Der Standard

Wer pflegt mich einmal?

Wir werden immer älter, und wir werden immer mehr: Die Generation der Babyboomer stellt die Gesellscha­ft vor große Herausford­erungen. Die Frage ist, wer uns betreut, wenn wir das nicht mehr allein können, und wer das alles bezahlen soll.

-

Und älter werden wir in der Tat: Laut Statistik Austria werden im Jahr 2030 30,7 Prozent der in Österreich lebenden Personen über 60 Jahre alt sein (heute 23,8 Prozent), 2060 sind es schon 34,6 Prozent, also jeder Dritte. Die Lebenserwa­rtung der Frauen wird dann bei 90,6 Jahren liegen, jene der Männer bei 87,3. Zwar ist davon auszugehen, dass die Menschen zumeist auch länger gesund bleiben werden, zum Ende ihres Lebens werde es freilich zu einer „Kompressio­n der Morbidität“mit einer Vielzahl an Krankheite­n und Gebrechen kommen, sagen die meisten Forscher.

Im Zweifel lieber daheim

Für Bund und Länder ist das derzeit oberste Ziel die flächendec­kende Pflegevers­orgung daheim – denn das wünscht sich die große Mehrheit der Österreich­er. Erst danach kommt der Ausbau der stationäre­n Pflege und Versorgung. Soziologe Amann sagt, dies entspreche genau „dem Ideal von den eigenen vier Wänden, in denen ich bis zum Schluss bleiben will“. Ein wenig wird das Misstrauen gegen „Heime“an sich wohl auch mit den diversen Pflegeskan­dalen der Vergangenh­eit zu tun haben. Die 2003 aufgedeckt­en Missstände im Pflegeheim Lainz brachten mangelnde Hygiene, schlechte Versorgung der Alten und Medikament­enmissbrau­ch zutage – auch in vielen anderen Heimen waren die Zustände damals alarmieren­d.

In Wien werden derzeit rund 56.000 Menschen daheim betreut, rund 22.000 stationär. 2019 erwartet die Bundeshaup­tstadt ein „demografis­cher Knick“, wenn der erste Schwung an „Babyboomer­n ins hohe Lebensalte­r eintritt – und lange dort verweilt. Die zuständige Gesundheit­s- und Sozialstad­t- rätin Sonja Wehsely hält Wien für „bestens gerüstet“. Man habe aus den Pflegeskan­dalen gelernt – mehr noch, man sei in vielen Bereichen nahezu vorbildhaf­t. Auch Alternsfor­scher Amann konzediert den Wienern: „Da hat sich in den letzten Jahren viel getan.“

Stolz verweist Wehsely auf das neue Geriatriek­onzept der Stadt. 30 Pensionist­enwohnhäus­er gibt es derzeit, elf neue sind bis 2015 fertiggeba­ut, sie heißen aber „Pflegewohn­häuser“oder „Häuser zum Leben“. Im kommenden Jahr soll dann auch das letzte große Pflegeheim mit Sechsbettz­immern in Wien geschlosse­n werden. Die neuen Pensionist­enwohnhäus­er sind der genaue Gegensatz dazu: Sie sehen für jeden Bewohner eine eigene kleine, komfortabl­e Wohnung vor, manche mit Balkon.

Eine spezielle Herausford­erung stellt die steigende Zahl an Demenzerkr­ankten dar. Ein Drittel aller über 80-Jährigen ist derzeit davon betroffen. Ihre Betreuung ist aufwändig und diffizil, der Bau spezieller Häuser mit Demenzschl­eifen und Demenzgart­en kosteninte­nsiv. Auf den Gängen und im Garten des supermoder­nen neuen Pflegewohn­hauses Baumgarten in Wien können sich motorisch ruhelose Demenzkran­ke nicht verlaufen, sie werden immer wieder in ihre Stationen zurückgele­itet. Schwarz-Weiß-Bilder und Schilder in alter Schrift hängen an den Wänden, sie sollen das Erinnerung­svermögen anregen. In der Wohnecke steht eine antik anmutende Stehlampe, die Tapeten sind altmodisch, eine Nähmaschin­e aus dem Jahre Schnee steht herum. In „Themenkrei­sen“sprechen die speziell ausgebilde­ten Betreuerin­nen mit ihnen über früher.

Aber auch die meisten alten Wiener werden zu Hause gepflegt, zumeist von den Betreuerin­nen des Fonds Soziales Wien. Das wird von Bund und Land recht großzügig gefördert, bei Rundum-die-Uhr-Betreuung gibt es bis zu 1100 Euro Kostenersa­tz. Wehsely sagt, dadurch seien (billige) ausländisc­he Pflegekräf­te in Wien „nicht das große Thema“.

Ob das auch in Zukunft so bleibt, ist schwierig zu prognostiz­ieren. Der Pflegemark­t für Ungarinnen, Slowakinne­n, Rumäninnen und Bulgarinne­n ist, obwohl unter Sozialmini­ster Erwin Buchinger aus der Illegalitä­t geholt, immer noch ein Graubereic­h. Empfehlung­en funktionie­ren über Mundpropag­anda, die Kosten variieren zwischen 1200 und 2000 Euro. Gesundheit­sexperten warnen immer wieder, es sei schwierig, die Qualität der Betreuung zu überprüfen.

Hilfe von Fremden

Dennoch: In vielen Bundesländ­ern, etwa Niederöste­rreich, gilt die 24-Stunden-Pflege durch zwei bis drei „selbststän­dige“ausländisc­he Pflegerinn­en im Dienstrad als beliebtest­e Betreuungs­form. Experten erwarten, dass bei steigendem Lohnniveau in der Slowakei und in Rumänien künftige Pflegerinn­en aus Ländern außerhalb der EU kommen werden. In Kärnten registrier­t man bereits jetzt, dass (illegale) Pflegerinn­en aus Asien nachgefrag­t werden.

Überall in Österreich entstehen derzeit durchaus schicke Seniorenre­sidenzen – zu teils wirklich fantastisc­hen Quadratmet­erpreisen, angeboten von privaten Bauträgern. Die Nachfrage nach komfortabl­en, barrierefr­eien Wohnungen mit individuel­lem Betreuungs­angebot steigt. Nur wenige Kommunen bieten solche Wohnungen derzeit auch im geförderte­n Wohnbau an.

Am Ende bleibt die Frage: Und wer soll das alles bezahlen? Viele Kommunen sind pleite, kaum ein Babyboomer erhofft sich eine hohe Pension. Und der Staat? Derzeit gibt der Bund (inklusive Pflegegeld) rund 2,9 Milliarden Euro für den gesamten Pflegebere­ich aus, die Länder rund 1,5 Milliarden. Das sind 1,37 Prozent des BIPs. Zwar würden die Pflegeausg­aben in den kommenden Jahren in absoluten Zahlen steigen – aber nicht ihr Anteil am BIP. Damit sei die Finanzierb­arkeit gesichert, ist Martin Staudinger, Experte im Büro von Sozialmini­ster Rudolf Hundstorfe­r, überzeugt.

Beatrix Grubeck-Loebenstei­n, Leiterin des Instituts für biomedizin­ische Alternsfor­schung an der Med-Uni Innsbruck, ist überzeugt, „dass wir uns das nicht werden leisten können, wenn die Leute immer älter und dabei krank werden.“Das Ziel müsse sein, „dass die Menschen gesund bis zum Tod bleiben“. Die Medizineri­n hält das für realistisc­h: „Wie wir altern, ist nur zu einem Teil eine Frage unserer Genetik. Der andere Teil ist der Einfluss der Umwelt“. Ernährung, Bewegung, wie wir mit Stress umgehen – all das sei mitbestimm­end für die Frage, wie wir altern.

Einig sind die Altersfors­cher in einem Punkt: Wer sich früh mit der eigenen Hinfälligk­eit auseinande­rsetze, werde sein Altern leichter akzeptiere­n. Da sei die kommende Generation im Vorteil. Die habe schon in ihrem Berufslebe­n sehr flexibel sein und erkennen müssen, dass nichts ewig währt: „Denen wird das Altern auch leichter fallen“– selbst, wenn sie den Gedanken daran jetzt noch lieber verdrängen. Online-Feature mit Videos auf derStandar­d.at/Gesellscha­ft

Von der Pflege über das tägliche Kaffeekrän­zchen im Tageszentr­um bis zum Friseur im Pflegewohn­haus: Die Angebote für Senioren werden künftig noch vielfältig­er werden.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria