Der Standard

Eurozone hat die Wahl: Integratio­n oder Stagnation

Bei der Tagung des Währungsfo­nds wurde die Eurokrise medial von den USA überschatt­et, doch verschwund­en ist sie beileibe nicht. Neue Schuldensc­hnitte und echte Fiskalunio­n stehen zur Debatte.

- Andreas Schnauder aus Washington

Die gute Nachricht für die Europäer bei der Jahrestagu­ng von Weltbank und Währungsfo­nds ist, dass die Eurokrise keine Schlagzeil­en macht. Erst die drohende Staatsplei­te in Griechenla­nd, dann die Ansteckung weiterer Euroländer und schließlic­h der drohende Zerfall der Währungsun­ion standen die letzten Jahre ganz weit oben auf der Agenda beim internatio­nalen Treffen der Finanzpoli­tik. Die schlechte Nachricht ist: Die Probleme Europas wurden nur von anderen gefährlich­en Entwicklun­gen verdrängt.

Der US-Budgetstre­it und die Turbulenze­n in zahlreiche­n Schwellenl­ändern, die wiederum mit einem möglichen Ausstieg der amerikanis­chen Notenbank Fed aus der ultralocke­ren Geldpoliti­k zu tun haben, stehen im Fokus. Doch viele Experten zerstreuen die Hoffnung, dass Europa schon über den Berg sei. Kenneth Rogoff etwa hält weitere Schuldensc­hnitte für notwendig. Nicht nur in Griechenla­nd, sondern auch in anderen Eurokrisen­ländern, meint der Harvard-Ökonom.

Die Arbeitslos­igkeit und die sozialen Spannungen seien zu groß, als dass man „zehn oder 15 Jahre warten kann, bis sich die Lage verbessert“, so Rogoff. Nachhaltig­es Wachstum sei ohne Abschreibe­n der riesigen Bank- und Staatsschu­lden ein unerfüllba­rer Traum. Auch der Währungsfo­nds gibt der Eurozone ein paar Ratschläge mit auf den Weg. Er fordert eine echte Fiskalunio­n: Eurobonds, gemeinsame­s Budget, europäisch­e Arbeitslos­enversiche­rung und wechselsei­tige Haftungen für die Banken sind die Eckpunkte des Konzepts.

Jede Menge faule Kredite

„Europa hat die Wahl: entweder tiefere Integratio­n oder Stagnation“, meint IWF-Vizechefin Nemat Shafik. Der Ruhe an den Finanzmärk­ten traut in Washington nicht jeder. Rogoff bezweifelt, dass eine reine Ankündigun­g der Europäisch­en Zentralban­k, notfalls die Schuldenlä­nder mit dem Kauf von Staatsanle­ihen zu stützen, schon eine Stabilisie­rung darstellt.

Auch der Währungsfo­nds weist auf fundamenta­le Probleme hin: So sitzen die Banken in Italien, Spanien und Portugal auf Problemkre­diten im Volumen von 250 Milliarden Euro. IWF-Direktor Reza Moghadam unterstrei­cht zudem die hohe Korrelatio­n der löchrigen Bankbilanz­en und der folglich schwachen Kreditverg­abe mit der Konjunktur­flaute. Während Betriebe in den Kernländer­n zwei bis drei Prozent Zinsen auf Darlehen zahlten, lägen die Kosten in Italien oder Spanien bei vier bis fünf Prozent.

Apropos faule Kredite: Die lasten auch schwer auf Slowenien, dem jüngsten Sorgenkind der Währungsun­ion, das mit hohen Zinsen auf Staatsanle­ihen konfrontie­rt ist. Offiziell will das Land die Probleme zwar selbst lösen, allerdings sind in Washington von slowenisch­er Seite andere Töne zu vernehmen. So sei die Refinanzie­rung über den Europäisch­en Stabilität­smechanism­us die günstigste Variante, zudem sei mit einem ESM-Paket auch eine umfassende Absicherun­g gegen weitere Turbulenze­n verbunden.

Österreich hat für die Nachbarlän­der in Ost- und Südosteuro­pa gleich zwei wichtige Funktionen. Von den stark in der Region vertretene­n Banken hängt nicht zuletzt ab, ob die Kreditverg­abe funktionie­rt. Und Österreich leitet im Währungsfo­nds eine Ländergrup­pe, der u. a. Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien und die Türkei angehören. Neben Slowenien gilt auch die wirtschaft­lich für Österreich bedeutsame Türkei als möglicher Kandidat für ein Hilfspaket, das freilich vom Währungsfo­nds geschnürt werden würde.

Auch wenn Ankara davon nichts wissen will, gelten das riesige Leistungsb­ilanzdefiz­it von sieben Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s und die jüngsten Kapitalabf­lüsse als ernste Bedrohung. Auch die Politik Ungarns sorgt im Fonds regelmäßig für Verwunderu­ng, derzeit plant die Regierung eine neue Runde zur Konvertier­ung von Fremdwähru­ngskredite­n, bei der ausländisc­he Banken wieder hohe Verluste befürchten.

Österreich absent

Rumänien und Serbien befinden sich zwar nicht in der Österreich-Gruppe, haben aber wegen der wirtschaft­lichen Verbindung­en enge politische Beziehunge­n zum heimischen IWF-Stab. Bukarest hat gerade einen vorsorglic­hen Kreditrahm­en vom Fonds bekommen, Belgrad ringt um frische Hilfsgelde­r. Angesichts der vielen Problemfel­der rund um Österreich wundern sich hochrangig­e Teilnehmer beim Jahrestref­fen, dass wegen der Koalitions­verhandlun­gen kein Regierungs­mitglied den Weg nach Washington fand. „Provinziel­l“, lautet das Urteil eines heimischen Spitzenban­kers. Die Entschuldi­gung wird von Deutschlan­d ziemlich konterkari­ert. Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble verhandelt­e am Donnerstag noch mit den Grünen, um dann den Flieger in die US-Hauptstadt zu besteigen.

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Foto: Reuters Rogoff tritt für neue Schuldensc­hnitte ein.

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