Eurozone hat die Wahl: Integration oder Stagnation
Bei der Tagung des Währungsfonds wurde die Eurokrise medial von den USA überschattet, doch verschwunden ist sie beileibe nicht. Neue Schuldenschnitte und echte Fiskalunion stehen zur Debatte.
Die gute Nachricht für die Europäer bei der Jahrestagung von Weltbank und Währungsfonds ist, dass die Eurokrise keine Schlagzeilen macht. Erst die drohende Staatspleite in Griechenland, dann die Ansteckung weiterer Euroländer und schließlich der drohende Zerfall der Währungsunion standen die letzten Jahre ganz weit oben auf der Agenda beim internationalen Treffen der Finanzpolitik. Die schlechte Nachricht ist: Die Probleme Europas wurden nur von anderen gefährlichen Entwicklungen verdrängt.
Der US-Budgetstreit und die Turbulenzen in zahlreichen Schwellenländern, die wiederum mit einem möglichen Ausstieg der amerikanischen Notenbank Fed aus der ultralockeren Geldpolitik zu tun haben, stehen im Fokus. Doch viele Experten zerstreuen die Hoffnung, dass Europa schon über den Berg sei. Kenneth Rogoff etwa hält weitere Schuldenschnitte für notwendig. Nicht nur in Griechenland, sondern auch in anderen Eurokrisenländern, meint der Harvard-Ökonom.
Die Arbeitslosigkeit und die sozialen Spannungen seien zu groß, als dass man „zehn oder 15 Jahre warten kann, bis sich die Lage verbessert“, so Rogoff. Nachhaltiges Wachstum sei ohne Abschreiben der riesigen Bank- und Staatsschulden ein unerfüllbarer Traum. Auch der Währungsfonds gibt der Eurozone ein paar Ratschläge mit auf den Weg. Er fordert eine echte Fiskalunion: Eurobonds, gemeinsames Budget, europäische Arbeitslosenversicherung und wechselseitige Haftungen für die Banken sind die Eckpunkte des Konzepts.
Jede Menge faule Kredite
„Europa hat die Wahl: entweder tiefere Integration oder Stagnation“, meint IWF-Vizechefin Nemat Shafik. Der Ruhe an den Finanzmärkten traut in Washington nicht jeder. Rogoff bezweifelt, dass eine reine Ankündigung der Europäischen Zentralbank, notfalls die Schuldenländer mit dem Kauf von Staatsanleihen zu stützen, schon eine Stabilisierung darstellt.
Auch der Währungsfonds weist auf fundamentale Probleme hin: So sitzen die Banken in Italien, Spanien und Portugal auf Problemkrediten im Volumen von 250 Milliarden Euro. IWF-Direktor Reza Moghadam unterstreicht zudem die hohe Korrelation der löchrigen Bankbilanzen und der folglich schwachen Kreditvergabe mit der Konjunkturflaute. Während Betriebe in den Kernländern zwei bis drei Prozent Zinsen auf Darlehen zahlten, lägen die Kosten in Italien oder Spanien bei vier bis fünf Prozent.
Apropos faule Kredite: Die lasten auch schwer auf Slowenien, dem jüngsten Sorgenkind der Währungsunion, das mit hohen Zinsen auf Staatsanleihen konfrontiert ist. Offiziell will das Land die Probleme zwar selbst lösen, allerdings sind in Washington von slowenischer Seite andere Töne zu vernehmen. So sei die Refinanzierung über den Europäischen Stabilitätsmechanismus die günstigste Variante, zudem sei mit einem ESM-Paket auch eine umfassende Absicherung gegen weitere Turbulenzen verbunden.
Österreich hat für die Nachbarländer in Ost- und Südosteuropa gleich zwei wichtige Funktionen. Von den stark in der Region vertretenen Banken hängt nicht zuletzt ab, ob die Kreditvergabe funktioniert. Und Österreich leitet im Währungsfonds eine Ländergruppe, der u. a. Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien und die Türkei angehören. Neben Slowenien gilt auch die wirtschaftlich für Österreich bedeutsame Türkei als möglicher Kandidat für ein Hilfspaket, das freilich vom Währungsfonds geschnürt werden würde.
Auch wenn Ankara davon nichts wissen will, gelten das riesige Leistungsbilanzdefizit von sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts und die jüngsten Kapitalabflüsse als ernste Bedrohung. Auch die Politik Ungarns sorgt im Fonds regelmäßig für Verwunderung, derzeit plant die Regierung eine neue Runde zur Konvertierung von Fremdwährungskrediten, bei der ausländische Banken wieder hohe Verluste befürchten.
Österreich absent
Rumänien und Serbien befinden sich zwar nicht in der Österreich-Gruppe, haben aber wegen der wirtschaftlichen Verbindungen enge politische Beziehungen zum heimischen IWF-Stab. Bukarest hat gerade einen vorsorglichen Kreditrahmen vom Fonds bekommen, Belgrad ringt um frische Hilfsgelder. Angesichts der vielen Problemfelder rund um Österreich wundern sich hochrangige Teilnehmer beim Jahrestreffen, dass wegen der Koalitionsverhandlungen kein Regierungsmitglied den Weg nach Washington fand. „Provinziell“, lautet das Urteil eines heimischen Spitzenbankers. Die Entschuldigung wird von Deutschland ziemlich konterkariert. Finanzminister Wolfgang Schäuble verhandelte am Donnerstag noch mit den Grünen, um dann den Flieger in die US-Hauptstadt zu besteigen.