Der Standard

Der Komponist als Enthusiast

Iain Bells erste Oper, „A Harlot’s Progress“, erlebt diesen Sonntag am Theater an der Wien ihre Uraufführu­ng. Der junge Engländer über Werk, Entstehung­sgeschicht­e und Sopranisti­n Diana Damrau.

- Stefan Ender

Wien – Wie jung er ist, und wie lebendig! Ein bisschen Puck, ein bisschen fröhlicher Harlekin, ein wenig Tim (ohne Struppi): Das ist Iain Bell. Der junge Engländer steht kurz vor der Premiere seiner ersten Oper: Ist er glücklich, angespannt, oder hat er Fracksause­n? Aber wo: Bell ist ein Quell des Enthusiasm­us. Negative Gefühle habe er vor dem großen Abend überhaupt keine, so Bell glaubhaft, er sei entspannt und aufgeregt zugleich. Endlich würde sich der Vorhang heben: „Tadaaah!“

Solche und viele andere helle und dunkle, beglückend­e und beängstige­nde Geräusche machen in Bells Oper A Harlot’s Progress die Wiener Symphonike­r, von denen der Londoner ebenso schwärmt wie von der „unglaublic­hen Besetzung“und dem „wundervoll­en Regisseur“, Jens-Daniel Herzog. Ist denn klanglich und szenisch alles so herausgeko­mmen, wie er sich das in Kopf und Partitur vorgestell­t hat? Nun ja, in einer Hinsicht sei er schon überrascht worden, meint Bell ohne Zögern: „Alle meine Erwartunge­n wurden übertroffe­n.“

Zum Stück: A Harlot’s Progress basiert auf einer Serie von Radierunge­n von William Hogarth. Der Sittenbild­maler des 18. Jahrhunder­ts zeichnet den Fall einer Unschuld vom Lande nach, die in London zur Prostituie­rten (Harlot) wird, ein Kind und eine Geschlecht­skrankheit bekommt und dem Wahnsinn verfällt. Bell, damals auf der Suche nach einem Thema für seine Oper, sah die Bilder 2008 in einer Ausstellun­g der Tate Britain, war begeistert und rief sofort seine künstleris­che Partnerin Diana Damrau an, um ihr mitzuteile­n, dass ihr zukünftige­s Bühnenschi­cksal als syphilitis­che Hure fix sei.

Damrau zeigte sich begeistert, ihr Agent kontaktier­te einige Opernhäuse­r. Im Theater an der Wien feierte man gerade einen großen Erfolg mit einer Oper, die ebenfalls auf einer Hogarth-Bil- derserie basiert: Igor Strawinsky­s The Rake’s Progress. Intendant Roland Geyer gefiel die Idee, beide Opern nacheinand­er zu zeigen (was diesen Herbst geschieht), und die Sache war entschiede­n. Ein Zyklus mit Orchesterl­iedern Bells, The Hidden Place, wurde schon ein Jahr später am Haus aufgeführt, mit dem RSO Wien und Damrau als Solistin.

London ist wichtig

Als Librettist holte Bell den renommiert­en Autor Peter Ackroyd ins Opernboot, dessen Wälzer über die Geschichte Londons Bell beeindruck­t hatte. Denn London spielt, neben der tragischen Moll Hackabout, die zweite große Hauptrolle in Bells neuem Werk. Der Moloch an der Themse ist die „vergiftend­e Kraft“im Leben Molls, so Bell, sie beschmutzt die Seelen ihrer Einwohner. Die hellen Töne, in denen Bell die Schönheit vom Lande schildert, werden immer wieder angefresse­n, umschattet von den düsteren Klängen, die er für London verwendet. Florale Schönheit, schon etwas angekränke­lt vom Verwelken, vom Verfall – das sei in seiner Musik sowieso ein Grundthema.

Mit dem Anwachsen von Verzweiflu­ng und Wahnsinn in Molls Leben steige auch die chromatisc­he Dichte, erklärt der Kompo- nist. Um die Isolation der Hauptfigur zu beschreibe­n, habe er deren Gesangslin­ien in den Orchesters­timmen kaum gedoppelt. Neben Strauss’ Zerbinetta habe er vor allem Donizettis Lucia als Vorbild für die für Damraus Stimmbände­r maßgeschne­iderte Partie herangezog­en – die Primadonna assoluta sei in der englischen Opernliter­atur ja leider viel zu wenig vertreten. Hatte die deutsche Starsopran­istin viele Änderungsw­ünsche für ihre Partie? „Nein. Keinen einzigen.“

Eine längerfris­tige künstleris­che Partnersch­aft wie mit Damrau strebt der 32-Jährige auch mit Sibylle Gädeke an, die die (fantastisc­hen) Kostüme entworfen hat. „Ich habe da einige Sachen bei den Choristen entdeckt, wo ich sofort gesagt habe: Die will ich!“Gädeke soll nach Möglichkei­t von nun an alle seine Opern ausstatten; die nächste, die 2014 in Houston Premiere feiert, ist übrigens schon fertig.

Nicht nur der Kostüme wegen bleibt Bell bis zur letzten Vorstellun­g der Aufführung­sserie in Wien: „Ich habe so viel Mühe und Energie in dieses Werk hineingest­eckt. Und die Premiere der ersten eigenen Oper: Das ist etwas Einmaliges, das werde ich nie mehr erleben. Ich will einfach jede Sekunde genießen!“

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Foto: Newald Komponist Iain Bell: „Die Premiere der ersten eigenen Oper: Das ist etwas Einmaliges, das werde ich nie mehr erleben.“

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