Das vierzigste Jahr
Gefährdetes Leben und Schreiben in der Gegenwärtigkeit eines sich abzeichnenden frühen Sterbens. Zum 40. Todestag der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann.
Am 17. Oktober 1973 ist Ingeborg Bachmann in Rom in der Klinik Sant’Eugenio an den Folgen der schweren Brandverletzungen gestorben, die sie in der Nacht vom 25. auf den 26. September erlitten hatte. Sie war mit einer brennenden Zigarette in der Hand eingeschlafen. Erst in der Früh rief sie ihre Haushälterin Maria Teofili an. Diese hat mir in einem Gespräch, das über Vermittlung Christine Koschels am 12. März 1998 in Rom zustande kam, von jenem frühen Morgen des 26. September 1973 erzählt. Maria Teofili sei mit einer Brandsalbe zu Ingeborg Bachmann gekommen, habe gesehen, wie schwer die Verletzungen waren und die Rettung verständigt. Da sie in der Aufregung kein persönliches Ausweisdokument der Schriftstellerin fand, nahm sie die italienische Übersetzung des Romans Malina mit. Im Krankenhaus musste sie, mit dem Roman in der Hand, beim Lift zurückbleiben. Einmal hatte sie zu Ingeborg Bachmann gesagt, dass sie den Roman nicht lesen könne, ohne darin die Person der Verfasserin zu sehen, und „La Signora Bachmann“habe ihr geantwortet: „Vielleicht sind Sie die Einzige, die das Buch verstanden hat.“
In Malina findet man Sätze, die zeigen, dass die Autorin wusste, wie gefährdet sie lebte und wie gegenwärtig ihr ein früher Tod war. Sie war schwer medikamentenabhängig, in den letzten Jahren passierten ihr immer öfter kleinere, aber gefährliche Unfälle, und eine zusätzliche Gefahr bedeutete die herabgesetzte Schmerzempfindung. Mit dem Schreiben hörte sie nicht auf, und so hat sie noch das voraussehbare Sterben in ihr literarisches Werk hineingenommen und es an einer Stelle in Malina verwandelt in den herzzerreißenden Abschied von ihrem utopischen „Ungargassenland“: „Mein Königreich, mein Ungargassenland, das ich gehalten habe mit meinen sterblichen Händen, mein herrliches Land, jetzt nicht mehr größer als meine Herdplatte, die zu glühen anfängt […]. Ich muß aufpassen, daß ich mit dem Gesicht nicht auf die Herdplatte falle, mich selber verstümmle, verbrenne, denn Malina müßte sonst die Polizei und die Rettung anrufen, er müsste die Fahrlässigkeit eingestehen, ihm sei da eine Frau halb verbrannt.“
Malina, das ist in diesem Doppelgängerroman die männliche Instanz der Autorschaft, er verkörpert die Idee des Werks, das überdauern soll, während sie, die andere Seite dieser getrennten Person, mit ihrer leidenschaftlichen Liebe zu Ivan und „bedeckt von Blessierungen“hinter dem Werk verschwindet. Bachmann wusste, dass bei ihrem selbstruinösen Schreiben und ihrem Verständnis von Kunst das lebendige Ich schlecht wegkommt. Sich extremen Erfahrungen aussetzen müssen, um Kunde geben zu können, zugrunde gerichtet werden, um von Grund auf zu wissen, das sind kurze Formeln für das grausame Gesetz der Kunst, für das sie einprägsame Bilder gefunden hat. Die Eule, ihr Vogel, der das Herz ausraubt des Nachts; der Vampir, der, von ihrem Blut gestärkt, die Flügel weitet; Malina, der Mann mit der Tarnkappe und dem „fast immer geschlossene[n] Visier“, von dem das weibliche Ich im Roman sagt: „Übernimm du die Geschich- ten, aus denen die große Geschichte gemacht ist. Nimm sie alle von mir.“Am Schluss des Romans, wenn das blessierte Ich in der Wand verschwunden ist und nicht mehr schreien kann und nur mehr Malinas Schritte zu hören sind, heißt es, als ginge es um einen Mord, den jeder begeht: „Kein Alarm, keine Sirenen. Es kommt niemand zu Hilfe. Der Rettungswagen nicht und nicht die Polizei. Es ist eine sehr alte, eine sehr starke Wand, aus der niemand fallen kann, die niemand aufbrechen kann, aus der nie mehr etwas laut werden kann.“ In der eben erschienenen Bachmann-Biografie von Andrea Stoll – Ingeborg Bachmann. Der dunkle Glanz der Freiheit – wird aus der Perspektive der nächsten Verwandten von den Tagen vor und nach dem Tod der Dichterin erzählt, auch davon, wie unglücklich sich die damals von Hans Werner Henze und anderen Freunden Ingeborg Bachmanns in die Wege geleitete Anzeige wegen Mordverdachts gegen unbekannt auswirkte, so verständlich sie auch war. Als Isolde Moser, Mutter von sechs Kindern, in Rom bei der schwerverletzten Schwester war, verunglückte ihr Mann zu Hause in Kärnten bei einem tödlichen Verkehrsunfall. Wie sollte man da nicht verstehen, dass die Geschwister in ihrer Verzweiflung die Schwester zur Bestattung nach Hause bringen wollten. Sie hatten zunächst selbst gewünscht, dass Ingeborg Bachmann auf dem sogenannten Protestantischen Friedhof in Rom, dem Cimitero acattolico, begraben werden sollte, ließen dann aber, auch von der bevorstehenden Anzeige irritiert, dieses Vorhaben fallen. Vielleicht wird es einmal doch noch dazu kommen, dass die sterblichen Überreste der Dichterin ihre letzte Ruhestätte in Rom auf dem Friedhof an der Aurelischen Mauer finden. Es soll der Wunsch der Dichterin gewesen sein, und es ist heute der Wunsch vieler Bachmann-Leserinnen und Leser, und vielleicht wird es ein
Fortsetzung auf Seite A 2