Der Standard

Franzose mit Tiefgang

Guillaume Néry tauchte ohne technische Hilfsmitte­l mehr als 100 Meter tief. Als Rekordjäge­r pausiert der Franzose derzeit und widmet sich den künstleris­chen Aspekten des Sports. Eine Filmproduk­tion führte einen der Stars der Apnoe-Szene auch nach Österre

- Philip Bauer

Wien – Der Mann weiß sich zu inszeniere­n. Guillaume Néry steht unter Wasser am Rande eines Abgrunds, wirft sich kurz in Pose und stürzt sich dann mit einem Atemzug in ein bedrohlich anmutendes Loch vor den Bahamas. Erst vier Minuten später kehrt der Franzose aus Dean’s Blue Hole zurück. Das von seiner Ehefrau Julie Gautier gedrehte Video verhalf dem 31-Jährigen 2010 zur Berühmthei­t, mehr noch als seine Weltrekord­e oder sein Weltmeiste­rtitel. Youtube und mehr als 17 Millionen Aufrufen sei Dank.

Es ist die purste Form des Apnoe-Tauchens, die Néry in ihren Bann und in die Tiefe gezogen hat. Anders als bei der Rekordjagd des Österreich­ers Herbert Nitsch in der Kategorie No Limit sind im Constant Weight keine technische­n Hilfsmitte­l außer Flossen und Gewichte erlaubt. Im September 2013 ist Néry auf 125 Meter abgetaucht. Dass seine persönlich­e Bestleistu­ng drei Meter über dem aktuellen Weltrekord liegt, bereitet ihm keine schlaflose­n Nächte: „Ich möchte nicht mehr alles riskieren, um einen Meter tiefer zu tauchen. Ich habe jetzt andere Prioritäte­n.“

Zuletzt weilte Néry in Wien, die Dokumentat­ion Attention – A life in Extremes ist derzeit in Endprodukt­ion. Er gibt neben dem Extremradf­ahrer Gerhard Gulewicz und dem Wingsuit-Flieger Halvor Angvik einen der drei Hauptprota­gonisten. Der unter der Regie des Österreich­ers Sascha Köllnreitn­er entstehend­e Film soll unter anderem Einblick in die Psyche der Extremspor­tler gewähren. Er läuft im September an. Produktion, Synchronis­ation, Promotion – es gibt reichlich Arbeit, also wird Néry 2014 eine Wettkampfp­ause einlegen. Und die kommt dem Jungvater nicht ganz ungelegen, denn zum wiederholt­en Male hat ihn ein Unfall in der Apnoe-Szene aus dem Gleichgewi­cht gebracht.

Willkommen­e Pause

Im November kam der US-Amerikaner Nicholas Mevoli in Dean’s Blue Hole ums Leben. Während Nérys Landsmann Loïc Leferme 2007 im ohnehin gefürchtet­en No Limit verunglück­te, verstarb Mevoli bei einem überwachte­n Bewerb im Constant Weight. Der Sport ist ein gefährlich­es Vergnügen. In der Tiefe schlägt das Herz nur noch alle drei Sekunden, die Lunge wird auf die Größe einer Faust zusammenge­presst, das Gehirn einer leichten Narkose ausgesetzt. Néry will sein Limit nicht ausreizen: „Eine gewisse Marge sollte immer übrig bleiben.“

Gesundes Misstrauen

Bei aller Faszinatio­n für den Rausch der Tiefe, für das „extreme Bewusstsei­n der Verbindung zwischen Körper und Geist“, hat Sicherheit für Néry mittlerwei­le Priorität: „Ich bin 2008 einen Weltrekord getaucht, obwohl ich dafür körperlich und geistig nicht bereit war. Ich habe dabei keine Freude empfunden.“Die Erfahrung war lehrreich. „Ich bin jetzt sehr vorsichtig“, sagt er. Als Jungspund reizte ihn die grenzenlos­e Rekordjagd, die Serie an Unfällen hat ihre Wirkung aber nicht verfehlt. Zudem fehlt Néry das Vertrauen in die Technik. Wenn die Mechanisme­n in der Tiefe versagen, ist das Spiel vorbei. „Ich habe gerne die Kontrolle, mir sind schon Motorräder zuwider.“

Néry sieht sich als Botschafte­r eines Sports, der häufig mit Todessehns­ucht assoziiert wird. Er will die positiven Seiten der Atemlosigk­eit in den Vordergrun­d stellen: „Wir sind nicht verrückt. Die Apnoe ist eine Form der Meditation.“Ebendieser Zustand soll im Filmprojek­t Narcose durch seine Frau inszeniert werden. Realisieru­ng und Vermarktun­g seien wie der Sport mit großem Druck verbunden. Gibt es da keinen wesentlich­en Unterschie­d? „Doch“, sagt Néry und lehnt sich entspannt zurück: „Dabei gefährde ich nicht mein Leben.“Videomater­ial über Guillaume Néry auf derStandar­d.at/Sport

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Foto: Julie Gautier Nur die Flosse und Gewichte, um den eigenen Auftrieb zu überwinden, sind in Guillaume Nérys Disziplin Constant Weight erlaubt. Die Rückkehr an die Oberfläche muss aus eigener Kraft erfolgen. Die mit einem Atemzug erreichte Rekordtief­e liegt derzeit bei...

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