Für hohe Absätze und den genialen Führer
Nordkorea ist eine der verschlossensten Gesellschaften der Welt. Westliche Journalisten mag das Regime nicht, doch das Land will sich öffnen. Lokalaugenschein im Kuriositätenkabinett des Stalinismus.
„Ein Schritt vor und zwei zurück“– seit einem Jahr schaut das übergroße Konterfei Lenins am Kim-ilsung-Platz nicht mehr auf die jubelnden Werktätigen Pjöngjangs herab. Und doch ist der Titel seiner vor mehr als 100 Jahren veröffentlichten Streitschrift die wohl treffendste Beschreibung der derzeitigen Politik Nordkoreas. Derzeit geht es wohl gerade wieder vorwärts. Anders ist die Einladung an einen westlichen Korrespondenten zur Einweihung eines Hafenterminals und einer von Russen renovierten Bahnstrecke in Nordkorea nicht zu erklären.
Von Moskau nach Wladiwostok sind es acht Stunden Flug. Anschließend geht es reichlich Jetlag-geschädigt in der Nacht mit einem überheizten Sonderzug der russischen RZD weiter. Der Wagon, in dem die Journalisten untergebracht sind, ist dunkel. Doch die RZD beruhigt: Keine Sabotage, sondern bloß eine leere Batterie. Die Fahrt sei mit den nordkoreanischen Behörden abgestimmt; Licht und Lüftung würden angehen, sobald sich der Zug in Bewegung setze. Zumindest mit dem Licht haben die Eisenbahner recht. Stickig bleibt es weiterhin.
Andererseits ist das vielleicht auch gut so: Die dicke Luft wirkt benebelnd. Würde jemand mit klarem Kopf nach Nordkorea fahren wollen? Klassisches Urlaubsland ist die Diktatur am Ufer des Japanischen Meeres jedenfalls nicht. Aber das hat seinen Reiz. Bilder marschierender Soldaten, stürzender Raketen und jubelnder Massen gingen um die Welt, in Realität erlebt hat kaum ein westlicher Korrespondent das Kuriositätenkabinett des Stalinismus.
„Brücke der Freundschaft“
Und so kleben sie alle an den Fenstern, als der Zug hinter dem russischen Grenzbahnhof Chassan die „Brücke der Freundschaft“über den Tumangan in Richtung Nordkorea überquert. Die pagodenartigen Wachtürme der chinesischen Grenztürme am Horizont rufen Entzücken und ein Blitzlichtgewitter hervor. Nur die Zie- ge am Ufer bleibt ungerührt. Offenbar ist sie sich ihres Privilegs, im östlichsten Dreiländereck der Welt zu grasen, nicht bewusst.
Eine Boomregion ist das Grenzgebiet sicher nicht. Es gibt ein paar dürre Maisfelder und einige heruntergekommene Zweckbauten. Bahnlinie und Hafen sollen helfen, Fortschritt und Devisen ins Land zu bringen. Dementsprechend warm ist der Empfang in Rajin. Etwa 2000 Nordkoreanerinnen wurden zum Jubeln bestellt. In den Chosonots, den traditionellen bunten koreanischen Trachten, lächeln sie den Gästen aus Russland freundlich zu, einige winken sogar in die Kamera.
Was auffällt: Wenn die Demokratisierung eines Staates wirklich von unten beginnt, dann hat Nordkorea gar keine schlechten Chancen. Die Schuhmode der Frauen hat in den letzten Jahren nämlich deutlich an Pluralismus gewonnen. Statt Einheitsgrau gibt es nun Fußbekleidungen verschiedenster Formen und Farben. Auch in Rajin schauen unter den Chosonets an verschiedener Stelle Stöckelschuhe chinesischer Produktion hervor.
Selbst die Parteifunktionäre tauschen zunehmend den klassischen Mao-Zweiteiler, den einst der „Große Führer“Kim Il-sung so schätzte, gegen neue, billige Polyesteranzüge aus dem Nachbarland ein. Bei der Ankunft der ausländischen Delegation telefoniert einer der Funktionäre sogar heftig gestikulierend mit einem Mobiltelefon, ehe er die Gruppe in einen Kleinbus treibt. Vor wenigen Jahren wäre dies – also das Handy – noch undenkbar gewesen.
An den Parolen ändert das wenig: Die Lobeshymne des greisen Eisenbahnministers Chon Kil-su auf die weise Führung Kim Jong-uns hätte auch auf dessen Vater und Großvater gehalten werden können. Dabei bleibt Jong-uns Beitrag zur Rekonstruktion der Bahnlinie nebulös. Die Modernisierung hatte damals noch der „Geliebte Führer“Kim Il-sung bei einem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin angeleiert. Nach „nur“zwölf Jahren ist die 54 Kilometer lange Strecke dann fertig – ein Zeichen für die Geschwindigkeit nordkoreanischer Entscheidungsprozesse.
Familienkult ohne Ende
Und so wird auch der Personenkult um die Kim-Familie wohl noch eine Weile anhalten. Derzeit sind Kim Jong-il und Kim Il-sung auf jeden Fall noch allgegenwärtig. Sie schmücken jedes Bahnhofsgebäude und auch die Parteiabzeichen, die obligatorisch an jeder Uniform kleben. Ihr Nachfolger hingegen begnügt sich noch mit dem Beinamen „genialer Heerführer“, den er sich offenbar durch ständiges Säbelrasseln und Drohgebärden gegenüber Südkorea, Japan und den USA verdient hat.
In Rajin gibt es daran keine Kritik: Die Statisten jubeln brav bei den Reden ihrer Funktionäre, und auch Übersetzerin Kim Sin-a ist von der Richtigkeit des Kurses überzeugt. Sie ist eine sympathische junge Frau und spricht mit leiser Stimme akzentfrei Russisch. In Russland sei sie aber noch nie gewesen, versichert sie. Überhaupt war sie noch nie im Ausland.
Die Grenzen sind für Koreaner immer noch hermetisch abgeriegelt. Selbst im eigenen Land ist Reisen beschwerlich. Die 750 Ki- lometer von Pjöngjang nach Rajin haben sie 28 Stunden gekostet.
Fragen über die angeschlagene Wirtschaft sind tabu. Dafür taut sie bei der Frage nach der Zukunft Gesamtkoreas auf: Die Menschen strebten nach einer Wiedervereinigung, nur die Regierungen könnten sich nicht einigen, sagt sie. „Wobei unsere Führung den Willen des Volkes widerspiegelt, während die südkoreanische dies nicht tut“, fügt sie dann schnell in geschulter Parteisprache hinzu.
Und doch fällt es der politischen Führung immer schwerer, das Land abzuschotten. Russen und Chinesen werden zunehmend ins Land gelassen. Als Investoren sind sie unerlässlich. Neben den Russen betreiben auch die Chinesen in Rajin schon Hafenterminals. Als „Tor zur Welt“, wie von der Führung in Pjöngjang propagiert, wird Rajin auf absehbare Zeit aber nicht fungieren, auch weil Kim Jong-un mit einem Sprengkopf denkt.
Raketenstarts und Atomwaffentests haben die Beziehungen zu zahlreichen Nachbarn belastet. Japan hat gar alle Wirtschaftsbeziehungen abgebrochen. So bleiben nur Russen und Chinesen, die sogar als Touristen in die Grenzre- gionen gelockt werden. Einwohner Wladiwostoks bräuchten nicht einmal ein Visum, um an einer Gruppenreise zu verschiedenen Ferienorten nahe der Grenze teilzunehmen, erzählt Wadim, Journalist einer Lokalzeitung in der russischen Fernostmetropole.
Traum von Moskau
Dadurch droht freilich der Druck im Dampfkessel zu steigen, denn selbst die begrenzten Kontakte vermitteln den Koreanern einen Blick auf die Lebensverhältnisse ihrer Nachbarn. Die Diskrepanz zur eigenen Armut dürfte auch bei den „politisch geschulten“Werktätigen Fragen aufwerfen. Übersetzerin Kim Sin-a wirkt nach dem Treffen mit den Ausländern nachdenklich. Zuvor hat sie schon eingestanden, sie träume davon, einmal Moskau zu sehen.
Während ihr Wunsch noch in weiter Ferne liegt, werden die Journalisten noch am Abend nach der Einweihungszeremonie wieder außer Landes gebracht. Zu unzuverlässig sind sie, als dass das Regime sie länger dabehalten will. Andererseits sind auch sie ganz froh, als sie an der Grenze die Pässe wieder erhalten und bald darauf wieder telefonieren dürfen.