Technik fördert die „Vermassung der Einsamkeit“
Wir arbeiten hochkonzentriert mit Technik, fokussieren dabei auf die Tätigkeit selbst und verlieren so leicht die Selbstkontrolle. Wie das passieren und was man dagegen tun kann, erklärt Arbeitspsychologin Annette Hoppe im Gespräch mit Oliver Mark.
Standard: Technikstress, was das überhaupt? Hoppe: Es handelt sich um eine besondere Form von Stress, die beim direkten, aber auch beim indirekten Umgang mit Technik entsteht. Direkt meint die Arbeitsweise mit Computern oder mit jeglicher Technik, aber auch das Verständnis und die Nutzung der Begleitmaterialien. Etwa die Handbücher, um Technik bedienen zu können. Zum indirekten Umgang gehört die Einstellung zur Technik und auch die Akzeptanz. Zum Beispiel, wenn ich ständig mit Technik konfrontiert werde, mit der ich gar nicht arbeiten möchte, aber muss. Oder wenn Arbeitstechnik in schneller Folge wechselt und ich mich immer aufs Neue einarbeiten muss, dann sind das stressauslösende Faktoren. Das beschränkt sich nicht nur auf den Arbeitsplatz, sondern kommt auch sehr stark im privaten und im öffentlich-gesellschaftlichen Raum zum Einsatz.
ist Standard: Ist Stress mit Technik eine Generationenfrage? Hoppe: Nicht nur, obwohl die Entwicklung von Technik in den letzten Jahren sehr schnell gegangen ist und viele ältere Menschen nur als Konsumenten und nicht als „Mitgestalter“betrachtet werden. Standard: Inwiefern verändert Technik das Denken und Handeln ganz allgemein? Hoppe: Einige italienische Technikphilosophen zum Beispiel sprechen von einer „Vermassung in Einsamkeit“. Jeder sitzt mit der gleichen Technik, aber einsam zu Hause. Früher hat der Mensch mit Arbeitstechnik gearbeitet, dann hat er das Büro verlassen und sich daheim mit anderen Sachen beschäftigt. Heute arbeiten wir zum Großteil mit den gleichen Geräten, ob zu Hause oder im Büro. Es werden immer die gleichen Hirnregionen beansprucht, deswegen haben wir wahrscheinlich auch einen Anstieg bei psychosomatischen Krankheiten. Hier müssen wir aufpassen. Technik sinnvoll im Leben zu Nutzen muss auch erlernt werden. Standard: Sind wir im Umgang mit Technik erst am Anfang eines Lernprozesses? Man tut etwas für sie und nicht mit ihnen. Das ist schon ein Problem, das sich aber Stück für Stück in den nächsten Generationen verflachen wird und hoffentlich bei den Herstellern ein Umdenken bewirkt. Es sind aber auch nicht alle jungen Menschen technikaffin, das darf man nicht vergessen. Hoppe: Positiv ist, dass die körperlich belastende Arbeit durch Technik immer weiter zurückgegangen ist. Technik macht ja den Informationsaustausch, das Zusammenarbeiten über Grenzen hinweg, viel einfacher und schneller. Das Problem ist, dass damit der Begriff der Geschwindigkeit eine zentrale Rolle im menschlichen Leben eingenommen hat. Wir wurden in schneller Folge mit Entwicklungen überrascht, und Forschung kann erst im Nachhinein analysieren, wie dieser Prozess sich auf den Menschen und die Gesellschaft auswirkt. Auch hier vollzieht sich ein Lernprozess, der von der Wissenschaft unterstützt wird. Wir haben untersucht, was passiert, wenn Technik in einem Arbeitsprozess plötzlich nicht mehr funktioniert. Standard: Welche Folgen hat das? Hoppe: Bei einem 15-Minuten-Versuch ist die Technik zweimal, von uns geplant, ausgefallen. Der Ausfall war nicht die Schuld der Teilnehmer, dennoch ist die Hälfte der Probanden davon ausgegangen, dass sie einen Fehler gemacht haben. Das heißt, sie bewerten sich und ihre Kompetenz in der Funktionsweise der Technik. Bei einigen Probanden hatten wir Werte, die eine fünfhundertfache prozentuale Erhöhung des Hautleitwertes (sogenannte Schwitzwerte) im Vergleich zum Beginn des Versuchs aufwiesen. Die meisten merkten das nicht einmal, sie fühlten sich, nach eigenen Angaben, nicht gestresst. Das ist ein Alarmzeichen, diese physische und psychische Beanspruchung wird also nicht einmal mehr während der Tätigkeit mit der Arbeitstechnik subjektiv registriert, ist aber da. Standard: Welche Erklärung haben Sie dafür? Hoppe: Wir arbeiten hochkonzentriert mit Technik. Dabei fokussieren wir unsere Wahrnehmung auf die Arbeitstätigkeiten, sodass die Selbstkontrolle entfällt. Wir re- gistrieren nicht die Beanspruchungen unseres Körpers. Bei anderen Arbeiten, zum Beispiel mit dem Spaten, merken wir das, aber im Falle von Technik konzentrieren wir uns nicht mehr auf uns selbst. Wir trinken zu wenig, schauen zu wenig in die Tiefe, machen nicht rechtzeitig Pausen, achten nicht auf unsere Arbeitshaltung, Arbeitsumgebung usw. Technik wird nicht müde. Standard: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Technikstress und Burnout? Hoppe: Wenn immer die gleichen Hirnregionen ohne Erholung arbeiten müssen, kann es sein, dass man deswegen ausgebrannt ist. Bei der Diagnose sollte allerdings aufgepasst werden, auch Ärzte müssen erst befähigt werden, Burnout von anderen Krankheiten unterscheiden zu lernen. Die Langversion des Interviews mit Annette Hoppe finden Sie unter derStandard.at/ Informationstechnologie ANNETTE HOPPE ist Lehrgebietsleiterin Arbeitswissenschaft/Arbeitspsychologie sowie Leiterin der Kooperativen Forschungsstelle Technikstress (KFT) an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (BTU Cottbus-Senftenberg).