„Bastionen gegen die Modernisierung“
Der Leichtathletik-Trainer Wilhelm Lilge und der Journalist Gerd Millmann nehmen auf 208 Seiten die sportlichen Missstände in Österreich unter die Lupe. „Sportland Österreich? Athleten, Abzocker, Allianzen“heißt das Buch, der bringt Auszüge daraus.
Wien – „Nix ist geschehen, wir sind ja in Österreich.“Damit meinen Wilhelm Lilge und Gerd Millmann das Ausbleiben tief greifender Reformen nach dem großen Aufschrei wegen der medaillenlosen Olympischen Sommerspiele 2012. Die Autoren des soeben erschienenen Buches Sportland Österreich? Athleten, Abzocker, Allianzen üben heftige Kritik an den Strukturen und an vielen handelnden Personen, an Politikern, Funktionären, Sportlern, Journalisten. Sie bieten aber auch Lösungsvorschläge an.
Transparente Spitzensportförderung und glaubwürdige Dopingbekämpfung seien ebenso unerlässlich wie das Verbannen der Parteipolitik aus dem Sport und das Zusammenlegen der Dachverbände. Auch die Schaffung zeitgemäßer Sportinfrastruktur und die Forcierung des Breiten- und Schulsports seien überfällig. Freilich dürfte vieles davon ein Wunschtraum bleiben. „Schließlich sind wir ja in Österreich.“
Auszüge aus dem Kapitel „Die Sportstrukturen in Österreich“:
BSO und ÖOC
Wir sind zwar nicht in allen Sportarten Weltklasse, aber hinsichtlich der Komplexität der Sportstrukturen liegen wir unangefochten auf dem wenig begehrten Spitzenplatz. Das war schon immer so, und da könnte ja jeder kommen und etwas ändern. Und mittlerweile weiß jeder „frischg’fangte“Sportminister: Der energisch betriebene Versuch, an diesen Strukturen im Sinne einer Vereinfachung etwas zu ändern, beendet unweigerlich die eigene Ministerkarriere.
Der zaghafte Versuch, alle Strukturen hinreichend und verständlich zu be- schreiben, würde gleich mehrere Bücher füllen. Machen wir es deshalb kurz: Nominell das höchste Gremium des Sports in Österreich ist die Bundessportorganisation (BSO). Der Präsident war ja schon immer ein Roter, der/die Generalsekretär/-in muss deshalb schwarz sein. Da funktioniert der gute alte Proporz wenigstens noch, zumindest in der politischen Farbenlehre vergangener Generationen.
... Das ÖOC ... vertritt jedenfalls auch den Sport, allerdings nur den olympischen. Beiden Organisationen treibt die Vorstellung einer Zusammenlegung nach deutschem Vorbild (dort fusionierten der Deutsche Sportbund und das Nationale Olympische Komitee 2006 zum Deutschen Olympischen Sportbund DOSB) den Angstschweiß auf die Stirn.
Drei Dachverbände
Zusätzlich gibt es als weltweites Unikat drei Dachverbände – ASKÖ, Sportunion und ASVÖ –, wobei die ASKÖ stets SPÖ-Politiker als Vorsitzende hat, während die Sportunion ihren Vorsitz immer an ÖVPPolitiker vergibt. Da das alles eine lange Tradition hat, blieb für den ASVÖ nicht wirklich etwas übrig, dieser lässt sich parteipolitisch nicht eindeutig zuordnen. Aber in einem Land, in dem (ebenfalls einzigartig) sogar zwei Autofahrerklubs (ARBÖ und ÖAMTC) parteipolitisch zuzuordnen sind, ist das nicht verwunderlich.
Die Dachverbände sind auch bei genauerer Analyse in Aufgaben und Wirken nicht wirklich zu unterscheiden, vereinfacht könnte man sagen: Sie machen alle das Gleiche und das parallel – vieles könnte noch besser koordiniert werden, um organisatorische „Mehrgleisigkeiten“zu vermeiden. Damit sei W. Lilge, G. Millmann: „Sportland Österreich?
Athleten, Abzocker, Allianzen“. Molden 2013, 208 Seiten, 19,99 Euro keineswegs gesagt, dass diese Verbände schlechte Arbeit leisten, vor allem im Bereich des Breitensports wird sicherlich viel Gutes bewirkt. Jeder Verein kann, aber muss nicht einem Dachverband beitreten. Das hat den Vorteil, dass man als Verein auf Antrag hin jedes Jahr ein paar hundert Euro Förderung bekommt, und man nimmt ja, was man kriegt. Sonst hört man das ganze Jahr vom eigenen Dachverband wenig bis gar nichts.
27 Landesdachverbände
... Diese Dachverbände bestimmen auch wesentlich das Geschehen in der BSO, und so hilft man sich gegenseitig, dass sich an der bequemen Situation ja nicht zu viel verändert. Die Dachverbände haben neben ihren Bundesorganisationen in jedem Bundesland eine Landesorganisation, 27 Landesdachverbände also betreiben je ein mehr oder weniger aufwändiges Büro. Kernbereich der Tätigkeit ist, Geld von oben in Empfang zu nehmen, nach unten zu verteilen und den eigenen Bedarf dafür entsprechend darzustellen.
Die Hauptarbeit im Sport wird jedenfalls von den Vereinen an der Basis erledigt beziehungsweise von den Fachverbänden, die nicht mit den Dachverbänden verwechselt werden dürfen. In den mehr oder weniger großen und professionell geführten Fachverbänden – es gibt für jede Sportart einen – sitzen jedenfalls die Leute, die üblicherweise aus dem Sport kommen und sich auch auskennen. Natürlich sind das oft auch Spielwiesen für Wichtigmacher-Funktionäre und in vielen Fällen gut getarnte Geriatrie-Cluster, die unüberwindliche Bastionen gegen die Modernisierung im Sportgeschehen und eine Anpassung an Anforderungen des 21. Jahrhunderts darstellen.
Viele, viele Präsidenten
Auch die Fachverbände haben in den Bundesländern ihre Landes-Fachverbände, womit langsam klar wird, dass fast jeder mehr oder weniger artikulationsfähige Österreicher in irgendeinem Verein im Vorstand sitzt und auch schnell einmal Präsident wird ...