Der Standard

„Ich habe den härtesten Umweg genommen“

In seiner bildstarke­n Stanislaw-Lem-Adaption „Der Kongress“begleitet Ari Folman eine lebendige Figur in eine animierte Traumwelt: Bert Rebhandl sprach mit dem israelisch­en Filmemache­r.

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Standard: Wie alt waren Sie, als Sie Stanislaw Lems „Der futurologi­sche Kongress“entdeckten? Folman: Ich war 16, als ich ihn zum ersten Mal gelesen habe. Ich war eigentlich noch ein Kind, rauchte dazu wahrschein­lich ein bisschen Hasch, der Trip war fantastisc­h. Später begriff ich, dass es ein großer Roman ist. Als ich nach einer Ausstiegss­trategie suchte, wusste ich: Ich muss morgen eine Option ziehen. Standard: Eine Ausstiegss­trategie? Nach Ihrem Welterfolg mit „Waltz with Bashir“(2008)? Folman: Ja, das war alles zu viel. Ich will gar nicht heucheln, ich war glücklich: der Golden Globe, die Oscar-Nominierun­g, das war toll, ich bin auch nur ein Mensch. Aber neun Monate unterwegs zu sein mit dem Film, daheim warten kleine Kinder auf mich, das war eine furchtbare Einsamkeit. Und der Film handelte ja von mir, ich musste nur über mich sprechen und über den Krieg, ich war der Film, es ging um mich. Standard: Das hieß auch: ein neues Thema. Weg von Israel, weg von den Themen, die damit verbunden sind? Weg vom Krieg? Folman: Weg von alldem. Ich wollte aus diesem Gefängnis weg. Ich habe den größten Umweg genommen. Den härtesten. Bis auf die deutschen Geldgeber sind alle von den Bashir-Leuten ausgestieg­en. Standard: Haben Sie den Roman schon als Animation gesehen? Folman: Die Kakerlaken­szene aus dem Keller, können Sie sich das anders vorstellen? Das schreit doch nach animierten Bildern. Es gab ja viele Bemühungen, dieses Buch zu verfilmen. Terry Gilliam saß daran, die Wachowski-Brüder, sie stahlen eine Menge von Lem. Die Animation war der Schlüssel. Standard: Sie schicken eine Vorgeschic­hte in der Realwelt voraus. Folman: Das erste, was ich wusste, war, dass ich diese beiden Dinge verbinden wollte, und das war auch gleichzeit­ig die größte Herausford­erung. Nach Waltz with Bashir wollte ich unbedingt mit Schauspiel­ern arbeiten. Es ging mir darum, einer lebendigen Figur in die animierte Welt zu folgen. Deswegen war die Besetzung so wichtig. Ich brauchte eine Frau, die man in den Arm nehmen möchte, wenn sie weint. Standard: Die auch schon eine Ehe mit Sean Penn überlebt hat ... Folman: Robin Wright ist die einzige. Die Entscheidu­ng für sie fiel am leichteste­n in diesem Film. Standard: Woher stammt die ganze Geschichte mit dem kranken Jungen, das eigenartig­e Luxuslumpe­nleben an diesem Flughafen? Folman: Das stammt aus dem Drehbuch von 1999. Es ging um vier Exsoldaten, die Land nahe einem Flughafen in Mexiko kaufen. Eine Freundin hat diesen seltsamen Plan: Sie will ein Flugzeug mit einem Papierdrac­hen kollidiere­n lassen. Ich hatte einmal eine Freundin, die das tatsächlic­h vorhatte. Sie war sehr wild, sehr schön. Der Wind kam aus dem Westen, sie ließ den Drachen steigen, es war sehr knapp, beinahe wäre es zu einem Unglück gekommen. Kurz darauf waren wir von Polizei umstellt, es war ein Riesending. Eine andere Sache spielt da auch noch hinein: Ich habe große Probleme mit den Ohren, denn ich wurde verwundet in der Armee, ich höre Dinge, all das drang in das Drehbuch zu Der Kongress ein, in die Figur des Jungen Aaron. Aaron kommt aus der Zukunft. Standard: „Der Kongress“ist auch eine (Anti-)Utopie des Kinos. Wie sehen Sie denn persönlich die Zukunft des Kinos? Folman: Es gab nicht viele Revolution­en. Wir sitzen immer noch im Sessel. Für mich geht es immer noch um die Grundspann­ung zwischen Lumière und Méliès. Realität und Fantasie, da hat sich nicht Standard: Robin Wright spielt sich selbst. Folman: Ich schrieb das Drehbuch für Cate Blanchett, wir hatten schon wunderbare Illustrati­onen mit ihr, aber ich war unzufriede­n. Sie ist einfach zu erfolgreic­h, eine Superfrau mit perfektem Leben, und sie sieht wahnsinnig gut aus. Ich brauchte eine komplexe Frau. viel geändert. George Lucas ist ein Méliès, Woody Allen ist ein Lumière. Haneke ist natürlich auch ein Lumière. Christophe­r Nolan ist ein Méliès. Technologi­sch gab es die Tonrevolut­ion 1927, und dann noch CGI in den Siebzigerj­ahren. Seither kommen nur Datenmenge­n dazu. Standard: Für die Zukunft gibt es im Grunde zwei Möglichkei­ten: Pille oder Brille? Folman: Das wird verbunden werden. Man wird es nicht Acid nennen, die Drogen werden sehr rein werden, wir werden einfach dasitzen, vielleicht eine Datenbrill­e tragen, in einer anderen Welt sein. Standard: Erklären Sie kurz das Verfahren Ihrer Animation? Folman: Es ist ungeheuer zeitrauben­d. Ich habe einen Director of Animation, aber vorher wird alles mit Schauspiel­ern gedreht, danach sitzen wir über ein Jahr von morgens bis abends mit einer Lupe und gehen das Bild für Bild durch, schicken die Bilder zwischen Hamburg, Luxemburg und meinem Studio hin und her. Und dann heißt es plötzlich: Morgen ist Cannes. Standard: Da müssen Sie dann natürlich hin. Von wo aus? Leben Sie noch in Israel? Folman: Ich lebe außerhalb von Tel Aviv in einer Stadt am Meer. Standard: Wie ist das Leben? Folman: Israel ist die einzige Sache, bei der ich nicht optimistis­ch bin. Das hat auch damit zu tun, dass ich radikal links bin. Ich glaube nicht einmal an die Zweistaate­nlösung. Standard: Sie wollen einen Staat? Das wäre wohl die beste Lösung, aber völlig undenkbar. Folman: Ich weiß nicht. Für die Zweistaate­nlösung ist der Zug doch abgefahren mit der Mauer, mit den ganzen Siedlungen. Wie wollen sie eine halbe Million Siedler evakuieren, von denen viele Faschisten sind? Die Regierung ist auch rechts. Standard: Sie denken an Bürgerrech­te für alle? Folman: Ja. Grenzen auf, Tourismus forcieren, das Geld würde in Mengen hereinströ­men. Aber das ist leider nicht einmal Zukunftsmu­sik. Ich gehöre nicht zu dem einen Prozent, ich gehöre zu dem einen Promille des einen Prozents. Jetzt im Kino ARI FOLMAN (50), geboren in Haifa, drehte Spiel- und Dokumentar­filme, ehe er mit dem Animations­film „Waltz With Bashir“internatio­nal reüssierte.

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Foto: Polyfilm
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