn sie als erste Frau die Füh- rung der Fed übernimmt. Doch so laut dröhnte der Paukenschlag schon gar nicht mehr, als Barack Obama die Ernennung durchsickern ließ. Erstens waren es zuletzt meistens Frauen, die der Präsident auf wichtige Posten beförderte, erst im Juni Susan Rice und Samantha Power, Sicherheitsberaterin beziehungsweise UN-Botschafterin. Zweitens ist Yellen längst die „Mrs. Fed“, mit den Feinheiten der Notenbank besser vertraut als viele männliche Kollegen.
Umringt von Nobelpreisen
Bereits 1977 fing sie dort an, in der Abteilung Internationale Finanzen. Da galt sie als Musterschülerin des Nobelpreisträgers James Tobin, unter dessen Obhut sie in Yale ihre Doktorarbeit geschrieben hatte. Tobin, der Denkschule des Briten John Maynard Keynes zuzurechnen, vertrat dezidiert die Auffassung, dass der Staat durch aktives Eingreifen eine Rezession abfedern kann und muss, statt die Kräfte des freien Marktes ungezügelt wirken zu lassen. Auch Yellen verstand sich stets als Keynesianerin, was ihren Ruf als fiskalpolitische Taube begründet. Den Auftrag der Fed, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, nimmt sie mindestens so ernst wie die Kontrolle der Inflation, die bei den Falken an erster Stelle rangiert. „Für mich sind das nicht nur Statistiken“, sagte die 67-Jährige in einer Rede im Februar. „Es ist ein hoher Preis, den Arbeitslose und ihre Familien für diesen enttäuschend langsamen Aufschwung zu zahlen haben.“
Ihren Ehemann, den Ökonomen George Akerlof, lernte Yellen übrigens auch in der Fed kennen, in der Kantine. „Nicht nur, dass unsere Persönlichkeiten perfekt zueinanderpassten, auch auf dem Feld der Makroökonomie befanden wir uns in perfekter Übereinstimmung“, kalauerte Akerlof in einem Essay, den er verfasste, als er den Nobelpreis gewann. „Der einzige Unterschied ist der, dass sie den Freihandel ein bisschen mehr unterstützt, als ich es tue.“
Vor ihrer Premiere bei der Zentralbank arbeitete Yellen, von 1971 bis 1976, als Dozentin an der elitären Harvard University. Ab 1978 lehrte sie für zwei Jahre an der London School of Economics, ehe sie an die kalifornische Universität Berkeley wechselte. 1994 wurde sie in den Gouverneursrat der Notenbank berufen, drei Jahre darauf holte sie Bill Clinton als Chefin seines Wirtschaftsberaterteams ins Weiße Haus. Von 2004 bis 2010 leitete die gebürtige New Yorkerin die Außenstelle der Federal Reserve in San Francisco, zuständig für eine Region, mit der sich – Stichwort Silicon Valley – bis heute amerikanischer Zukunftsglaube verbindet. Seit Oktober 2010 ist sie Stellvertreterin des Notenbankchefs Ben Bernanke, dessen lockere Geldpolitik im Zuge der Finanzkrise sie mittrug und mitformulierte. Falls Bernanke die Weichen nicht noch selber stellt, muss Yellen einer im Parteienstreit hin- und hergerissenen Öffentlichkeit erklären, ob und wann sie umzusteuern beginnt, wann sie die Konjunktur für stabil genug hält, um sie vom Tropf extremer Niedrigzinsen zu nehmen.
Vorschusslorbeeren bekommt sie jede Menge, nicht zuletzt von Ex-Finanzminister Larry Summers. Wäre es allein nach Obama gegangen, säße Summers demnächst hinterm Chefschreibtisch der Fed. Aber nachdem ihn linke Demokraten als zu Wall-Streetnah abgelehnt und demokratische Senatorinnen sein Machogehabe zum Thema gemacht hatten, warf der präsidiale Wunschkandidat im September das Handtuch. Zumindest gibt er sich jetzt als guter Verlierer. Er habe viel von Yellen gelernt, lässt Summers wissen, schon als sie 1976 seine erste Makroökonomie-Klasse unterrichtete.