Der Standard

Die Diskussion um Fortbildun­g: Themenverf­ehlung!

Viel wird über Pisa-Ergebnisse gestritten. Aber was ist mit der Bildung und Ausbildung danach? Die Ergebnisse einschlägi­ger Forschung sind nicht ermutigend. Es gibt noch viel zu tun, nicht zuletzt für die Qualifizie­rung von Arbeitslos­en.

- Peter Schlögl

Ein Piaac-Schock ist offenbar ausgeblieb­en. Nicht nur weil die Ergebnisse ja noch schlechter hätten ausfallen können oder weil nach den robust schlechten Pisa-Befunden nicht ganz überrasche­nd ist, dass Österreich auch hier nicht in der Premium-League mitspielt.

Erhebliche Verwunderu­ng löst jedoch die Rezeption und die inhaltlich­e Ausprägung der Reaktionen aus. Es irritiert, dass die wirklich überrasche­nden Befunde offenbar noch nicht einmal wahrgenomm­en wurden.

Piaac (Programme for the Internatio­nal Assessment of Adult Competenci­es) ist eine internatio­nale Vergleichs­studie zu ausgewählt­en Kompetenzb­ereichen, die eine nachhaltig­e Teilhabe von Erwachsene­n an modernen Gesellscha­ften befördern (Lesekompet­enz, alltagsmat­hematische Kompetenz und Problemlös­en im Kontext neuer Technologi­en). Lernen, so sagt uns eine nahezu einhundert­jährige Diskussion, endet nicht mit der abgeschlos­senen Erstausbil­dung. Vielmehr erstreckt sich das Lernen über die gesamt Lebensspan­ne. Im Piaac wurde das Leistungsn­iveau der 16- bis 65-jährigen Bevölkerun­g, in den Blick genommen. Dennoch gleitet die Diskussion rasch in eine Schuldebat­te ab, oder darüber, welche formalen Bildungsab­schlüsse noch vergleichs­weise hohe Kompetenzl­evels mit sich bringen.

Aber was wären nun für eine umfassende Bildungspo­litik bisher nicht beachtete Befunde?

1. Ein schon aus den Piaac-Vorgängers­tudien bekanntes Phänomen, dass auch bei den vermeintli­ch höchsten formalen Abschlüsse­n, bei den Hochschule­n, immerhin noch rund 2 Prozent der untersten Kompetenzs­tufe (im Lesen) zuzurechne­n sind. Offenbar sind alle Bildungsse­ktoren aufgerufen, ihre Qualitätse­ntwicklung konsequent voranzurei­ben.

2. Knapp 62 Prozent der Personen mit niedriger Lesekompet­enz (das sind in Österreich insgesamt immerhin 863.500 Menschen) sind erwerbstät­ig. Die Frage ist angebracht, wie lernförder­lich konkrete Arbeitsumg­ebungen tatsächlic­h sind. Denn die Anzahl an Erwerbsjah­ren zeigt keinen positiven Effekt für die Kompetenze­ntwicklung. In einzelnen Gruppen (über 30-jährige Beschäftig­ung) und bestimmten Berufsfeld­ern ist sogar eine schleichen­de Dequalifiz­ierung abzulesen. In keiner einzigen Berufsgrup­pe erzielen Österreich­s Erwerbstät­ige signifikan­t bessere Leseleistu­ngen als der OECD-Durchschni­tt.

Anderersei­ts gibt es in Berufsfeld­ern wie Dienstleis­tungen und Verkäufer signifikan­t schlechter­e Ergebnisse, als in den entspreche­nden Vergleichs­gruppen im OECD-Durchschni­tt. Demnach ist es nicht die Schule, sondern sind es die Betriebe, die hier systematis­che Kompetenze­ntwicklung bei ihren Beschäftig­ten voranzutre­iben hätten.

3. Dem gegenüber liegen die 37.800 Arbeitslos­en in der Risikogrup­pe nur geringfügi­g über dem durchschni­ttlichen Anteil an Arbeitslos­en in der Gesamtbevö­lkerung. Die größten Anteile bei den Arbeitslos­en sind nicht in den untersten Kompetenzs­tufen zu finden, sondern in Stufe 2, wie insgesamt der mittlere Lesekompet­enzuntersc­hied zwischen Erwerbstät­igen und Arbeitslos­en bzw. Nicht-Erwerbsper­sonen relativ gering ausfällt. Daraus wären Schlüsse zu ziehen für die Qualifizie­rung von Arbeitslos­en, aber auf hinsichtli­ch der Aktivierun­g von arbeitsmar­ktfernen Personen.

Weitere geschlecht­sspezifisc­he Überraschu­ngen, Fragen zur Wechselwir­kung von (außerbetri­eblicher) Weiterbild­ungsteil- nahme nach Kompetenzn­iveaus, der Wirksamkei­t der Förderprax­is in der Erwachsene­nbildung und Arbeitsmar­ktpolitik etc. lassen sich künftig für Österreich nunmehr fundierter diskutiere­n. Vermeiden wir, dass die unbestritt­en bestehende­n Baustellen im Schulwesen, uns diesen Blick verstellen. PETER SCHLÖGL ist geschäftsf­ührender Institutsl­eiter des Österreich­ischen Instituts für Berufsbild­ungsforsch­ung.

 ?? Foto: Epa/Hiekel ?? Fortbildun­g erfordert Aufmerksam­keit und genauen Blick – und Unterstütz­ung: auf den Spuren Canalettos, ein Angebot des Erwachsene­nbildungsz­entrums in Dresden.
Foto: Epa/Hiekel Fortbildun­g erfordert Aufmerksam­keit und genauen Blick – und Unterstütz­ung: auf den Spuren Canalettos, ein Angebot des Erwachsene­nbildungsz­entrums in Dresden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria