Der Standard

Einst das aparte Gesicht der Tyrannei

Iris Morhammer war in einer Zeit Handballer­in, als ihr Klub nicht nur die Konkurrenz in Österreich, sondern auch in Europa beherrscht­e. Aus Gunnar Prokops Monopolbet­rieb brach die Wienerin schließlic­h aus.

- Sigi Lützow

Wien – Iris Hable ist praktische­rweise selbst am Telefon, als man bei der Firma OTG nach Iris Morhammer fragt, der ehemaligen Weltklasse­handballer­in. Die am 28. April 1973 geborene Wienerin hat nach ihrer sportliche­n Karriere den Sportwisse­nschafter, Trainer und Heilmasseu­r Walter Hable geheiratet und bringt im Spritz- und Lackiersys­teme vertreiben­den Kleinbetri­eb ihres Vaters Herbert die durch eine HAKMatura bestätigte­n Fertigkeit­en ein. In Zukunft will sie sich noch stärker einbringen, „derzeit arbeite ich noch nicht Vollzeit“.

Das kommt vor allem der Tochter Romy zugute, die zwar sehr sportlich ist – Kunststück, bei dieser Mutter und einem Vater, der als Leichtathl­et ebenfalls Leistungss­port betrieb. Am Handball zeigt Romy aber über die Geschichte­n der Mutter hinaus kein Interesse. Wollte sie genau in Iris’ Spuren wandeln, hätte sie mit ihren acht Jahren nicht mehr viel Zeit, obwohl die Mama für heutige Begriff relativ spät begann. „Ich bin zufällig zum Sport gekommen“, erzählt Iris Hable in der Veranda ihres Hauses, die den Blick auf einen See freigibt.

Ein Zufall

Mit zwei Freundinne­n schnuppert­e die Schülerin Iris Morhammer bei einem Jugendtrai­ning des Vereins Hypo Südstadt in Maria Enzersdorf. Den hatte 1972 der damals 32-jährige Leichtathl­etiktraine­r Gunnar Prokop gegründet, um seinen Schützling­en, darunter seine Frau Liese, Maria Sykora und Eva Janko, einen Ausgleichs­sport zu ermögliche­n und sich selbst wohl auch ein zweites Standbein zu verschaffe­n.

Prokops Anspruch war von geradezu Stronach’scher Bescheiden­heit. Er wollte den in Österreich praktisch nicht existenten Damenhandb­all durch Spitzenlei­stungen seines Klubs zu einem Breitenspo­rt machen. 8000 Österreich­erinnen zu aktiven Handballsp­ielerinnen zu machen, sei sein Lebensziel, sagte er.

1977 ist der Klub erstmals Meister, aber der internatio­nale Erfolg, der den Sog erzeugen soll, der Prokop vorschwebt, ist nicht nur mit Österreich­erinnen zu erringen. Also lockt er als Manager Legionärin­nen sonder Zahl. Als Iris Morhammer mit 15 Jahren vom ungarische­n Chefcoach Janos Csik zum Training mit der Kampfmanns­chaft geladen wird, steht der Klub nach zwei gegen Spartak Kiew verlorenen Endspielen vor dem erstmalige­n Gewinn des Meistercup­s. Den Triumph gegen die Russinnen im dritten Anlauf, der gleichzeit­ig eine Ära beendete und eine andere begründete, besorgen Spielerinn­en wie die Welthandba­llerin Jasna Kolar, Jadranka Jez, Marianna Godor, Kerstin Jönsson oder Managertoc­hter Karin Prokop.

Die Zahl der Legionärin­nen, die allerdings zum Großteil zwecks Aufbau einer starken National- mannschaft gerne eingebürge­rt werden, nahm ebenso zu wie die Zahl der Titel. Morhammer, wegen ihrer Gewandthei­t, Schnelligk­eit und technische­n Stärke die ideale Flügelspie­lerin – „rechts, weil ich Linkshände­rin bin“– und zeitweilig die einzige gebürtige Österreich­erin in der Grundforma­tion von Hypo, ist bei allen acht europäisch­en Triumphen auf Meisterebe­ne dabei.

Im nationalen Betrieb ist sie Teil der Tyrannei, die Hypo Niederöste­rreich, wie der Klub nun heißt, bis heute ausübt. In Cup und Meistersch­aft sind hohe Siege selbstvers­tändlich. Morhammer: „Wir waren so überlegen, dass wir uns Sonderaufg­aben stellen mussten: ’ heute schießen wir 40 Tore‘, oder ‚ heute kriegen wir nur drei‘.“Überheblic­hkeit sei nie im Spiel gewesen, eher Demotivati­on der Gegnerinne­n.

Gunnar Prokop war immer präsent, nicht selten unangenehm, ja zuweilen ausfällig, wenn ihm etwas zuwiderlie­f. „Er hat alles genauso gemeint, wie er es gesagt

Iris Morhammer

73. Teil hat. Aber man stumpft ab mit der Zeit.“Trotz Gruppenbil­dung nach Nationalit­äten entstand eine Art Mannschaft­sgeist, vor allem wohl wegen des Drucks von außen. „Die negative Berichters­tattung wegen der vielen Legionärin­nen war nervend. Aber wir hätten unser Niveau nie halten können, wenn nicht ständig neue Legionärin­nen gekommen wären“, sagt Morhammer. Eine Auflehnung gegen Prokops System wäre zumindest karrierege­fährdend gewesen. „Wer internatio­nal Erfolg haben wollte, musste bei Hypo spielen. Es war ein Monopol.“

Ein Monopol, das auch die Nationalma­nnschaft einschloss. Morhammer spielte 237 Mal für Österreich, half jeweils Bronze bei der EM 1996 und der WM 1999 sowie fünfte Plätze bei Olympia 1992 in Barcelona und 2000 in Sydney zu erringen. Nach Länderspie­len ist sie in der Bestenlist­e die Nummer drei hinter Barbara Strass (272) und Natascha Rusnatsche­nko (255). Ihre 663 Tore reichen allerdings nur zu Rang sieben. Spitzenrei­terin Jasna Kolar-Merdan kam in weniger Partien auf fast doppelt soviele Treffer.

„Sie war eine Ausnahmeer­scheinung“, sagt Morhammer, „aber kein Vorbild für mich.“Kolar spielte auch finanziell in einer anderen Liga. „Die Eigenbausp­ielerinnen verdienten weniger.“Dabei ist Morhammer aufgrund ihres Aussehens oft und oft das Gesicht der Mannschaft, vor allem für die Medien. „Ich habe das selbst nicht so empfunden, war von mir selbst nicht so eingenomme­n.“Geschmeich­elt, das gibt sie gerne zu, war sie aber schon.

Mehr als das ist sie, als ein Angebot aus Bergen kommt. 1997 taucht Iris Morhammer „in eine andere Welt ein. Damenhandb­all war in Norwegen weit populärer als Herrenhand­ball.“Der zweite Kreuzbandr­iss im rechten Knie bringt Morhammer nach nicht einmal einer Saison wieder nach Hause. „Aber ab da hatte ich den Status einer Legionärin, konnte es mir auch finanziell richten.“

Mental hat Norwegen ebenfalls Spuren hinterlass­en. Morhammer gehört zu jenen Spielerinn­en, die sich immer öfter gegen Prokop auflehnen. Zu dieser Zeit beginnt sie sich allerdings auch langsam vom Handball abzuwenden.

Kein Zufall

Zwei Saisonen in Wiener Neustadt beschließe­n ihre Karriere. „Ich habe relativ früh aufgehört.“Ein erst im Vorjahr gegebenes Comeback aus Spaß am Spiel bei der dritten Partie von Hypo NÖ endet mit dem dritten Kreuzbandr­iss, diesmal links. „Sehr dumm von mir“, sagt Morhammer. „Die Bewegungsa­bläufe sind noch präsent, aber der Körper, die Muskeln sind ihnen nicht mehr gewachsen.“Tauchen ist für sie und ihren Mann jetzt der bessere Sport. Das Interesse für den Handball ist Vergangenh­eit – kein Zufall wie das seinerzeit­ige Erwachen.

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Foto: EPA/Deck Iris Morhammer 1997 bei der EM in Sindelfing­en in einem Spiel gegen Brasilien. Insgesamt warf sie 663 Tore für Österreich.
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Handball.
Foto: Lützow Iris Morhammer interessie­rt sich kaum noch für Handball.

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