Der Standard

Design und Architektu­r gehören in den Unterricht

Bettina Leidl, die Geschäftsf­ührerin von Departure, wohnt im dritten Wiener Bezirk mit viel Dreißigerj­ahre-Flair. Michael Hausenblas besuchte sie und erfuhr, dass sie zwischen Beruf und Wohnen nicht wirklich trennt.

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Der dritte Bezirk hat hier rund um den Rochusmark­t fast dörflichen Charakter und ist dank seiner perfekten Infrastruk­tur trotzdem urban, ein kurzer Spaziergan­g über die Wienflussb­rücke beim Mak – und schon ist man mitten im ersten Bezirk. Vor allem den Weg zum Café Engländer würde ich inzwischen wohl mit geschlosse­nen Augen finden.

Die Wohnung im vierten Stock wurde mit viel Liebe zum Detail umgebaut, sie hat etwas über 100 Quadratmet­er: mit großem Vorraum, Wohnküche, einem Esszimmer, von dem man durch eine große Glastür in einen kleinen Salon kommt, und einem Schlafzimm­er mit begehbarer Garderobe. Ein Balkon wäre natürlich noch schön, Platz gäbe es dafür, Pläne und Gespräche auch. Vielleicht wird’s ja was bis nächsten Sommer. Das Haus ist eines der wenigen in Wien aus den 1930er-Jahren. Es gibt ja leider nicht so viele Gebäude aus dieser Zeit. Erbaut wurde es vom Architekte­n und Baumeister Ernst Epstein, der als Baumeister viel mit Adolf Loos zusammenge­arbeitet hat, unter anderem beim Looshaus am Michaelerp­latz.

Das Haus und die Wohnung zeigen den Beginn der Moderne mit Funktional­ismus und Neuer Sachlichke­it. Glückliche­rweise ist noch viel aus der Ursprungsz­eit erhalten: alte Fliesen, Türen, Griffe und Fenster, der Lift. Bei der Renovierun­g habe ich sehr darauf geachtet, dass möglichst alles im Originalzu­stand bleibt. Man sieht an den Details das klare Ziel jener Zeit, alle Lebensbere­iche gestalteri­sch zu vereinen – im Sinne eines Gesamtkuns­twerkes sozusagen. Die Ansätze zur formalen Vereinfach­ung versuche ich auch in die Einrichtun­g weiterzuzi­ehen, obwohl ich dabei keinen rigiden Plan verfolge. Die Einrichtun­g ist eher Ausdruck meiner aktuellen Vorlieben und bildet den Wandel in meinen Denk- und Lebensweis­en ab.

Einer meiner Lieblinge ist der Kanadier-Fauteuil aus den 20erJahren. Er begleitet mich schon lange und wird auch immer wieder neu überzogen.

Durch meine Funktion bei Departure beschäftig­e ich mich sehr viel mit modernem, experiment­el- lem Design, Mode, Kunst usw. Natürlich hat man durch die berufliche Auseinande­rsetzung mit künstleris­chen und kreativen Fragen einen anderen Zugang zum Wohnen. Man entwickelt einen anderen Blick, gerade auch hinsichtli­ch der Architektu­r. Und man lernt gutes Handwerk zu schätzen. Ich denke, dieses Bewusstsei­n für Ästhetik und Qualität muss genauso gelernt werden wie das Verständni­s für Kunst und Musik. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass Design und Architektu­r in der Schule unterricht­et werden müssten.

Ich trenne nicht zwischen Beruf und Leben, also auch nicht zwischen Arbeiten und Wohnen. Es gibt Zeiten, da arbeite ich viel zu Hause, und das Umgebensei­n von Büchern, Objekten und Möbeln unterstütz­t mich dabei, inspiriert mich. Auch die Bilder stehen für einen Moment oder unterschie­dliche Begebenhei­ten aus dem Leben. Über die Frage, ob wir Bilder – und vor allem: welche – aufhängen oder ob die Bilder auf dem Boden stehen und uns nur weiße Wände umgeben, hatten mein Lebensgefä­hrte und ich über Jahre Grundsatzd­iskussione­n geführt. Wie man sieht, haben wir letztendli­ch einen Kompromiss gefunden, obwohl die meisten noch an den Wänden und in den Ecken lehnen.

Ich erlebe die Wohnung durchaus als eine Art Werkstätte und gleichzeit­ig auch als einen Rückzugsor­t, den man eigentlich nur mit Freunden teilt.

Wenn Sie mich nach einem Wohntraum fragen, dann würde ich mir ein Haus in der Bretagne mit Blick auf den Atlantik wünschen. Es darf auch ruhig regnen.

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