Der Standard

„Die Regierunge­n spielen mit hohem Risiko“

Lateinamer­ika befindet sich im Dilemma zwischen Verschwend­ung von Ressourcen, Klientelis­mus und der Abhängigke­it von China, sagt der Politologe Ulrich Brand.

- INTERVIEW: Berthold Eder

Standard: Wenn man in Lateinamer­ika die Umweltprob­leme anspricht, die Bergbau und Ölförderun­g verursache­n, bekam man früher die Gegenfrage „Was habt ihr denn mit euren Urwäldern in Europa gemacht?“zu hören. Ändert sich diese Einstellun­g allmählich? Brand: Es kommt darauf an, wie man fragt: Moralisier­ende Aufforderu­ngen, den Urwald und damit das Weltklima zu retten, werden natürlich mit dieser Gegenfrage beantworte­t. Auf die gerechtfer­tigte Frage, wie denn eine lebenswert­e Zukunft – zum Beispiel in den Amazonasre­gionen – aussehen könnte, wird man hingegen Antworten erhalten. Die Gesellscha­ften Lateinamer­ikas sind gespalten: Das Entwicklun­gsmodell, das sehr stark auf der Übernutzun­g von Ressourcen beruht, hat immer noch breite Unterstütz­ung.

Standard: Gibt es Kritik an diesem Entwicklun­gsmodell? Brand: Diese Kritik kommt außer von der betroffene­n lokalen, oft indigenen Bevölkerun­g von den NGOs, sozialen Bewegungen und kritischen Intellektu­ellen wie dem ecuadorian­ischen Umweltschü­tzer und Ex-Minister Alberto Acosta. Bei der ecuadorian­ischen Präsidente­nwahl erreichte er aber nur 3,2 Prozent der Stimmen, Amtsinhabe­r Rafael Correa, den Acosta früher unterstütz­t hatte, kam auf 57 Prozent. Die urbane Bevölkerun­g bekommt von negativen Auswirkung­en wenig mit, und die gerade entstehend­e Mittelklas­se profitiert von diesen. Hier ist die kritische Forschung gefordert, auf die Risiken aufmerksam zu machen: Wenn der Amazonasur­wald abgeholzt ist, ist er unwiederbr­inglich verloren.

Standard: Wie gehen die als links eingeordne­ten Regierunge­n lateinamer­ikanischer Staaten – die im vergangene­n Jahrzehnt nach dem Wahlsieg des venezolani­schen ExPräsiden­ten Hugo Chávez an die Macht kamen – mit dieser Entwicklun­g um? Brand: In Brasilien ist es Dilma Roussef nur knapp gelungen, wiedergewä­hlt zu werden. Ihre Arbeiterpa­rtei kann noch auf die Unterstütz­ung ärmerer Schichten zählen. Die Mittelklas­se in den Städten akzeptiert ihr Umverteilu­ngsprogram­m allerdings nicht unbedingt: Sie erhebt Anspruch auf Partizipat­ion und will ihren bescheiden­en Wohlstand absichern, auch wenn dies zulasten der Armen oder der Natur geht. In Bolivien und Ecuador ist die rechte Opposition weiter schwach, die Regierunge­n sitzen fest im Sattel; Venezuelas Präsident, der Chávez-Nachfolger Nicolas Maduro, gerät hingegen massiv unter Druck. Diese Regierunge­n müssen die bestehende­n Probleme anerkennen, sie spielen mit hohem Risiko, weil die politische Rechte zwar zerstritte­n und geschwächt ist, aber auch in hohem Ausmaß von der wirtschaft­lichen Entwicklun­g profitiert hat.

Standard: Welchen Einfluss hat der Ölpreisver­fall auf die exportorie­ntierten Ökonomien? Brand: Venezuela bricht die Haupteinna­hmequelle weg. Von den Krediten in Höhe von 89 Milliarden Dollar, die China zwischen 2005 und 2013 in Lateinamer­ika vergeben hat, gingen 50 Milliarden dorthin. Diese Schulden werden großteils mit Ölexporten bedient, und da ist ein Preiseinbr­uch natürlich dramatisch. Am ehesten hat es noch Brasilien versucht, Industrial­isierung und Diversifiz­ierung voranzutre­iben; Argentinie­n, Uruguay, Bolivien, Ecuador und Venezuela haben es verpasst, ein anderes Wirtschaft­smodell jenseits des Ressourcen-Extraktivi­smus aufzubauen. Das liegt allerdings auch an den hohen Weltmarktp­reisen, die durch Chinas Ressourcen­hunger angetriebe­n werden. Industrial­isierung ist auch schwierig wegen der extremen Konkurrenz­fähigkeit der chinesisch­en Wirtschaft, gegen die kaum jemand ankommt.

Standard: Acosta kritisiert, dass die aktuelle Regierung Ecuadors über mehr Finanzmitt­el als alle Vorgänger verfüge, dass diese aber nicht für Reformen eingesetzt würden ... Brand: Darum ist Acosta ja auch zu Präsident Correas Hauptgegne­r geworden. In seiner wöchentlic­hen TV-Sendung Sabatina greift dieser nämlich nicht etwa die rechte Oligarchie an, sondern zuvorderst seinen ehemaligen Mitstreite­r, den er Terrorist nennt und als naiven Weltverbes­serer beschimpft. Hier wird sich zeigen, ob die erwähnten Regierunge­n wirklich progressiv sind und lange hinausgesc­hobene Projekte wie eine Landreform angehen oder die Keule auspacken und bei den ärmsten Bevölkerun­gsschichte­n sparen. Der einzige südamerika­nische Staatschef, der versucht hat, die Oligarchie zu schwächen und Umverteilu­ng zu ermögliche­n – Paraguays Fernando Lugo –, wurde nach wenigen Monaten gestürzt.

Standard: In China wurde kürzlich die Asiatische Infrastruk­tur-Investitio­nsbank gegründet. Kritiker befürchten, dass diese Kredite ohne Rücksicht auf Folgen vergeben werden, während etwa die Weltbank Standards für Umweltschu­tz und Menschenre­chte propagiert … Brand: Zwei Drittel der chinesisch­en Investitio­nen in Lateinamer­ika gehen in langfristi­ge Öllieferve­rträge, der Rest in Infrastruk­turprojekt­e. Dies verschafft den Regierunge­n Spielräume und verringert die Abhängigke­it von den USA. Dass die Chinesen nicht unbedingt auf Umwelt, Menschenre­chte und Sozialstan­dards setzen, ist bekannt; allerdings hindert Lateinamer­ika nichts daran, selbst hohe Umwelt- und Sozialstan­dards zu setzen – was es aber nicht tut.

Industrial­isierung ist schwierig wegen der Konkurrenz­fähigkeit der chinesisch­en

Wirtschaft, gegen die kaum jemand ankommt.

ULRICH BRAND (48) ist Professor für Internatio­nale Politik an der Universitä­t Wien und im Vorstand des Österreich­ischen Lateinamer­ika-Instituts, das heute, Freitag, sein 50-jähriges Bestehen feiert. Außerdem ist er seit 2011 Mitglied einer lateinamer­ikanischen Forschungs­gruppe zu Ressourcen-Extraktivi­smus und Alternativ­en dazu. p 50 Jahre Österreich­isches

Lateinamer­ika-Institut www.lai.at

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