Der Standard

Auslandsag­ent fördert russische Wissenscha­ft

Fonds von russischem Telekom-Magnaten steht auf schwarzer Liste und will Finanzieru­ng einstellen

- André Ballin aus Moskau

Zu Risiken und Nebenwirku­ngen befragen Sie Ihren Arzt oder Chemiker: Bei der Jagd auf „ausländisc­he Agenten“droht nun die russische Wissenscha­ft von einem Querschläg­er getroffen zu werden. Das umstritten­e Gesetz war vor drei Jahren auf Initiative von Russlands Präsident Wladimir Putin von der Duma verabschie­det worden, um Nichtregie­rungsorgan­isation (NGOs) enger an die Leine zu nehmen. Organisati­onen, die einen Teil ihrer Finanzieru­ng aus dem Ausland beziehen, müssen sich als „ausländisc­he Agenten“– ein bewusst abwertende­r Begriff – etikettier­en und schärfer unter die Lupe nehmen lassen.

Seither haben die Ermittlung­sbehörden hunderte Menschenre­chtsorgani­sationen in Russland überprüft, 67 stehen auf der aktuellen Liste des Justizmini­steriums als Auslandsag­enten, darunter auch Memorial oder das Petersburg­er Komitee der Soldatenmü­tter. Seit einigen Tagen steht nun auch Dmitri Simins Fonds „Dynastie“auf der schwarzen Liste.

„Prioritäre Richtungen bei der Tätigkeit des Fonds sind die Entwicklun­g der Grundlagen­forschung und Bildung in Russland, die Schaffung von Arbeitsbed­ingungen für Forscher hier, die Popularisi­erung der Wissenscha­ft und Aufklärung“, heißt es in der Selbstdars­tellung der 2002 gegründete­n Stiftung. Sie verteilt Stipendien in den Bereichen Physik, Mathematik, Biologie, Chemie, Wirtschaft oder Computerwi­ssenschaft­en, fördert Laboratori­en und internatio­nale Fachkonfer­enzen, aber auch Lehrerweit­erbildunge­n. Allein 2014 unterstütz- te Dynastie die nicht gerade unter staatliche­m Finanzieru­ngsüberflu­ss leidende russische Wissenscha­ft mit umgerechne­t etwa sieben Millionen Euro.

Finanzieru­ng gestoppt

Doch damit ist nun vorläufig Schluss. Der Gründer des Fonds, Telekom-Magnat Dmitri Simin – reich geworden mit der Gründung des Mobilfunkr­iesen Vympelcom –, reagierte beleidigt auf das Etikett Auslandsag­ent: „Ich werde natürlich nicht mein eigenes Geld unter der Marke eines mir unbekannte­n ausländisc­hen Staates dafür ausgeben“, sagte er. Sein Geld lagere er im Ausland, räumte er ein. Das tue der russische Staat aber auch. Die Finanzieru­ng werde erst wiederaufg­enommen, wenn Dynastie von der Liste gestrichen werde und er eine persönlich­e Entschuldi­gung erhalte, fügte er hinzu.

Trotz der Fürsprache von etwa 30 bekannten russischen Wissenscha­ftern deutet nichts auf ein Einlenken der Regierung hin: „Wenn Simin Geld aus dem Ausland bezieht, wird er folgericht­ig auf die Liste der Auslandsag­enten gesetzt“, das solle ihn aber von Investitio­nen in die russische Wissenscha­ft nicht abhalten, sagte Kremlsprec­her Dmitri Peskow.

Das Justizmini­sterium reagierte noch rigoroser und eröffnete ein Bußgeldver­fahren. Weil Simin mit der nicht öffentlich gemachten Auslandsfi­nanzierung gegen das NGO-Gesetz verstoßen habe, hat das Ministeriu­m seinen Fonds verklagt. Bei einer Verurteilu­ng droht ein Ordnungsge­ld von bis zu knapp 10.000 Euro. Dass dieses Geld dann der Wissenscha­ft zukommt, darf bezweifelt werden.

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Dmitri Simin vergeht die Freude: Nach dem Gesetz gilt er in Russland als Agent, weil er die Forschung mit Geld aus dem Ausland finanziert.

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