„Damit man Babynahrung aufwärmen kann“
Die massenhaften Zwangsräumungen in Spanien werden zum lukrativen Geschäftszweig. Wo engagierte Bürger mit Protesten Delogierungen nicht verhindern, kauft Mariano Nova Inventar im Paket zum Pauschalpreis.
Mariano Nova (63) aus Parla bei Madrid hat eine lukrative Marktlücke entdeckt. Er kauft Menschen ihre Wohnungseinrichtung ab, denen eine Zwangsräumung bevorsteht. Allein in den letzten zwei Tagen haben ihn zehn Familien kontaktiert, wie er auf Zettelchen fein säuberlich notiert hat.
Nova kauft die Ware „nur komplett, als Gesamtpaket“. Zu Preisen zwischen „200 und 500 Euro“, wie er sagt. Er nimmt alles mit, was sich im Leben der Überschuldeten so angesammelt hat. Altruistisch rät Nova seinen Kunden „im Internet zu verkaufen, was geht“und lässt für die letzte Nacht im Eigenheim noch die Matratze und im Fall der Fälle auch die Mikrowelle zurück: „Damit man die Babynahrung aufwärmen kann.“
Im Industriegebiet des 125.000 Einwohner zählenden Parla hat der findige Unternehmer, der selbst mit Plüschtier-Automaten haarscharf an der Pleite vorbei geschrammt ist, seit Sommer 2012 seinen Lagerhallen-Shop. Es findet sich alles, von der Küche über Kinderbetten bis zum Porzellanfigürchen. Schnäppchen gibt es ab zehn bis 30 Euro, böhmisches Kristallgeschirr im Set á 900 Euro. Auf mehr als 400 Quadratmetern, vollgeräumt mit knapp 100 krisenbedingten Hinterlassenschaften, fällt es einem schwer, sich zu bewegen. Kein Wunder, dass Nova, der sieben Angestellte beschäftigt, Expansionspläne schmiedet.
Der Krisen-Bazar ist exemplarisch. Rund 46.000 Zwangsräumungen fanden laut Gerichtsstatistiken allein 2012 statt. Knapp 125 pro Tag, wenngleich auch Leerstehendes gepfändet wird. Oft mehrmals täglich verhindert einzig die Zivilcourage der Aktivisten der „Plattform der Hypothekenopfer“(PAH), mit über Sozialnetzwerke organisierten Sitzstreiks, dass kinderreiche Familien oder schwer kranke Mindestpensionisten wegen säumiger Hypothekenkredite auf der Straße landen. Aber auch Lokalpolizei, Feuerwehr und selbst Schlosser verwei- gern ihre Dienste, wenn sie zu solchen Einsätzen gerufen werden.
Die PAH war es auch, die über ein Volksbegehren mit mehr als 1,5 Millionen Unterzeichnern die Rechtsregierung unter Mariano Rajoy zum Beschluss einer gesetzlichen Lösung drängte. Doch führte das „Anti-Delogierungsgesetz“Rajoys, das keinen der drei Eckpunkte aufgriff – Schuldtilgung durch Pfändung, Sozialmietwohnungen und sofortiger Stopp aller Räumungsklagen – kaum zu Linderung. Einzig eine zweijährige Schutzperiode für kinderreiche Familien und Menschen mit niedrigen Einkommen ist vage verankert. Verfassungsklagen seitens der Sozialisten und der PAH wurden vom Verfassungsgericht angenommen. Wer kein familiäres Auffangnetz hat, dem bleibt oft nur die Coralla-Bewegung als Rettungsring. Sie richtet sich als Hausbesetzer, meist ohne Strom-, Gas- und Wasseranschluss in einigen der abertausenden leerstehenden Wohnblöcken ein. Dabei berufen sie sich auf das Verfassungsrecht auf „würdiges Wohnen“. Bis man sie auch dort hinauswirft. Laut Moody’s wird es noch Jahre dauern bis mehr als eine Million nie bewohnter Immobilien veräußert werden dürften.
Andalusien dreht Spieß um
Mehr auf gesellschaftlichen Druck und nach Selbstmorden, denn freiwillig stoppten einige Banken Räumungsklagen. Andere erlaubten die komplette Schuldtilgung per Schlüsselübergabe. Oder sie verhandelten bestehende Kredite neu. Meist da sie ohnehin zu Vergünstigungen, was die meist exzessiv berechnete Bodenklausel betrifft, gesetzlich gezwungen waren.
Einen anderen Weg geht daher Andalusiens Regionalregierung, eine Koalition aus Sozialisten und Linken, mit ihrem Gesetz. Am Mittwoch in Kraft getreten, ließ es beim Internationalen Währungsfonds die Alarmglocken schrillen. Werden damit doch die Banken enteignet, wenn eine Zwangsräumung droht – und nicht die Wohnungseigentümer.