Das Burgenland und sein Kreuz des Südens
Das Südburgenland war 1994 entscheidend dafür, dass das ganze Land den Ziel-1-Status erhielt. Heute fühlen sich die Bezirke Oberwart, Güssing und Jennersdorf von der Landespolitik benachteiligt. Im Wahlkampf war das höchstens ein Randthema.
Junge Menschen werden es kaum glauben mögen: Aber tatsächlich waren die Burgenländerinnen und Burgenländer geradezu EU-euphorisch. Drei Viertel der von toter Grenze und ökonomischer Unterentwicklung so geschurigelten Grenzländer haben im Juni 1994 für den EU-Beitritt gestimmt. Das war deutlich überm ohnehin schon hohen Österreich-Schnitt von knapp 67 Prozent. Und es hat sich ausgezahlt. In den vergangenen 20 Jahren floss eine runde Milliarde Euro aus Brüssel ins Land, aufgedoppelt durch Bund und Land, wurden so Investitionen im Gesamtvolumen von vier Milliarden ausgelöst. Heute ist das Burgenland eine moderne und florierende – im Norden gar hochmoderne und prosperierende – Region. Im Wahlkampf freilich war davon kein Wort zu hören. Eines des Dankes schon überhaupt nicht.
Stattdessen redete man sich sogar im Nationalrat den Mund flockig über den Uhudler. Alle, sogar die Grünen, wollten den Direktträgerwein retten vorm EU-Diktat. Als wäre es tatsächlich Brüssel und nicht das heimische Weingesetz 1992 (!), das den Anbau des als Rabiatperle und Heckenklescher verschrienen Weingewächses mit 2030 limitiert hat.
Der Rote Christian Illedits – in vorderster Linie der Uhudler-Ritter und -Retter – hat denn auch in einem klaren Moment eingeräumt, dass halt im Trubel der Beitrittsverhandlungen 1994 auf die Unterschutzstellung des „identitätsstiftenden Kultgetränks“schlicht vergessen wurde.
Vergessen wie das Südburgenland insgesamt, wie viele – nein, alle – Südburgenländer meinen. Tatsächlich hat es ja etwas Hochironisches, dass im Wahlkampf 2015 – der sich vom kuschenden linken Flügerl der SPÖ bis zum rechten Rand der FPÖ über EUUngeheuerlichkeiten das Maul zerrissen hat – wieder das Südburgenland hat herhalten müssen.
Hilfreiches Elend
So wie damals, als der Vorgänger von Landeshauptmann Hans Niessl, Karl Stix, die Brüssler FactFinding-Missions mit Vorliebe durchs Land hinter Güssing, vor Heiligenkreuz und unterhalb von Jennersdorf geleitete. Beeindruckt vom Elend, erhielt das ganze Burgenland den so lukrativen Ziel-1Status. Mit einem klaren Auftrag: Abbau der ökonomischen Disparität zwischen Nord und Süd.
Zwei Perioden und eine Phasing-out-Periode später hat sich an der nicht viel geändert. Im Gegenteil. Der Norden boomt, der Süden jammert über Eisenstädter Missachtung. Allerdings verweisen die Eisenstädter mit einigem Recht darauf, dass der Süden – „Steirisch-Kongo“nennen ihn die Bösen und Unkorrekten – einen um fünf Prozent höheren Fördersatz hat vergeben dürfen. Es klang achselzuckend, als Hans Niessl bei der ORF-Elefantenrunde einen einschlägigen Vorwurf mit dem Argument konterte, ein Fördereuro multipliziere sich im Norden eben deutlich höher.
Wäre nicht gerade Wahlkampf, ließe sich an dieser Erkenntnis des Landeshauptmannes eine spannende Debatte über den wahren Wert von monetärem Fördern starten. Unter der Hand – in Nichtwahlzeiten zuweilen auch coram publico – sagt eh jeder, dass das entscheidende Datum fürs Burgenland nicht 1995 mit dem EUBeitritt war, sondern 1989 mit der Öffnung der Grenzen, deren Offenheit nun der Landeshauptmann im Chor mit dem FP-Chef so bitterlich beklagt.
Nur die offene Grenze hat es aber ermöglicht, dass das Niemandsland zwischen Wien und Bratislava sich einklinken konnte in die nunmehr so dynamische Region, die über Győr bis nach Budapest reicht. Durch die Armut des Landessüdens kam der Norden, der damals schon weit über dem Grenz-BIP-Satz von 75 Prozent des EU-Schnitts gelegen ist, dann zusätzlich in den Genuss von Höchstförderungen.
Wachstumsschmerzen
Orte wie Kittsee, Parndorf oder das unlängst beinahe pleitegegangene Neusiedl plagen seither Wachstumsschmerzen. Unten in Güssing und Jennersdorf flüchten dagegen die Jungen. Und dass zum Beispiel die Grünen so vehement und verbissen gegen die S 7, die hochrangige Straßenverbindung von der A 2 zur Grenze und damit dem Industriepark Heiligenkreuz kämpfen, hilft den schrumpfenden Gemeinden genauso wenig wie die hohe Wohnbauförderung.
Im Jahr 1929, acht Jahre nach der Österreichischwerdung des Landes, beschrieb ein hellsichtiger Autor im den Landessüden so: „Der Oberwarter Bezirk gravitiert nach Wien. Der Jennersdorfer Bezirk gravitiert nach der Steiermark. Und der Güssinger Bezirk – will uns scheinen – gravitiert überhaupt nicht: er vegetiert höchstens.“
Das mit dem Vegetieren ist ein wenig scharf formuliert. Aber sonst? Sonst hat sich daran auch nach 20 Höchstförderjahren kaum was geändert. Im hintersten Güssinger Land, in Bildein, hat sch ein Brief der Bildeiner von 1919 an den Völkerbund erhalten. Er gibt den Friedensverhandlern in SaintGermain zu bedenken: „Ohne Szombathely können wir nicht leben.“Auch daran hat sich wenig geändert. Doch über so was will man in Eisenstadt – aber auch in Budapest – nicht reden.