Der Standard

Die Qualität des Starrsinns

Die britische Band Wire konzertier­te im Wiener Wuk

- Karl Fluch

Wien – Das Problem von Legenden ist die Aura des Veteranent­ums, die sie umgibt. Diese kann die wichtigste Ware des Kapitalism­us fernhalten: die jugendlich­e Zielgruppe. Das mag, marktwirts­chaftlich betrachtet, schlecht sein; im Zuge von Zusammnrot­tungen, um ein Konzert solcher Legenden zu erleben, bringt es aber Vorteile. Als am Donnerstag die seit 1977 fast durchgehen­d aktive und immer spannend gebliebene britische Band Wire im Wuk konzertier­te, merkte man, es ist etwas anders als sonst.

Etwas fehlte, das man nicht vermisste: Die Smartphone­s über Kopf fehlten, die heute vielen das Gedächtnis ersetzen und stundenlan­g aufzeichne­n, was man eigentlich erleben sollte. Gut, zwei, drei Souvenirjä­ger schossen ihre Briefmarke­nfilmchen, ansonsten war der Saal wild entschloss­en, sich der Darbietung zu widmen. Altersschw­äche hat ihre Vorteile, wobei Altersschw­äche im Falle von Wire kein Thema ist. Unbeirrbar und stur holzt das Quartett seit dem Debüt Pink Flag durch strenge Songs, die von Minimalism­us, der Wiederholu­ng und Variation einfacher Melodien und Riffs geprägt, Wirkung entfalten.

Wild und präzise

Art-Punk nannte man das. Das war vor allem dem Umstand geschuldet, dass Wire keine Sicherheit­snadeln im Gesicht trugen und an der Uni Kunst belegt hatten. Gereicht wird ihre Musik mit anhaltende­r Wildheit und Präzision: Dazwischen sorgt Graham Lewis für poppigere Songs, in denen sein Bass mit dem Dancefloor kokettiert, die Melodien lieblicher sein dürfen, der Gesang sich mehr Emotion erlaubt. Dieser Mix zeitigte einige der besten Alben in einer von Durchhäger­n unbeklecke­rten Diskografi­e.

Derart souverän aufgestell­t, boten Wire, live von einem fünften Mann am Keyboard unterstütz­t, eine Songauswah­l, die quer durch die Jahrzehnte reichte: Das auf die 40 zugehende Map Ref 41°N 93°W, das bald 30 Jahre alte Drill oder das neue Blogging Like Jesus – jeder dieser Songs klang so modern wie zeitlos. Dass Sänger und Gitarrist Colin Newman mittlerwei­le elek- tronische Unterstütz­ung braucht, um seine Texte zu memorieren, wirkte doch etwas befremdlic­h, anderersei­ts wird er bald 60.

Anstelle des vierten Gründungsm­itglieds, Bruce Gilbert, von dem man sich im Streit getrennt hat, werkt seit einigen Jahren Matthew Simms an der zweiten Gitarre. Auch der gab sich sanfter als sein grimmiger Vorgänger, was den knappen Songs bei aller Pointierth­eit und Härte auch eine gewisse Leichtigke­it verlieh.

Hinten am Schlagzeug saß wie immer die Maschine Robert Grey, der mit seinem Snare-Drum-Geschütz der Stachel im Fleisch der Band ist. Man merkt schon: Neue Erkenntnis­se sind von lebenden Legenden nicht zu erwarten. Anders als ebenso titulierte Bands ruhen sich Wire aber nicht auf ihrem Lorbeer aus, sondern wollen es doch immer noch wissen. Schauen, was geht. Und es geht dann doch noch einiges. Das zeigt das aktuelle Album Change Becomes Us ebenso wie das Konzert. In diesem Sinne: Ad multos annos.

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