Die Qualität des Starrsinns
Die britische Band Wire konzertierte im Wiener Wuk
Wien – Das Problem von Legenden ist die Aura des Veteranentums, die sie umgibt. Diese kann die wichtigste Ware des Kapitalismus fernhalten: die jugendliche Zielgruppe. Das mag, marktwirtschaftlich betrachtet, schlecht sein; im Zuge von Zusammnrottungen, um ein Konzert solcher Legenden zu erleben, bringt es aber Vorteile. Als am Donnerstag die seit 1977 fast durchgehend aktive und immer spannend gebliebene britische Band Wire im Wuk konzertierte, merkte man, es ist etwas anders als sonst.
Etwas fehlte, das man nicht vermisste: Die Smartphones über Kopf fehlten, die heute vielen das Gedächtnis ersetzen und stundenlang aufzeichnen, was man eigentlich erleben sollte. Gut, zwei, drei Souvenirjäger schossen ihre Briefmarkenfilmchen, ansonsten war der Saal wild entschlossen, sich der Darbietung zu widmen. Altersschwäche hat ihre Vorteile, wobei Altersschwäche im Falle von Wire kein Thema ist. Unbeirrbar und stur holzt das Quartett seit dem Debüt Pink Flag durch strenge Songs, die von Minimalismus, der Wiederholung und Variation einfacher Melodien und Riffs geprägt, Wirkung entfalten.
Wild und präzise
Art-Punk nannte man das. Das war vor allem dem Umstand geschuldet, dass Wire keine Sicherheitsnadeln im Gesicht trugen und an der Uni Kunst belegt hatten. Gereicht wird ihre Musik mit anhaltender Wildheit und Präzision: Dazwischen sorgt Graham Lewis für poppigere Songs, in denen sein Bass mit dem Dancefloor kokettiert, die Melodien lieblicher sein dürfen, der Gesang sich mehr Emotion erlaubt. Dieser Mix zeitigte einige der besten Alben in einer von Durchhägern unbekleckerten Diskografie.
Derart souverän aufgestellt, boten Wire, live von einem fünften Mann am Keyboard unterstützt, eine Songauswahl, die quer durch die Jahrzehnte reichte: Das auf die 40 zugehende Map Ref 41°N 93°W, das bald 30 Jahre alte Drill oder das neue Blogging Like Jesus – jeder dieser Songs klang so modern wie zeitlos. Dass Sänger und Gitarrist Colin Newman mittlerweile elek- tronische Unterstützung braucht, um seine Texte zu memorieren, wirkte doch etwas befremdlich, andererseits wird er bald 60.
Anstelle des vierten Gründungsmitglieds, Bruce Gilbert, von dem man sich im Streit getrennt hat, werkt seit einigen Jahren Matthew Simms an der zweiten Gitarre. Auch der gab sich sanfter als sein grimmiger Vorgänger, was den knappen Songs bei aller Pointiertheit und Härte auch eine gewisse Leichtigkeit verlieh.
Hinten am Schlagzeug saß wie immer die Maschine Robert Grey, der mit seinem Snare-Drum-Geschütz der Stachel im Fleisch der Band ist. Man merkt schon: Neue Erkenntnisse sind von lebenden Legenden nicht zu erwarten. Anders als ebenso titulierte Bands ruhen sich Wire aber nicht auf ihrem Lorbeer aus, sondern wollen es doch immer noch wissen. Schauen, was geht. Und es geht dann doch noch einiges. Das zeigt das aktuelle Album Change Becomes Us ebenso wie das Konzert. In diesem Sinne: Ad multos annos.