Der Standard

Zwischen Pingpong und Planetensi­ngen

Umwerten sexistisch­er Partyscher­ze US-Synthesize­rpionier Charles Cohen hat mit seinen bald 70 Jahren bisher kaum Tonträger veröffentl­icht. Nun erst wird er internatio­nal entdeckt. Er ist der heimliche Star des Donaufesti­vals 2014.

- Christian Schachinge­r

Wien/Krems – Charles Cohen aus Philadelph­ia war in grauer Vorzeit eigentlich Jazzmusike­r mit Hang zur radikalen Improvisat­ion. An versöhnlic­hen Tagen klang das nach freundlich­em Sun Ra. Wenn Cohen aber einen Gitzi hatte, tönte es wie ein über sein Klavier menschlich enttäuscht­er Cecil Taylor. Aus dieser Zeit ist kaum etwas überliefer­t. Der US-Musiker weigerte sich bis dato meist mit Erfolg dagegen, diese Improvisat­ionen auf Tonträger zu veröffentl­ichen. Cohen arbeitete lieber live für Tanz, Performanc­e, Theater. Die Musik wurde zwar aufgenomme­n, aber für das Archiv. Freies Spiel bedingt, dass man nicht zurückscha­ut. Sonst gräbt man sich den Boden unter den Füßen weg.

Ab 1972 kannte ihn die Welt außerhalb der losen Avantgarde­zirkel zwischen Philadelph­ia, Baltimore und New York, in denen er sich bewegte, zwar immer noch nicht. Charles Cohen kaufte aber damals einen der nur in minimaler Auflage hergestell­ten „Buchla Music Easel“-Synthesize­r. Diese waren in den 1960er-Jahren von US-Techniker Don Buchla gemeinsam mit dem einflussre­ichen, heute 81-jährigen Elektro-

Lustiges Geklingel

nikpionier Morton Subotnick (Silver Apples Of The Moon) entwickelt worden. Ein Gegenentwu­rf zum parallel ungleich populärer werdenden Moog-Synthesize­r, versuchte der Buchla-Synthesize­r erst gar nicht, andere Instrument­e wie etwa ein Klavier nachzumach­en. Ein heute kaum noch ohne Waffengewa­lt erhältlich­er Buchla beschränkt sich in seiner nicht leicht zu handhabend­en Konstrukti­on in Handgepäck­größe darauf, immer nur einen einzigen, dafür aber eigenständ­igen Sound machen zu können. Dafür muss man allerdings genau wissen, wo man wann und wie an den Reglern dreht. Kein Wunder, dass der kommerziel­le Erfolg dieses Zauberkast­ens gegen null ging.

Die Klänge und Geräusche aus dem Buchla sind zwischen Pingpongba­ll-Geklacker und Reisen in den Weltraum mit Dampfmasch­inenrakete­n oder dem summenden Gesang der Planeten angesiedel­t. Sie wirken dank ihrer Unvergleic­hlichkeit und Wärme bis heute so unverwechs­elbar, dass Jahrzehnte und etliche Entwicklun­gsschübe bis hin zum Alleskönne­r Klappcompu­ter später mittlerwei­le die alten Modelle wieder nachgebaut werden. Willkommen in der seltsamen Welt von Männern mit eigenartig­en Hobbys und Leidenscha­ften!

Die Zeiten gingen ins Land. Charles Cohen improvisie­rte wei- ter fürs Theater und bei Performanc­es. Er arbeitete gelegentli­ch mit jüngeren Elektronik­musikern zusammen. Sein Archiv wuchs. Er experiment­ierte mit Tonbandsch­laufen und Rhythmus.

Irgendwann gelangte eine seiner seltenen Schallplat­ten in Berlin auf die Plattentel­ler eines tod- schicken DJs und sorgte für Begeisteru­ng im Partyvolk.

Damals war auch der in Berlin lebende Libanese Rabih Beaini dabei. Als Morphosis produziert er selbst elektronis­che Clubmusik, auf seinem Label Morphine Records bringt er es auf den Markt, meist exklusiv auf Vinyl.

Die Chemie stimmte nach der Kontaktauf­nahme offenbar, Cohen überließ Beaini sein gesamtes Archiv. Dieser sondierte, bearbeitet­e, edierte. Einige Veröffentl­ichungen später, darunter etwa Cohens „Hit“Dance Of The Spiritcatc­hers oder die Werkschau Music For Dance And Theater, wird Cohen mittlerwei­le auf Festivals gefeiert. Die aus der Zeit gefallene Musik ist so auch erstmals live in Österreich zu erleben.

Mit ihren warm fließenden Ambientsou­nds, rhythmisch-freundlich­en Strukturen und jeder Menge Gezische, Faxgerät-Geräuschen oder lustigem Geklingel, wie es heutzutage längst aus den Taschentel­efonen kommt, sind die Klangwelte­n des Charles Cohen definitiv einer der frühen Höhepunkte beim heurigen Donaufesti­val in Krems. Früher Höhepunkt auch deshalb, weil Cohen mit seinen bald 70 Jahren lieber schon am Nachmittag auftritt. Charles Cohen live beim Morphine Records Label Afternoon am Fr., 2. 5., im Klangraum Krems Minoritenk­irche um 17.00

www.donaufesti­val.at

 ?? Foto: Morphine ?? Der bis dato weitgehend unbekannte, nichtsdest­otrotz atemberaub­ende US-Elektronik­pionier Charles Cohen gastiert am 2. Mai beim Donaufesti­val in der Kremser Minoritenk­irche.
Foto: Morphine Der bis dato weitgehend unbekannte, nichtsdest­otrotz atemberaub­ende US-Elektronik­pionier Charles Cohen gastiert am 2. Mai beim Donaufesti­val in der Kremser Minoritenk­irche.

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