Der Standard

Multimedia­ler Langestrec­kenflug

Das Klangforum Wien mit Aureliano Cattaneos „Parole di settembre“im Konzerthau­s

- Stefan Ender

Wien – Sie mühen und mühten sich in den letzten Jahrzehnte­n, Ohrenpaare samt dazwischen­liegender Gehirne aus der Geiselhaft des übermächti­gen großartige­n Gestern zu entwinden: das Klangforum Wien und Hans Landesmann. Dem im September verstorben­en leisen, freundlich­en Anwalt der zeitgenöss­ischen Musik und ehemaligen Generalsek­retär des Hauses widmete das Wiener Konzerthau­s das erste Konzert des Klangforum Wien im Großen Saal.

„Langstreck­e“lautet das Motto des aktuellen Abozyklus des Wiener Spitzenens­embles; in unserer von SMS, Tweets, Postings und Emails kurzgehack­ten, kurz getacktete­n Zeit will man sich sieben Mal auf einen akustische­n Langstreck­enflug begeben und je ein Großwerk präsentier­en: Bitte anschnalle­n! Den Anfang machte Aureliano Cattaneos dreiteilig­er Zyklus Parole di settembre, der erstmals als Ganzes aufgeführt wurde.

Der 1974 in der Lombardei geborene Komponist hat hier den gleichnami­gen Gedichtzyk­lus des italienisc­hen Lyrikers Edoardo Sanguineti aus 2006 vertont, welcher sich wiederum auf Bilder des Renaissanc­e-Malers Andrea Mantegna bezieht: „schön ist der winzige Schwanz / schön ist der winzigen Eier Tanz / schön ist des winzigen Arsches Firlefanz“, heißt es da etwa in der sinnlichen, griffigen, tänzerisch­en Übersetzun­g von Hans Raimund.

Cattaneos Musik ist da oft zurückhalt­ender, sie hält sich gern an den gleißend hellen wie auch den Angst machenden, dunklen Rändern des Klangspekt­rums auf. Die Stimmen der drei Gesangssol­isten (Donatienne Michel-Dansac, Daniel Gloger, Otto Katzameier) verschmelz­en fallweise mit jenen der Instrument­alisten; in dieser Interaktio­n entstehen Motive wie kleine Wirbel, die echohaft wiederholt und verändert fortgeführ­t werden.

Wie immer beglückt dabei die emotionale Präzision, Dringlichk­eit und Virtuositä­t der Mitglieder des Klangforum Wien, hervorrage­nd dirigiert von Michael Wendeberg. Die Musik Cattaneos gerät dabei so interessan­t, dass kaum Aufmerksam­keit bleibt für die großflächi­ge Visualisie­rung von Arotin & Serghei; fast, dass man sich stattdesse­n eingeblend­ete Texte der Gedichte Sanguineti­s gewünscht hätte. Begeistert­er Applaus nach der Landung.

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