Erstes Abtasten im britischen EU-Poker
Großbritanniens Premier David Cameron hat eine Charmeoffensive gestartet. In vier europäischen Hauptstädten wirbt er für EU-Reformen – und für Zugeständnisse an die Insel als Bedingung für den Verbleib in der Union.
Kaum hatte die Königin die erste Regierungserklärung der konservativen Alleinregierung verlesen, packte David Cameron schon die Koffer. Sehr öffentlich will der frischgewählte Premierminister als Handlungsreisender in Sachen EU-Reform bella figura machen, den Partnern auf dem Kontinent schmeicheln und der heimischen Öffentlichkeit seine Entschlossenheit demonstrieren. Bis spätestens Ende 2017 werden die Briten über die Mitgliedschaft in der EU abstimmen, derzeit spekuliert das politische London über ein vorgezogenes Votum im nächsten Jahr. Eile ist also geboten.
Gesprächen mit dem niederländischen Premier Mark Rutte und Frankreichs Präsident François Hollande am Donnerstag folgen am Freitag die Besuche bei zwei Frauen, von deren Wohlwollen Camerons Balanceakt und damit Großbritanniens EU-Verbleib wohl noch stärker abhängt: In Warschau wartet die polnische Premierministerin Ewa Kopacz, danach gibt es ein Mittagessen bei Angela Merkel. Eine weitere Station, Kopenhagen, wurde wegen der gerade erst verkündeten dorti- gen Neuwahlen in letzter Minute aus dem Programm genommen.
Dass die Reise in Berlin endet, ist kaum überraschend. Wie die meisten Bewohner des Kontinents halten auch die stets machtbewussten Briten die deutsche Kanzlerin für die Schlüsselfigur im Ringen um die Zukunft des politischen Europa. Zudem stimmt die Chemie zwischen „Mutti“und dem Mann, den sie dem Vernehmen nach wie einen talentierten, gelegentlich auch etwas ungezogenen Neffen betrachtet. Bei der Reduzierung des EU- Budgets machten die beiden im Herbst 2012 gemeinsame Sache. Voriges Jahr gab es aber „Missverständnisse“im Streit um den Kommissionspräsidenten. Am Ende ließ Merkel unter dem Druck ihrer eigenen Europapolitiker und des heimischen Koalitionspartners den Briten im Regen stehen: Jean-Claude Juncker wurde gegen den Willen Camerons und des Ungarn Viktor Orbán gewählt.
Den Luxemburger hatte Cameron am vergangenen Wochenende auf seinen Landsitz Chequers geladen. In den Gesprächen ging es um die Fragen, die Cameron auch in Den Haag, Paris, Warschau und Berlin beantworten muss: Wie ernst ist es ihm mit den bisher nur in vagen Umrissen bekannten Reformvorhaben? Wie viele als „britische Erfolge“verkaufbare Zugeständnisse braucht der Premierminister, um wie angekündigt seinem Volk den Verbleib in der EU zu empfehlen? Und wie sieht es mit dem Timing aus?
Das überraschend klare Mandat der Wählerschaft hat Cameron Handlungsspielraum verliehen. Heimische Zwänge bleiben aber bestehen. Auf den Hinterbänken seiner Fraktion, ja im Kabinett sitzen unversöhnliche EU-Feinde wie Sozialminister Iain Duncan Smith oder der frühere Umweltminister Owen Paterson. Nicht nur die 12,6 Prozent, die für Ukip votierten, auch viele konservative Wähler träumen von der Souveränität eines Nationalstaats wie im 19. Jahrhundert. Dagegen stehen Wirtschaft, Gewerkschaften, Finanzindustrie und nicht zuletzt die störrischen Schotten – allesamt drängen sie Cameron dazu, sein Land in der EU zu halten.
Forderungen an die Partner
Großbritannien will dafür eine umfassende EU-Reform. So möchte London etwa Sozialleistungen für Bürger anderer EU-Staaten einschränken und so den Zustrom von Arbeitssuchenden vom Kontinent drosseln. Dagegen hat Warschau bereits Protest eingelegt. Die Gleichbehandlung aller EUBürger gehöre zu den Grundpfeilern der Gemeinschaft, findet Kopacz. Für Berlin wiederum wird es vor allem um die Klärung der Frage gehen, ob der Brite wirklich auf einer Änderung europäischer Verträge besteht, oder sich mit einer verbindlichen Erklärung der 27 Partner zufrieden gibt.
In jedem Fall dürften diese darauf drängen, die Volksabstimmung bereits im kommenden Jahr durchzuführen. Derzeit nämlich sehen die Meinungsumfragen günstig aus für jene, die wie Cameron für den Verbleib in einer reformierten EU plädieren. Zudem müssen sich 2017 sowohl Hollande als auch Merkel der Wiederwahl stellen. Viel Energie für britische Anliegen würden sie in dieser Phase kaum erübrigen können.