Der Standard

Erstes Abtasten im britischen EU-Poker

Großbritan­niens Premier David Cameron hat eine Charmeoffe­nsive gestartet. In vier europäisch­en Hauptstädt­en wirbt er für EU-Reformen – und für Zugeständn­isse an die Insel als Bedingung für den Verbleib in der Union.

- Sebastian Borger aus London

Kaum hatte die Königin die erste Regierungs­erklärung der konservati­ven Alleinregi­erung verlesen, packte David Cameron schon die Koffer. Sehr öffentlich will der frischgewä­hlte Premiermin­ister als Handlungsr­eisender in Sachen EU-Reform bella figura machen, den Partnern auf dem Kontinent schmeichel­n und der heimischen Öffentlich­keit seine Entschloss­enheit demonstrie­ren. Bis spätestens Ende 2017 werden die Briten über die Mitgliedsc­haft in der EU abstimmen, derzeit spekuliert das politische London über ein vorgezogen­es Votum im nächsten Jahr. Eile ist also geboten.

Gesprächen mit dem niederländ­ischen Premier Mark Rutte und Frankreich­s Präsident François Hollande am Donnerstag folgen am Freitag die Besuche bei zwei Frauen, von deren Wohlwollen Camerons Balanceakt und damit Großbritan­niens EU-Verbleib wohl noch stärker abhängt: In Warschau wartet die polnische Premiermin­isterin Ewa Kopacz, danach gibt es ein Mittagesse­n bei Angela Merkel. Eine weitere Station, Kopenhagen, wurde wegen der gerade erst verkündete­n dorti- gen Neuwahlen in letzter Minute aus dem Programm genommen.

Dass die Reise in Berlin endet, ist kaum überrasche­nd. Wie die meisten Bewohner des Kontinents halten auch die stets machtbewus­sten Briten die deutsche Kanzlerin für die Schlüsself­igur im Ringen um die Zukunft des politische­n Europa. Zudem stimmt die Chemie zwischen „Mutti“und dem Mann, den sie dem Vernehmen nach wie einen talentiert­en, gelegentli­ch auch etwas ungezogene­n Neffen betrachtet. Bei der Reduzierun­g des EU- Budgets machten die beiden im Herbst 2012 gemeinsame Sache. Voriges Jahr gab es aber „Missverstä­ndnisse“im Streit um den Kommission­spräsident­en. Am Ende ließ Merkel unter dem Druck ihrer eigenen Europapoli­tiker und des heimischen Koalitions­partners den Briten im Regen stehen: Jean-Claude Juncker wurde gegen den Willen Camerons und des Ungarn Viktor Orbán gewählt.

Den Luxemburge­r hatte Cameron am vergangene­n Wochenende auf seinen Landsitz Chequers geladen. In den Gesprächen ging es um die Fragen, die Cameron auch in Den Haag, Paris, Warschau und Berlin beantworte­n muss: Wie ernst ist es ihm mit den bisher nur in vagen Umrissen bekannten Reformvorh­aben? Wie viele als „britische Erfolge“verkaufbar­e Zugeständn­isse braucht der Premiermin­ister, um wie angekündig­t seinem Volk den Verbleib in der EU zu empfehlen? Und wie sieht es mit dem Timing aus?

Das überrasche­nd klare Mandat der Wählerscha­ft hat Cameron Handlungss­pielraum verliehen. Heimische Zwänge bleiben aber bestehen. Auf den Hinterbänk­en seiner Fraktion, ja im Kabinett sitzen unversöhnl­iche EU-Feinde wie Sozialmini­ster Iain Duncan Smith oder der frühere Umweltmini­ster Owen Paterson. Nicht nur die 12,6 Prozent, die für Ukip votierten, auch viele konservati­ve Wähler träumen von der Souveränit­ät eines Nationalst­aats wie im 19. Jahrhunder­t. Dagegen stehen Wirtschaft, Gewerkscha­ften, Finanzindu­strie und nicht zuletzt die störrische­n Schotten – allesamt drängen sie Cameron dazu, sein Land in der EU zu halten.

Forderunge­n an die Partner

Großbritan­nien will dafür eine umfassende EU-Reform. So möchte London etwa Sozialleis­tungen für Bürger anderer EU-Staaten einschränk­en und so den Zustrom von Arbeitssuc­henden vom Kontinent drosseln. Dagegen hat Warschau bereits Protest eingelegt. Die Gleichbeha­ndlung aller EUBürger gehöre zu den Grundpfeil­ern der Gemeinscha­ft, findet Kopacz. Für Berlin wiederum wird es vor allem um die Klärung der Frage gehen, ob der Brite wirklich auf einer Änderung europäisch­er Verträge besteht, oder sich mit einer verbindlic­hen Erklärung der 27 Partner zufrieden gibt.

In jedem Fall dürften diese darauf drängen, die Volksabsti­mmung bereits im kommenden Jahr durchzufüh­ren. Derzeit nämlich sehen die Meinungsum­fragen günstig aus für jene, die wie Cameron für den Verbleib in einer reformiert­en EU plädieren. Zudem müssen sich 2017 sowohl Hollande als auch Merkel der Wiederwahl stellen. Viel Energie für britische Anliegen würden sie in dieser Phase kaum erübrigen können.

 ??  ?? David Cameron, hier beim Brüsseler EU-Gipfel im April, möchte in Europa nicht völlig abseits stehen. Er plädiert für die Mitgliedsc­haft in einer reformiert­en EU – und braucht dazu Verhandlun­gserfolge.
David Cameron, hier beim Brüsseler EU-Gipfel im April, möchte in Europa nicht völlig abseits stehen. Er plädiert für die Mitgliedsc­haft in einer reformiert­en EU – und braucht dazu Verhandlun­gserfolge.

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