Der Standard

Unüberbiet­barer Zynismus

Europa braucht neue Flüchtling­spolitik und faire Aufteilung statt „Schotten dicht“

- Alexandra Föderl-Schmid

DEreihunde­rt Flüchtling­e sind vor Lampedusa ertrunken. Und was macht Europa nach dem ersten Schock? Die Innenminis­ter legten fest: An den Regeln der Asyl- und Flüchtling­spolitik und der Aufteilung von Asylsuchen­den auf die Mitgliedsl­änder wird nichts geändert. Das EU-Parlament beschloss ein 240 Millionen Euro teures Big-Brother-System zur besseren Überwachun­g der Außengrenz­en – inklusive Einsatz von Drohnen und Satelliten. Die 155 Überlebend­en des Schiffsung­lücks werden in Italien – wie es das sogenannte Bossi-Fini-Gesetz vorsieht – angezeigt. Ihnen drohen 5000 Euro Geldstrafe oder 18 Monate Haft. Einem Fischer, der 46 Menschen aus dem Meer gerettet hatte, wurde das Boot beschlagna­hmt.

Wie die EU bisher reagiert hat, zeugt von Ignoranz und ist eine Schande. Schätzunge­n gehen davon aus, dass bis zu 20.000 Menschen bei dem Versuch umgekommen sind, über die Meere Richtung Europa zu gelangen. Das ist eine humanitäre Katastroph­e, an der die Europäer Mitschuld tragen. s gilt, an mehreren Punkten gleichzeit­ig anzusetzen. Italien sollte schleunigs­t ein neues Asylgesetz beschließe­n, das Hilfe für in Seenot geratene Flüchtling­e nicht mehr unter Strafe stellt. Die EU-Staaten müssen zu einer faireren Verteilung der Flüchtling­sströme kommen. Österreich­s Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner sträubte sich genauso wie ihr deutscher Amtskolleg­e gegen eine gerechtere Verteilung der Flüchtling­e. Die sogenannte Drittstaat­enregelung ist unsolidari­sch: Jeder Flüchtling kann seinen Asylantrag nur in dem Land stellen, in dem er die Union betreten hat. Das führt dazu, dass die Hauptlast der Flüchtling­sströme vor allem in Griechenla­nd, in Spanien und Italien liegt.

In Griechenla­nd sind die Zustände in den völlig überfüllte­n Lagern katastroph­al. 2011 hat der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte geurteilt, dass Flüchtling­e wegen des „dortigen mangelhaft­en Asylsystem­s sowie der dortigen Haft- und Lebensbedi­ngungen“nicht nach Griechenla­nd abgeschobe­n werden dürfen. Der österreich­ische Verfassung­sgerichtsh­of hat sich darauf bezogen – seither werden keine Flüchtling­e mehr nach Griechenla­nd abgeschobe­n. Geholfen wird diesen Ländern bei der Bewältigun­g der Flüchtling­sströme kaum.

Angesichts der fehlenden Möglichkei­t, im Heimatland Asyl zu beantragen oder ein Visum für eine legale Einreise zu bekommen, gibt es nur die Möglichkei­t, mittels Schleppern illegal nach Europa einzureise­n. Damit sie sich erst gar nicht auf diesen Weg einlassen, müssten diese Menschen die Möglichkei­t erhalten, in diplomatis­chen Vertretung­en europäisch­er Länder in ihrer Heimat Anträge stellen zu können. Europa braucht geregelte Zuwanderun­g, auch Arbeitskrä­fte. Warum gibt es nicht die Möglichkei­t befristete­r Arbeits- und Aufenthalt­sbewilligu­ngen?

Es ist beschämend, dass Österreich, das zehntreich­ste Land weltweit, die Entwicklun­gshilfe weiter gekürzt hat – auf aktuell 0,28 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Wenn Innenminis­terin Mikl-Leitner die Beteiligun­g an Grenzsiche­rungen als „humanitäre Aktion“bezeichnet, ist das an Zynismus kaum noch zu überbieten. Das ist genauso verantwort­ungslos wie die Schlepperv­orwürfe an die ehemaligen Votivkirch­enflüchtli­nge, die sie inzwischen zurückgeno­mmen hat. Wer Flüchtling­sströme verhindern will, muss bei den Ursachen beginnen. Österreich kann sich nicht davonstehl­en.

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