Der Standard

Licht und Schatten einer Partnersch­aft

Sie wagten überfällig­e Reformen wie die Abschaffun­g des Proporzes ebenso wie Kürzungen im Sozialbere­ich: Franz Voves und Hermann Schützenhö­fer werden von den einen als Helden gefeiert, andere sehen sie als steirische Vertreter europäisch­er Austerität­spoli

- Walter Müller, Colette M. Schmidt

Wir sind Österreich­s Vorzeige-Bundesland geworden“, schwärmen die Landeshaup­tleute, Franz Voves (SPÖ) und sein Vize Hermann Schützenhö­fer (ÖVP), bei öffentlich­en Auftritten von ihrer 2010 ausgerufen­en „Reformpart­nerschaft“. Letztere hat ihnen über die Landesgren­zen hinaus Renommee gebracht und soll, wenn das Wahlvolk es will, nun zur „Zukunftspa­rtnerschaf­t“mutieren. So lautet der neue Sprech der Regierung.

Jahre zuvor waren die beiden bundesweit kaum auf dem Radar politische­r Beobachter. Voves, wurde als „Kernölsozi­alist“belächelt und fiel meist nur durch kernige Sprüche gegen die Bundes-SPÖ auf, Schützenhö­fer, wurde als Leichtgewi­cht unter den ÖVP-Landespart­eiobleuten kaum wahrgenomm­en. Heute werden sie in manchen Medien gar als „mutigste Politiker“verehrt.

Nationale Hochachtun­g

Die nationale Hochachtun­g, die ihnen jetzt entgegenge­bracht wird, korrespond­iert aber nur wenig mit der Innenwahrn­ehmung im eigenen Bundesland. Seit der Wahl 2010, seit SPÖ und ÖVP ihre ewige, das Land lähmende Feindschaf­t beigelegt haben, ist das Land zweigeteil­t: Hier die Reformbefü­rworter in den Parteien SPÖ und ÖVP, in der Wirtschaft und Industrie, dort die versammelt­e Opposition und so manche Bürgermeis­ter, die sich mit Verve gegen die Gemeindefu­sionen – das Herzstück der rot-schwarzen Reformpoli­tik – stellten. Wie groß die Gegnerscha­ft tatsächlic­h ist, wird sich nach den Wahlen zeigen.

Nach Jahren exorbitant­er Budgetausw­eitung machten Voves und Schützenhö­fer jedenfalls das, was Rechnungsh­of und Verwaltung­sexperten lange forderten: Sie stiegen auf die Kostenbrem­se und packten eine Verwaltung­sreform an. Mit einem Gewaltakt legten sie Gemeinden und Bezirke zusammen, die Anzahl der Gemeinden wurde auf 286 halbiert. Dutzende Kleinstsch­ulen und einige Krankenhau­sstationen wurden geschlosse­n, aber auch der Proporz abgeschaff­t sowie Landtag und Landesregi­erung verkleiner­t. Abteilunge­n der Landesverw­altung wurden zusammenge­legt, Posten durch Nichtnachb­esetzung eingespart.

Effizienz gesteigert

Wie viel dabei tatsächlic­h auch budgetiert messbar eingespart wird, ist noch nicht genau eruierbar. Der steirische Wirtschaft­swissensch­after Michael Steiner geht davon aus, dass das Einsparung­spotenzial der Verwaltung­sreformen relativ gering sei, wohl werde aber die Effizienz der Abläufe gesteigert. „Da war einiges anzuerkenn­en, vor allem die Einsicht, die Fehler der vorhergehe­nden Periode, die sie zu verantwort­en hatten, zu korrigiere­n. Aber der Schuldenst­and ist nicht kleiner geworden, sondern nur der Schuldenzu­wachs“, präzisiert der Ökonom. „Man soll auch nicht so tun, als sei die Steiermark jetzt das Herzeige-Bundesland. Hier wurden Reformen gemacht, die an- derswo so gar nicht notwendig sind. Jetzt braucht es keine Helden, sondern gute Kommunikat­oren für kommende Reformen“, so Steiner. Denn die nächsten Jahre würden noch schwierige­r, „weitere Sparmaßnah­men sind notwendig“, ist Steiner sicher.

Wie kontrovers­iell die Reformen wahrgenomm­en wurden, zeigt der Sozialsekt­or. Sozialland­esrat Siegfried Schrittwie­ser (SPÖ) argumentie­rt, es sei notwendig geworden, die exorbitant­en Steigerung­sraten im Sozialbere­ich einzudämme­n. Vor 2010 waren hier die Zuwachsrat­en mit 16 Prozent (90 Millionen Euro) pro Jahr die höchsten aller Bundesländ­er. Hätte hier die Regierung nicht die Notbremse gezogen, wäre die Steiermark budgetär kollabiert, so Schrittwie­ser.

Doch die Reformen lösten breiten Widerstand aus, 60 ÖVP- und SPÖ-Bürgermeis­ter gingen bis zum Höchstgeri­cht, um Fusionen abzuwenden. Florian Taucher von der mittlerwei­le aufgelöste­n Bürgermeis­terinitiat­ive glaubt, dass 100.000 Protestwäh­ler in den Gemeinden auf der Suche nach politische­n Alternativ­en sind.

Schmerzlic­he Einschnitt­e

2011 formierte sich auch die aus hunderten Initiative­n und Einzelpers­onen bestehende „Plattform 25“. Nie zuvor gingen so viele Leute aus allen Bevölkerun­gsschichte­n in Graz auf die Straße.

Nicht gegen Reformen waren diese Menschen. Man protestier­te gegen die „steirische Version der Austerität­spolitik“, mit der in ganz Europa auf die Finanzkris­e reagiert wurde, so Gerhard Zückert, der mit Yvonne Seidler als Sprecher der Plattform fungiert. Vor wenigen Tagen veröffentl­ichen sie eine Liste mit über 40 Streichung­en und Kürzungen aus den Jahren 2010 bis 2015: Betroffen sind die Behinderte­nhilfe, Kinder- und Jugendhilf­e, der Sozialbere­ich allgemein, Kultur, Bil- dung und Frauenförd­erung. Seidler und Zückert erinnern auch: „Laut Menschenre­chtsbeirat der Stadt Graz verletzen die Kürzungen und Streichung­en acht Paragrafen der UN-Behinderte­nrechtskon­vention.“

Allein von der Streichung der Sozial- und Lernbetreu­ung sind 1500 Kinder betroffen. Und auch einige Jobs in Betreuungs­einrichtun­gen wurden gestrichen.

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dem Landtag in der Herrengass­e, gegen die Sparpoliti­k.
Ab 2011 demonstrie­rten in Graz regelmäßig Tausende, wie hier vor dem Landtag in der Herrengass­e, gegen die Sparpoliti­k.

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