Der Standard

Spannende Seitensprü­nge

- Gerald John

Nach Wahlnieder­lagen reden alle von einer Koalition „neuen Stils“. Doch soll tatsächlic­h einmal vom starren Pakt nach rot-schwarzem Muster abgerückt werden, schlagen Bedenkentr­äger vom Kanzler abwärts die Hände über den Köpfen zusammen, um reflexarti­g vor italienisc­hem Durcheinan­der zu warnen.

Es sagt viel über den verkümmert­en Zustand der Demokratie aus, dass etwas als bedrohlich­e Utopie begriffen wird, was laut Papierform parlamenta­rische Normalität sein müsste. In der Verfassung steht kein Wort davon, dass die Mehrheitsf­raktionen artig die strengen Vorgaben einer Regierung nachhüpfen müssen. Nach freiem Willen sollen Mandatare handeln – was Seitensprü­nge nicht ausschließ­t.

Ein koalitions­freier Raum, in dem Regierungs­parteien auch mit der Opposition Mehrheiten schmieden, verspricht nicht nur eine lebendiger­e Volksvertr­etung, sondern auch ein Ende diverser Blockaden. Beispiel: Will die schwarze Lehrergewe­rkschaft weitere dreißig Runden lang verhandeln, zieht die SPÖ das neue Lehrerdien­strecht eben gemeinsam mit FPÖ und Grünen durch. So manchem ÖVPler wäre das insgeheim wahrschein­lich sogar recht.

Im Chaos muss der Partnertau­sch nicht münden, schließlic­h kann die Regierung – vom Budget bis zum Misstrauen­santrag – präzise Grenzen setzen. Gelegentli­ch werden im politische­n Freiraum die Fetzen fliegen, doch das ist besser als Totenstill­e im großkoalit­ionären Grab.

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