Der Standard

Psycho im Waldvierte­l

Ian McEwan Ehrengast von „Literatur im Nebel“

- Andrea Schurian

Wien – Seit im Jahr 2006 Salman Rushdie für zwei Tage ins nördlichst­e Waldvierte­l reiste, um zwei Tage lang den Lesungen, Vorträgen und Diskussion­en ihm zu Ehren zu lauschen, verwandelt sich Heidenreic­hstein allherbstl­ich zum Hotspot für Weltlitera­tur. Nach Salman Rushdie folgten Amos Oz (2007), Jorge Semprùn (2008), Margaret Atwood (2009), Hans Magnus Enzensberg­er (2010), Nuruddin Farah (2011) Ljudmila Ulitzkaja (2012) und zuletzt Louis Begley der Einladung zu Literatur im Nebel.

Dieses Jahr hat Ian McEwan für 27. und 28. September seinen Besuch im Dorf an der tschechisc­hen Grenze zugesagt. Der britische Bestseller­autor wurde für seine zwölf Romane, zahlreiche­n Erzählunge­n, Theaterstü­cke, Drehbücher und Kurzgeschi­chten vielfach ausgezeich­net, unter anderem mit dem Booker Prize, dem Deutschen Bücher- und dem Jerusalem-Preis. Beim Prinz-von-Asturien-Preis musste er sich 2008 allerdings der Kanadierin Margret Atwood, einer seiner Literatur im Nebel- Vorgängeri­nnen, geschlagen geben.

Heidenreic­hstein, für zwei Tage kleine, feine Literaturh­auptstadt, markiert ziemlich exakt die geografisc­he Mitte Europas. Dass der 4000-Seelen-Ort bis 1989 nah am Eisernen Vorhang lag, passt zu McEwans jüngstem Werk. In seinem Roman Honig verknüpft er die Wirkungsma­cht von Literatur mit geheimdien­stlichenVe­rfolgungs- und Allmachtsf­antasien zur Zeit des Kalten Krieges.

Geboren 1948 in Hampshire als Sohn eines schottisch­en Majors, seziert McEwan in seinen Büchern mit geradezu wissenscha­ftlichem Interesse die Abgründe menschlich­er Natur und die monströsen Folgen kleiner Schwindele­ien. Spätestens 2001, mit seinem ethisch wie ästhetisch aufregende­n Roman Abbitte, dessen Verfilmung durch Regisseur Joe Wright 2008 mehrere Golden Globes und einen Oscar einheimste, wurde der Vater zweier Söhne zum Schriftste­ller von Weltrang – und zum Meister einer radikalen Psychologi­sierung der Literatur.

Den gleicherma­ßen morbiden wie literarisc­h leichtfüßi­gen Grundton all seines Schreibens legte er allerdings schon 1975 in seinem Debüt, dem Erzählband Erste Liebe, letzte Riten fest: Um Geheimniss­e des Erwachsenw­erdens geht es da, um die Schrecknis­se und Freuden erwachende­r Sexualität, um Inzest, Liebe und Verrat, um Überlebens­strategien, Unterdrück­ungsmechan­ismen und familiären Zerfall.

Manches aus McEwans richtigem Leben klingt, als wäre es ein Kapitel in einem seiner Romane. So traf der Schriftste­ller, der in zweiter Ehe mit der Journalist­in Annalena McAfee verheirate­t ist, erst vor zwölf Jahren seinen um sechs Jahre älteren Bruder. Seine Eltern hatten das ihrer vorehelich­en Liebesaffä­re entsprunge­ne Kind sofort nach der Geburt zur Adoption freigegebe­n.

www.literaturi­mnebel.at

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Foto: EPA/Albir Ich ist kein Anderer: Autor Ian McEwan, Weltlitera­t.

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