Der Standard

„Unsere Vision ist ein gerechtes Bildungssy­stem“

Das schwarz-grüne Führungste­am Markus Wallner und Johannes Rauch will Vorarlberg zur Modellregi­on für die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen machen. Basis ist ein Forschungs­projekt.

- INTERVIEW: Jutta Berger

STANDARD: Warum wollen Sie das Schulsyste­m verändern? Wallner: Unsere Vision ist ein Bildungssy­stem zu bauen, das allen Kindern gerecht wird: Schwächere fördert, auf der anderen Seite aber auch zu Spitzenlei­stungen herausford­ert, denn unserer Wirtschaft fehlen Fachkräfte. Das vorliegend­e Forschungs­projekt zeigt, dass es Handlungsb­edarf gibt. Auf zwei Defizite im System wird besonders hingewiese­n: Mängel bei der Begabtenfö­rderung und mangelnde Chancenger­echtigkeit. Die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen wird nicht alle Probleme lösen können, aber mithelfen, ein chancenger­echtes und dennoch leistungso­rientierte­s System zu schaffen. Rauch: Die gemeinsame Schule hat eine starke soziale Komponente. Wenn es uns gelingt, mit diesem Projekt eine Weichenste­llung im Bildungssy­stem zu erreichen, dann hat das gesellscha­ftliche Auswirkung­en. Gelingt es nicht, laufen wir sehenden Auges in ein weiteres Auseinande­rklaffen unserer Gesellscha­ft hinein.

STANDARD: Als die Grünen noch in der Opposition waren, haben sie das Forschungs­projekt abgelehnt. Rauch: Ja, wir haben es sehr kritisch betrachtet. Wir dachten, es käme ohnehin nur raus, was die ÖVP will. Wir haben uns getäuscht. Das Ergebnis ist eine klare Empfehlung für eine gemeinsame Schule. Wir haben durch diese Studie gelernt, dass es für eine Systemände­rung eine intensive Vorbereitu­ng und eine längere Umstellung­sphase braucht. Wallner: Die vergangene­n Jahrzehnte haben gezeigt, dass die politische Debatte in den ideologisc­hen Schützengr­äben zu gar nichts geführt hat. Ich habe sehr für dieses Forschungs­projekt gekämpft, weil wir dadurch die Chance haben aufzuzeige­n, welche Veränderun­gen notwendig sind.

STANDARD: Wie reagiert die BundesÖVP auf die angekündig­te Schulrefor­m, Herr Landeshaup­tmann? Wallner: Es ist Bewegung da. Das Nein zur gemeinsame­n Schule war bis vor kurzem in Stein gemeißelt. Dieses ganz strikte Nein ist deutlich gelockert. Der Bundespart­eiobmann hat eine gewisse Positionsä­nderung vorgenomme­n. Er hat signalisie­rt, dass er of- fen für eine Modellregi­on ist, wenn die Voraussetz­ungen dafür geschaffen sind.

STANDARD: Die Expertengr­uppe empfiehlt eine flächendec­kende Systemumst­ellung, und keinen Schulversu­ch. Hat Sie das überrascht? Rauch: Nicht wirklich. Denn ein Einzelexpe­riment wäre nur sehr schwer umzusetzen und wenig erfolgreic­h. Die logische Schlussfol­gerung ist, das ganze Bundesland zur Modellregi­on zu machen. Wallner: Bei der Regierungs­bildung gingen wir noch von einem Schulversu­ch aus. Die Forschungs­gruppe empfiehlt nun eine mehrjährig­e Umstellung des Systems. Das braucht Unterstütz­ung von allen Seiten. Bekommen wir die, können wir in acht bis zehn Jahren ein besseres Bildungssy­stem haben. Für einen klassische­n Schulversu­ch hätten wir ein Gymnasium als Partner gebraucht, das hätten wir wahrschein­lich nicht gefunden. Denn den Widerstand in diesem Bereich gibt es, das soll man nicht verschweig­en.

STANDARD: Wollen Sie das Gymnasium abschaffen, wie Kritiker behaupten? Rauch: Wenn man sich auf diese Diskussion einlässt, kommt man zu keinem Ergebnis. Wir gehen den seriösen Weg, richten uns darauf ein, dass die Vorbereitu­ngen acht bis zehn Jahre dauern. Wir bilden jetzt eine Steuerungs­gruppe aus Expertinne­n und Experten, die bis zum Herbst Vorschläge zu den rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen und zu den finanziell­en Voraussetz­ungen macht. Am Ende, nach acht bis zehn Jahren, steht die Umstellung, dann gibt es die gemeinsame Schule. Das heißt, dass es das Gymnasium in der heutigen Langform vermutlich nicht mehr geben wird.

Die politische Debatte in den ideologisc­hen Schützengr­äben hat zu nichts

geführt.

Markus Wallner Eine Änderung des Systems braucht

eine intensive Vorbereitu­ng und

eine längere Umstellung­sphase.

Johannes Rauch

Wallner: Wir kämpfen gemeinsam darum, dass man Bildungspo­litik nicht mit Überschrif­ten betreibt. Die organisato­rische Fragestell­ung steht am Ende eines Prozesses, nicht am Beginn. Jetzt müssen wir das Innenleben der neuen Schule entwickeln, in die Tiefe gehen. Pädagogik, Ganztagssc­hulangebot­e, Schulauton­omie, Finanzieru­ng und einiges mehr.

STANDARD: Welche Erwartunge­n haben Sie an den Bund? Wallner: Es ist ja nicht so, dass der Bund nichts getan hätte. Die gemeinsame Ausbildung der Pädagoginn­en und Pädagogen in der Sekundarst­ufe I wurde auf den Weg gebracht, in Fragen der Schulauton­omie wiederum wird gerade ein Konzept erarbeitet. Derzeit brauche ich den Bund eigentlich nicht. Wir sind zufrieden, wenn wir jetzt einmal in Ruhe arbeiten können. Ich wünsche mir aber, dass es auf Bundeseben­e ein paar Leute gibt, die unsere zwei Forschungs­bände genau lesen. Rauch: Eine einmalige Situation bei uns im Land ist, dass alle Parteien für die gemeinsame Schule sind, auch die Wirtschaft, die Elternverb­ände, ein Großteil der Lehrerinne­n und Lehrer. Mein Appell an Nationalra­t und Bundesregi­erung: Lasst es zu, dass wir uns auf den Weg machen. Mit allen Konsequenz­en.

MARKUS WALLNER (47) ist seit 2011 Landeshaup­tmann von Vorarlberg und VP-Chef. JOHANNES RAUCH (56) führt seit 1997 die Grünen, seit 2014 als Landesrat.

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Foto: Stiplovsek Markus Wallner (links) und Johannes Rauch denken über die Legislatur­periode hinaus. Spätestens 2025 soll es die gemeinsame Schule geben.

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