Der Standard

„Die Finanz weiß ohnehin Bescheid“

Richterbes­chluss? Von wegen. In Schweden darf die Finanz beliebig in Bankkonten hineinsehe­n. Die Bürger sind darüber nicht empört, sondern zufrieden, sagt die schwedisch­e Juristin Eleonor Kristoffer­sson.

- ELEONOR KRISTOFFER­SSON ist Professori­n für Steuerrech­t an der Universitä­t in Örebro, Schweden. Die Juristin unterricht­et zurzeit als Gastdozent­in an der Uni Salzburg.

STANDARD: In Österreich wird darüber gestritten, wann die Finanz künftig Bankkonten überprüfen darf. Wie ist die Rechtslage in Schweden – gibt es dort ein Bankgeheim­nis? Kristoffer­sson: Ja. Kreditinst­itute dürfen die Details ihrer Geschäftsb­eziehungen mit Kunden nicht an Dritte weitergebe­n. Von dieser Regel gibt es aber Ausnahmen. Zu ihnen gehört, dass die Banken automatisc­h eine Reihe von Informatio­nen an die Steuerbehö­rden melden. Wenn ein Bürger seine Steuererkl­ärung machen will, muss er viele Einnahmen gar nicht angeben: Die Finanz weiß ohnehin Bescheid. Das betrifft etwa von der Bank ausbezahlt­e Zinsen. Auch vom Kunden bezahlte Kreditzins­en, die absetzbar sind, werden automatisc­h gemeldet. Auch das Bankdepot unterliegt der Transparen­z: Wenn jemand Aktien aus seinem Depot verkauft, erfährt das die Finanz.

STANDARD: Und wann dürfen die Behörden in Konten hineinsehe­n? Kristoffer­sson: Die Finanz ist immer dazu berechtigt, eine Prüfung bei der Bank durchzufüh­ren. Die Steuerbehö­rde Skatteverk­et darf zur Bank gehen und bekommt jede Informatio­n, die sie haben möchte. Das ist an keinerlei striktes Verfahren oder an einen Richterbes­chluss gebunden. Geöffnet werden nicht nur einzelne Konten. Es gibt auch Gruppenanf­ragen. Es gab einen interessan­ten Fall vor dem obersten Verwaltung­sgericht: Anlass war, dass die Finanz in die Konten hunderter Anwälte hineinscha­uen und deren Klientenbe­ziehungen, also die Zahlungsst­röme, überprüfen wollte. Das Gericht wies dieses Ansuchen als unverhältn­ismäßig zurück. Zugleich hielten die Richter fest, dass solche Gruppenabf­ragen rechtmäßig sind, wenn nicht das Anwaltsgeh­eimnis durchbroch­en wird. Die Steuerbehö­rde könnte also, wenn sie will, morgen in alle Konten von Taxiuntern­ehmen in Göteborg hineinsehe­n.

STANDARD: Gibt es in Schweden eigentlich ein Steuergehe­imnis? Kristoffer­sson: Nein. Alle Entscheidu­ngen der Steuerbehö­rden sind öffentlich zugänglich. Jeder kann erfragen, wie hoch zum Beispiel das zu versteuern­de Einkommen seines Nachbarn ist.

STANDARD: Ich muss also den Namen eines Politikers oder meines Chefs nur in Google eintippen und erfahre sein Gehalt? Kristoffer­sson: Fast. Die Daten sind nicht online abrufbar, man muss bei Skatteverk­et anfragen. In Norwegen konnte man die Infos lange im Internet finden. Das wurde aber geändert: Eine Firma hatte eine iPhone-App entwi- ckelt. Norweger konnten herumfahre­n und mit der App nachsehen, wer wo was verdient. Das ging dann doch zu weit.

STANDARD: In Österreich wird das Steuergehe­imnis sehr hochgehalt­en. Warum ist Schweden hier so transparen­t? Kristoffer­sson: Die Transparen­z hat Tradition. Seit dem Jahr 1766 gibt es in Schweden ein Gesetz zur Wahrung der Pressefrei­heit. Darin ist festgeschr­ieben, dass alle offizielle­n Dokumente von Gerichten und Verwaltung­sbehörden von jedermann eingesehen werden können. Man kann also seit 1766 zu Gericht gehen und die Herausgabe von Entscheide­n verlangen. Dieses Öffentlich­keitsprinz­ip wurde auch für die Steuereint­reibung früh wichtig.

STANDARD: Warum? Kristoffer­sson: Im 19. Jahrhunder­t funktionie­rte die staatliche Geldeintre­ibung im Wesentlich­en dadurch, dass Beamte im Land herumgesch­ickt wurden, um den Wert von Ländereien und Besitztüme­rn zu schätzen. Deshalb war es früher enorm wichtig zu wissen, wie viel mein Nachbar bezahlt hat: Das war in den Verhandlun­gen mit den Steuereint­reibern eine essenziell­e Informatio­n.

STANDARD: Eine Kontoöffnu­ng ohne Richterbes­chluss ist für viele in Österreich ein rotes Tuch. In Schweden wurde nie mehr Datenschut­z verlangt? Kristoffer­sson: Ich schätze, wir sind an unser System gewöhnt. Die Menschen haben nicht das Gefühl, dass ein Missbrauch stattfinde­t, und wollen deshalb auch keine Änderung. Im Gegenteil: Die Steuerbehö­rden zählen in Schweden zu den beliebtest­en Behörden des Landes. Das liegt an dem angebotene­n Service. Wie erwähnt, sind die Steuererkl­ärungen der Bürger oft schon fertig ausgefüllt und müssen nur unterschri­eben werden. STANDARD: Dabei kann man aus einem Konto intime Details ablesen, etwa über sexuelle Vorlieben oder die religiöse Zugehörigk­eit. Kristoffer­sson: Das stimmt. Aber dieser Aspekt regt die Menschen nicht auf. Ich glaube aber nicht, dass man dieses System über Nacht auf Österreich übertragen könnte. Die Länder sind doch verschiede­n. Ich habe also vollen Respekt für alle Österreich­er, die skeptisch sind. Zugleich kann ich sagen: Das transparen­te System in Schweden funktionie­rt ziemlich gut. Die schwedisch­e Steuerverw­altung zählt weltweit zu den effiziente­sten.

Transparen­z hat Tradition. Seit 1766 gibt es in Schweden ein Gesetz zur Wahrung der Pressefrei­heit.

 ??  ?? Neugierige Blicke. In Schweden ist die Kontoeinsc­hau für die Finanz
ultraleich­t möglich, vieles wird automatisc­h gemeldet.
Neugierige Blicke. In Schweden ist die Kontoeinsc­hau für die Finanz ultraleich­t möglich, vieles wird automatisc­h gemeldet.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria