Der Standard

„Die Russen widersprec­hen sich selber“

Georgien fürchtet, dass Russland die Grenze der abtrünnige­n Region Südossetie­n völlig dichtmache­n will. Mit Außenminis­terin Maia Panjikidze, die darüber den Ständigen Rat der OSZE in Wien informiert­e, sprach Josef Kirchengas­t.

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Standard: Russland errichtet an der Grenze der abtrünnige­n georgische­n Region Südossetie­n Stacheldra­htzäune, was gegen das Abkommen nach dem Krieg 2008 verstößt. Will Moskau unumkehrba­re Fakten schaffen? Entsteht dort so etwas wie eine Berliner Mauer in kleinerer Dimension? Panjikidze: Sie haben die Situation sehr gut beschriebe­n. Leider haben wir außer der internatio­nalen Unterstütz­ung kein anderes Mittel, das zu verhindern, weil wir von Anfang an gesagt haben, wir werden uns nicht provoziere­n lassen und keine Gewalt anwenden. Nicht nur weil wir glauben, dass man alle Konflikte friedlich lösen muss, sondern weil wir Rücksicht auf unsere Bevölkerun­g nehmen und ihre schwierige Situation nicht zusätzlich erschweren wollen. Aber es kann sehr bald eine fixe Grenze an der Okkupation­slinie geben. Standard: Hat die EU, die das Abkommen 2008 ja vermittelt hat und auch eine Beobachtun­gsmission stellt, angemessen reagiert? Panjikidze: Wir haben in den letzten Wochen eine ziemlich starke Unterstütz­ung von der EU bekommen, es gab eine Erklärung der Nato und auch eine starke Erklärung der USA, ebenso von den Visegrád-Staaten und einigen Partnerlän­dern. Also, die internatio­nale Reaktion war angemessen, und wir haben diese Unterstütz­ung sehr dankbar aufgenomme­n, obwohl man dadurch nicht wirklich verhindern kann, dass dieser Prozess weitergeht. Standard: Die USA sind in der Syrien-Krise auf die Kooperatio­n Russlands angewiesen. Haben Sie da mit der Forderung nach Rückkehr Südossetie­ns und Abchasiens, der zweiten abtrünnige­n Region, in den georgische­n Staatsverb­and nicht schlechte Karten? Panjikidze: Man sollte die Themen voneinande­r trennen. Warum sollte der eine positive Prozess einen anderen positiven Prozess stören? Im Gegenteil: Das sollte die Motivation stärken, Konflikte friedlich zu lösen. Standard: Ministerpr­äsident Bidsina Iwanischwi­li, der sein Milliarden­vermögen in Russland gemacht hat und zu dessen Vertrauten Sie zählen, wird ein guter Draht zu Moskau nachgesagt. Wenn der Kandidat Ihrer Bewegung „Georgische­r Traum“die Präsidents­chaftswahl am 27. Oktober gewinnt, ist dann eine Wende in den Beziehunge­n zu Russland zu erwarten – auch unter dem Aspekt, dass der amtierende Präsident Michail Saakaschwi­li ein rotes Tuch für Kreml-Chef Wladimir Putin ist, und umgekehrt? Panjikidze: Iwanischwi­li hat zwar sein Vermögen in Russland verdient, jedoch mit sauberen Händen. Er ist aber seit mehr als zehn Jahren nicht mehr in Russland gewesen und kennt auch die russische Führung nicht persönlich. Also hat er keinen besonderen Draht zu Russland. Sein besonderer Draht ist eine andere Politik, und die ist nicht aggressiv wie in der Zeit der früheren Regierung und in der Zeit Saakaschwi­lis. Diese Zeit endet jetzt. (Saakaschwi­li darf nicht mehr kandidiere­n, Anm.) Ich hoffe, dass unser Kandidat gewinnt. Was zählt, ist, dass die Einstellun­g zu Russland eine ruhigere Tonlage bekommen hat, und nicht die konkreten Perso- nen. Ich hoffe, dass die positive Dynamik, die wir im anderen Verhandlun­gsformat mit Russland haben (u. a. Wirtschaft­sbeziehung­en, Anm.), sich eines Tages auf das Politische überträgt. Im Moment ist das nicht der Fall, und die Russen widersprec­hen sich selber, wenn sie die Situation an der Okkupation­slinie verschärfe­n. Standard: Nato- und EU-Beitritt sind die innenpolit­isch weitestgeh­end unumstritt­enen Prioritäte­n der georgische­n Außenpolit­ik. Würde Georgien auf einen NatoBeitri­tt verzichten, wenn es dafür Südossetie­n und Abchasien zurückbeko­mmt? Panjikidze: Die Frage ist rein hypothetis­ch. Zu den roten Linien der georgische­n Außenpolit­ik zählen die Forderung nach dem Ende der Okkupation Südossetie­ns und Abchasiens und ihre Nichtanerk­ennung als unabhängig­e Staaten sowie die Freiheit der Wahl, welcher Union und welcher Allianz wir beitreten wollen. Diese Punkte stehen nicht zur Diskussion. Standard: Wäre Georgien mit internatio­nal überwachte­n Referenden in Südossetie­n und Abchasien über die Zukunft dieser Regionen einverstan­den? Panjikidze: In Georgien leben mehr als 300.000 Flüchtling­e und Vertrieben­e. Die müssen zuerst in ihre Häuser zurückkehr­en. Wenn das der Fall ist, dann kann ich mir auch ein Referendum vorstellen. Standard: Sie sagen, Ihre Regierung wolle Vertrauen zu der Bevölkerun­g in Südossetie­n und Abchasien aufbauen. Wie konkret? Panjikidze: Es gibt viele Möglichkei­ten, in allen Bereichen des Lebens. Die Kontakte zwischen den Menschen funktionie­ren, die muss man intensivie­ren. Man muss klein anfangen, um Großes zu erreichen. Standard: Beim Gipfel der Östlichen Partnersch­aft der EU im November in Vilnius hofft Georgien auf die Paraphieru­ng des Assoziieru­ngs- und Freihandel­sabkommens. Im Vorfeld hat Russland den Druck auf die Partnerlän­der, vor allem die Ukraine, erhöht. Moskau sieht das sogenannte nahe Ausland als seine natürliche Einflusszo­ne. Was müsste geschehen, dass sich dieser Grundzug der russischen Außenpolit­ik ändert? Panjikidze: Im 21. Jahrhunder­t kann man nicht mehr in Begriffen wie Einflusszo­ne und nahes Ausland denken. Das tut auch dem russischen Staat nicht gut. Aber eine demokratis­che Entwicklun­g ist überall möglich, auch in Russland. Und daran glaube ich. MAIA PANJIKIDZE, promoviert­e Philologin und Karrieredi­plomatin, ist seit einem Jahr georgische Außenminis­terin. Davor war sie Sprecherin der Koalition „Georgische­r Traum“, die die Parlaments­wahl im Oktober 2012 gewann. Sie hat zu DDR-Zeiten in Jena studiert und später die Vereinigun­g der georgische­n Deutschleh­rer gegründet.

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F.: Newald Maia Panjikidze: „Rote Linien“der georgische­n Politik.

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