Unüberbietbarer Zynismus
Europa braucht neue Flüchtlingspolitik und faire Aufteilung statt „Schotten dicht“
DEreihundert Flüchtlinge sind vor Lampedusa ertrunken. Und was macht Europa nach dem ersten Schock? Die Innenminister legten fest: An den Regeln der Asyl- und Flüchtlingspolitik und der Aufteilung von Asylsuchenden auf die Mitgliedsländer wird nichts geändert. Das EU-Parlament beschloss ein 240 Millionen Euro teures Big-Brother-System zur besseren Überwachung der Außengrenzen – inklusive Einsatz von Drohnen und Satelliten. Die 155 Überlebenden des Schiffsunglücks werden in Italien – wie es das sogenannte Bossi-Fini-Gesetz vorsieht – angezeigt. Ihnen drohen 5000 Euro Geldstrafe oder 18 Monate Haft. Einem Fischer, der 46 Menschen aus dem Meer gerettet hatte, wurde das Boot beschlagnahmt.
Wie die EU bisher reagiert hat, zeugt von Ignoranz und ist eine Schande. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 20.000 Menschen bei dem Versuch umgekommen sind, über die Meere Richtung Europa zu gelangen. Das ist eine humanitäre Katastrophe, an der die Europäer Mitschuld tragen. s gilt, an mehreren Punkten gleichzeitig anzusetzen. Italien sollte schleunigst ein neues Asylgesetz beschließen, das Hilfe für in Seenot geratene Flüchtlinge nicht mehr unter Strafe stellt. Die EU-Staaten müssen zu einer faireren Verteilung der Flüchtlingsströme kommen. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sträubte sich genauso wie ihr deutscher Amtskollege gegen eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge. Die sogenannte Drittstaatenregelung ist unsolidarisch: Jeder Flüchtling kann seinen Asylantrag nur in dem Land stellen, in dem er die Union betreten hat. Das führt dazu, dass die Hauptlast der Flüchtlingsströme vor allem in Griechenland, in Spanien und Italien liegt.
In Griechenland sind die Zustände in den völlig überfüllten Lagern katastrophal. 2011 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt, dass Flüchtlinge wegen des „dortigen mangelhaften Asylsystems sowie der dortigen Haft- und Lebensbedingungen“nicht nach Griechenland abgeschoben werden dürfen. Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat sich darauf bezogen – seither werden keine Flüchtlinge mehr nach Griechenland abgeschoben. Geholfen wird diesen Ländern bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme kaum.
Angesichts der fehlenden Möglichkeit, im Heimatland Asyl zu beantragen oder ein Visum für eine legale Einreise zu bekommen, gibt es nur die Möglichkeit, mittels Schleppern illegal nach Europa einzureisen. Damit sie sich erst gar nicht auf diesen Weg einlassen, müssten diese Menschen die Möglichkeit erhalten, in diplomatischen Vertretungen europäischer Länder in ihrer Heimat Anträge stellen zu können. Europa braucht geregelte Zuwanderung, auch Arbeitskräfte. Warum gibt es nicht die Möglichkeit befristeter Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen?
Es ist beschämend, dass Österreich, das zehntreichste Land weltweit, die Entwicklungshilfe weiter gekürzt hat – auf aktuell 0,28 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wenn Innenministerin Mikl-Leitner die Beteiligung an Grenzsicherungen als „humanitäre Aktion“bezeichnet, ist das an Zynismus kaum noch zu überbieten. Das ist genauso verantwortungslos wie die Schleppervorwürfe an die ehemaligen Votivkirchenflüchtlinge, die sie inzwischen zurückgenommen hat. Wer Flüchtlingsströme verhindern will, muss bei den Ursachen beginnen. Österreich kann sich nicht davonstehlen.