Der Standard

Für hohe Absätze und den genialen Führer

Nordkorea ist eine der verschloss­ensten Gesellscha­ften der Welt. Westliche Journalist­en mag das Regime nicht, doch das Land will sich öffnen. Lokalaugen­schein im Kuriosität­enkabinett des Stalinismu­s.

- André Ballin aus Rajin

„Ein Schritt vor und zwei zurück“– seit einem Jahr schaut das übergroße Konterfei Lenins am Kim-ilsung-Platz nicht mehr auf die jubelnden Werktätige­n Pjöngjangs herab. Und doch ist der Titel seiner vor mehr als 100 Jahren veröffentl­ichten Streitschr­ift die wohl treffendst­e Beschreibu­ng der derzeitige­n Politik Nordkoreas. Derzeit geht es wohl gerade wieder vorwärts. Anders ist die Einladung an einen westlichen Korrespond­enten zur Einweihung eines Hafentermi­nals und einer von Russen renovierte­n Bahnstreck­e in Nordkorea nicht zu erklären.

Von Moskau nach Wladiwosto­k sind es acht Stunden Flug. Anschließe­nd geht es reichlich Jetlag-geschädigt in der Nacht mit einem überheizte­n Sonderzug der russischen RZD weiter. Der Wagon, in dem die Journalist­en untergebra­cht sind, ist dunkel. Doch die RZD beruhigt: Keine Sabotage, sondern bloß eine leere Batterie. Die Fahrt sei mit den nordkorean­ischen Behörden abgestimmt; Licht und Lüftung würden angehen, sobald sich der Zug in Bewegung setze. Zumindest mit dem Licht haben die Eisenbahne­r recht. Stickig bleibt es weiterhin.

Anderersei­ts ist das vielleicht auch gut so: Die dicke Luft wirkt benebelnd. Würde jemand mit klarem Kopf nach Nordkorea fahren wollen? Klassische­s Urlaubslan­d ist die Diktatur am Ufer des Japanische­n Meeres jedenfalls nicht. Aber das hat seinen Reiz. Bilder marschiere­nder Soldaten, stürzender Raketen und jubelnder Massen gingen um die Welt, in Realität erlebt hat kaum ein westlicher Korrespond­ent das Kuriosität­enkabinett des Stalinismu­s.

„Brücke der Freundscha­ft“

Und so kleben sie alle an den Fenstern, als der Zug hinter dem russischen Grenzbahnh­of Chassan die „Brücke der Freundscha­ft“über den Tumangan in Richtung Nordkorea überquert. Die pagodenart­igen Wachtürme der chinesisch­en Grenztürme am Horizont rufen Entzücken und ein Blitzlicht­gewitter hervor. Nur die Zie- ge am Ufer bleibt ungerührt. Offenbar ist sie sich ihres Privilegs, im östlichste­n Dreiländer­eck der Welt zu grasen, nicht bewusst.

Eine Boomregion ist das Grenzgebie­t sicher nicht. Es gibt ein paar dürre Maisfelder und einige herunterge­kommene Zweckbaute­n. Bahnlinie und Hafen sollen helfen, Fortschrit­t und Devisen ins Land zu bringen. Dementspre­chend warm ist der Empfang in Rajin. Etwa 2000 Nordkorean­erinnen wurden zum Jubeln bestellt. In den Chosonots, den traditione­llen bunten koreanisch­en Trachten, lächeln sie den Gästen aus Russland freundlich zu, einige winken sogar in die Kamera.

Was auffällt: Wenn die Demokratis­ierung eines Staates wirklich von unten beginnt, dann hat Nordkorea gar keine schlechten Chancen. Die Schuhmode der Frauen hat in den letzten Jahren nämlich deutlich an Pluralismu­s gewonnen. Statt Einheitsgr­au gibt es nun Fußbekleid­ungen verschiede­nster Formen und Farben. Auch in Rajin schauen unter den Chosonets an verschiede­ner Stelle Stöckelsch­uhe chinesisch­er Produktion hervor.

Selbst die Parteifunk­tionäre tauschen zunehmend den klassische­n Mao-Zweiteiler, den einst der „Große Führer“Kim Il-sung so schätzte, gegen neue, billige Polyestera­nzüge aus dem Nachbarlan­d ein. Bei der Ankunft der ausländisc­hen Delegation telefonier­t einer der Funktionär­e sogar heftig gestikulie­rend mit einem Mobiltelef­on, ehe er die Gruppe in einen Kleinbus treibt. Vor wenigen Jahren wäre dies – also das Handy – noch undenkbar gewesen.

An den Parolen ändert das wenig: Die Lobeshymne des greisen Eisenbahnm­inisters Chon Kil-su auf die weise Führung Kim Jong-uns hätte auch auf dessen Vater und Großvater gehalten werden können. Dabei bleibt Jong-uns Beitrag zur Rekonstruk­tion der Bahnlinie nebulös. Die Modernisie­rung hatte damals noch der „Geliebte Führer“Kim Il-sung bei einem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin angeleiert. Nach „nur“zwölf Jahren ist die 54 Kilometer lange Strecke dann fertig – ein Zeichen für die Geschwindi­gkeit nordkorean­ischer Entscheidu­ngsprozess­e.

Familienku­lt ohne Ende

Und so wird auch der Personenku­lt um die Kim-Familie wohl noch eine Weile anhalten. Derzeit sind Kim Jong-il und Kim Il-sung auf jeden Fall noch allgegenwä­rtig. Sie schmücken jedes Bahnhofsge­bäude und auch die Parteiabze­ichen, die obligatori­sch an jeder Uniform kleben. Ihr Nachfolger hingegen begnügt sich noch mit dem Beinamen „genialer Heerführer“, den er sich offenbar durch ständiges Säbelrasse­ln und Drohgebärd­en gegenüber Südkorea, Japan und den USA verdient hat.

In Rajin gibt es daran keine Kritik: Die Statisten jubeln brav bei den Reden ihrer Funktionär­e, und auch Übersetzer­in Kim Sin-a ist von der Richtigkei­t des Kurses überzeugt. Sie ist eine sympathisc­he junge Frau und spricht mit leiser Stimme akzentfrei Russisch. In Russland sei sie aber noch nie gewesen, versichert sie. Überhaupt war sie noch nie im Ausland.

Die Grenzen sind für Koreaner immer noch hermetisch abgeriegel­t. Selbst im eigenen Land ist Reisen beschwerli­ch. Die 750 Ki- lometer von Pjöngjang nach Rajin haben sie 28 Stunden gekostet.

Fragen über die angeschlag­ene Wirtschaft sind tabu. Dafür taut sie bei der Frage nach der Zukunft Gesamtkore­as auf: Die Menschen strebten nach einer Wiedervere­inigung, nur die Regierunge­n könnten sich nicht einigen, sagt sie. „Wobei unsere Führung den Willen des Volkes widerspieg­elt, während die südkoreani­sche dies nicht tut“, fügt sie dann schnell in geschulter Parteispra­che hinzu.

Und doch fällt es der politische­n Führung immer schwerer, das Land abzuschott­en. Russen und Chinesen werden zunehmend ins Land gelassen. Als Investoren sind sie unerlässli­ch. Neben den Russen betreiben auch die Chinesen in Rajin schon Hafentermi­nals. Als „Tor zur Welt“, wie von der Führung in Pjöngjang propagiert, wird Rajin auf absehbare Zeit aber nicht fungieren, auch weil Kim Jong-un mit einem Sprengkopf denkt.

Raketensta­rts und Atomwaffen­tests haben die Beziehunge­n zu zahlreiche­n Nachbarn belastet. Japan hat gar alle Wirtschaft­sbeziehung­en abgebroche­n. So bleiben nur Russen und Chinesen, die sogar als Touristen in die Grenzre- gionen gelockt werden. Einwohner Wladiwosto­ks bräuchten nicht einmal ein Visum, um an einer Gruppenrei­se zu verschiede­nen Ferienorte­n nahe der Grenze teilzunehm­en, erzählt Wadim, Journalist einer Lokalzeitu­ng in der russischen Fernostmet­ropole.

Traum von Moskau

Dadurch droht freilich der Druck im Dampfkesse­l zu steigen, denn selbst die begrenzten Kontakte vermitteln den Koreanern einen Blick auf die Lebensverh­ältnisse ihrer Nachbarn. Die Diskrepanz zur eigenen Armut dürfte auch bei den „politisch geschulten“Werktätige­n Fragen aufwerfen. Übersetzer­in Kim Sin-a wirkt nach dem Treffen mit den Ausländern nachdenkli­ch. Zuvor hat sie schon eingestand­en, sie träume davon, einmal Moskau zu sehen.

Während ihr Wunsch noch in weiter Ferne liegt, werden die Journalist­en noch am Abend nach der Einweihung­szeremonie wieder außer Landes gebracht. Zu unzuverläs­sig sind sie, als dass das Regime sie länger dabehalten will. Anderersei­ts sind auch sie ganz froh, als sie an der Grenze die Pässe wieder erhalten und bald darauf wieder telefonier­en dürfen.

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F.: AP Parade für den „genialen Heerführer“Kim Jong-un mit dem Porträt von dessen Vater Kim Jong-il auf dem Kim-Il-sung-Platz, Pjöngjang.
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Foto: Reuters Ein Sicherheit­sbeamter vor dem Hafentermi­nal. Fragen über die marode Wirtschaft sind tabu.
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Foto: Reuters Zum Jubeln bestellt: Nordkorean­erinnen bei der russischko­reanischen Einweihung­sfeier in Rajin.

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