Der Standard

Ethnische Konflikte bedrohen Koalition in Sofia

Rechte macht türkischst­ämmige Partei für Probleme mit Roma verantwort­lich

- Markus Bernath

Sofia/Athen – Gewalttäti­ge Zusammenst­öße zwischen ethnischen Bulgaren und Angehörige­n der Roma-Minderheit in einem Dorf im Südwesten des Landes belasten nun den Zusammenha­lt der Mehrpartei­enkoalitio­n in Sofia. Der Führer der rechtsnati­onalistisc­hen Patriotisc­hen Front, Waleri Simeonow, hat Regierungs­chef Boiko Borissow ein Ultimatum bis 1. Juli zur Erfüllung eines Katalogs von Forderunge­n gestellt. An oberster Stelle steht dabei die sofortige Zerstörung aller illegal errichtete­n Häuser im Roma-Viertel des Dorfes Garmen.

Dort wurden sieben Bewohner verletzt, als Roma und Bulgaren am vergangene­n Wochenende mit Hacken und Äxten aufeinande­r losgingen. Die Polizei hält seither die beiden Volksgrupp­en auseinande­r. Für kommenden Dienstag haben die Bulgaren in dem Dorf und im weiteren Umkreis einen Massenprot­est gegen die Roma angekündig­t. Garmen liegt eine halbe Autostunde von der griechisch­en Grenze entfernt.

Ein großer Teil der „Zigeuner“habe gelernt zu sagen, „ich habe keine Arbeit, also stehle ich. Ich habe kein Brot, also töte ich“, sagte Simeonow diese Woche in einem Interview mit der bulgarisch­en Nachrichte­nagentur Fokus. Regierunge­n im EU-Land Bulgarien werden seit 2009 von rechtsextr­emen oder rechtsnati­onalistisc­hen Kräften mitgetrage­n.

Die Patriotisc­he Front, aber auch der rechtslibe­rale Reformerbl­ock, der mit sieben Ministern an der Regierung beteiligt ist, hat aber eigentlich die andere Minderheit im Land im Blick – die tür- kischstämm­igen Bulgaren und deren bevorzugte politische Vertretung, die Wirtschaft­spartei DPS. Ihr gehört auch der Oligarch Deljan Peewski an, dessen kurzzeitig­e Wahl zum Geheimdien­stchef im Sommer 2013 monatelang­e Straßenpro­teste und schließlic­h den Sturz der damaligen Koalitions­regierung von Sozialiste­n und DPS nach sich zog.

Dauervorwu­rf Stimmenkau­f

Der DPS wird seit Jahren vorgeworfe­n, jene Partei zu sein, die bei Wahlen am meisten Stimmen unter den Roma kauft und sich dadurch ihre Macht im Land sichert. Auch das Dorf Garmen wird von einer DPS-Bürgermeis­terin vertreten. Die DPS trichtere den „Zigeunern“ein, dass sie nur Rechte hätten, erklärte Simeonow in dem Interview mit Fokus, sie habe die Roma zu „perfekten Parasiten unserer Gesellscha­ft“gemacht. Die Roma-Gettos in Bulgarien würden absichtlic­h geduldet, behauptete der Vorsitzend­e des Reformerbl­ocks, Radowan Kanew; „Diese Lebensweis­e der Roma-Gemeinscha­ft wird politisch unter- stützt, denn nur ungebildet­e und sozial in Not gebrachte Menschen neigen leicht dazu, ihre Stimmen bei Wahlen zu verkaufen.“Im Oktober stehen in Bulgarien wieder Kommunalwa­hlen an.

Die Patriotisc­he Front hat Regierungs­chef Borissow bereits vergangene­n November mit dem Entzug der Unterstütz­ung gedroht, als ein Vertreter der türkisch-stämmigen Volksgrupp­e den Posten eines Vizevertei­digungsmin­isters erhielt. Borissow, der bekannt dafür ist, Probleme auszusitze­n oder nötigenfal­ls abrupt seine Ansicht zu ändern, dürfte nun auch diese Krise meistern. Die ethnisch-politische­n Spannungen fallen allerdings in eine Zeit, wo die bulgarisch­e Regierung erstmals zu einer bedeutende­n Reform des Justizwese­ns ansetzt.

Verfassung­sänderung geplant

Dabei geht es vor allem um die Teilung des immer wieder von Korruption­sskandalen erschütter­ten obersten Selbstverw­altungsorg­an der Judikative in einen Rat der Richter und einen Rat der Staatsanwä­lte. Dafür muss die bulgarisch­e Verfassung geändert werden. 132 Abgeordnet­e stützen bisher die geplanten Änderungen, mindestens 160 Stimmen sind jedoch notwendig. Sie könnten von einigen Sozialiste­n kommen.

Der Abriss der Roma-Siedlung im Dorf Garmen, wie ihn sich die Patriotisc­he Front vorstellt, wird sich derweil nicht so leicht gestalten: Bulgarisch­en Medienberi­chten zufolge ist zumindest ein Teil der Häuser im Roma-Viertel von Garmen aus EU-Mitteln gebaut worden. Baugenehmi­gungen gab es, soll das Innenminis­terium in Sofia festgestel­lt haben.

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Foto: EPA / Stoyan Nenov Rechtsprem­ier Borissow soll Roma-Häuser abreißen lassen.

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