Lebensversicherer in Midlife-Crisis
Das derzeitige Zinsumfeld wird für klassische Lebensversicherungen immer mehr zum Problem, Experten sehen akuten Reparaturbedarf. Gleiches gilt auch für die staatlich geförderte Zukunftsvorsorge.
Wien – In Trippelschrittchen von jeweils einem Viertelprozentpunkt nähert sich der höchstzulässige Garantiezins von Lebensversicherungen immer mehr der Nulllinie an. Konkret dürften es ab 2016 nur noch 1,25 Prozent sein, die Versicherer ihren Kunden für neue Verträge fix zusagen dürfen. Dabei könnte sich der Garantiezins als Bestandteil der klassischen Lebensversicherung ohnedies bald als Auslaufmodell erweisen. In Österreich bietet die Uniqa etwa nur noch Verträge ohne Garantiezins an, was von den Kunden gut angenommen werde. Andere Assekuranzen bieten beide Varianten an, die Mehrzahl will dem Garantiezins aber treu bleiben.
Verbesserungsbedarf im Bereich der klassischen Lebensversicherung ortet Josef Graf, Vorstand der EFM Versicherungsmakler: „Die klassische Lebensversicherung in derzeitiger Form hat dringenden Entwicklungsbedarf.“Denn der Anlageerfolg, den die Branche für heuer mit drei bis 3,25 Prozent beziffert, werde im derzeitigen Zinsumfeld abnehmen. Bei bestehenden Lebensversicherungen mit höherem Garantiezins empfiehlt Graf, diese auch zu behalten.
Nullzinsumfeld als Novum
Neuabschlüsse von klassischen Lebensversicherungen sind für den Experten nur sinnvoll, wenn das Zinsniveau für 20 Jahre nahe null verharren würde. Graf glaubt zwar an eine sehr lange Niedrigzinsphase, gibt aber zu bedenken, dass Kunden dennoch das Risiko von Zinsanstiegen, das mit Kursverlusten bei Anleihen einhergehen würde, auf sich nehmen. Positive Überraschungen im Sinn ei- nes weiter sinkenden Zinsniveaus hält er hingegen für so gut wie ausgeschlossen.
„Man muss aufpassen, dass man ein Produkt, das sich seit 70 Jahren bewährt hat, nicht ohne Not schlechtredet“, hält Manfred Rapf, Sprecher für Lebensversicherungen im Versicherungsverband, dagegen. „Das Nullzinsumfeld ist für uns alle ein Novum, und wir werden uns an das Umfeld anpassen. Wir überlegen uns sehr genau, wie die klassische Lebensversicherung künftig aussehen kann.“Rapf erwartet, dass die Branche in den nächsten Jahren verschiedene Produktideen auf den Markt bringen werde, inklusive einer Lösung für die Garantie: „Wir glau- ben, dass ein kleiner Garantiezins besser ist als gar keiner.“
Für fondsgebundene Varianten der Lebensversicherung kann sich EFM-Chef Graf schon eher erwärmen: „Die Idee der fondsgebundenen Lebensversicherung ist nicht schlecht. Ich glaube, dass sie Zukunft hat.“Abhängig von Alter, Lebenssituation und persönlicher Risikoneigung rät der Versicherungsexperte bei Laufzeiten von über sieben Jahren fondsseitig zu einem hohen Aktienanteil. „Wenn die Restlaufzeit nur noch sieben oder weniger Jahre beträgt, würde ich von Aktien in Garantiefonds wechseln.“
Entgegen der häufig geäußerten Kritik an der staatlich geförderten Zukunfts- vorsorge sieht Graf diese als grundsätzlich taugliches Instrument für die Altersvorsorge. „Dabei handelt es sich um eine neue Produktkategorie. Sie sollte weiterentwickelt und nicht totgeredet werden“, sagt Graf im Gespräch mit dem STANDARD. Verbesserungsbedarf sieht er beispielsweise bei der Kapitalgarantie, die seiner Ansicht nach zu teuer ist und damit zu viel Rendite kostet.
Reform der Zukunftsvorsorge
In eine ähnliche Kerbe schlägt auch die österreichische Fondsbranche. Wie berichtet, will diese die bisher von der Versicherungswirtschaft dominierte Zukunftsvorsorge reformieren: Zu wenig flexibel und wegen der verpflichtenden Kapitalgarantie zu geringe Erträge, lautet auch die Kritik der Fondsanbieter. Ein für Anfang Mai bei Finanzminister Hans Jörg Schelling anberaumter Termin zur Reform der Zukunftsvorsorge wurde laut dem Branchenverband VÖIG wegen der damals akuten Finanznöte Kärntens abgesagt.
Die klassische Lebensversicherung in derzeitiger Form hat dringenden Entwicklungsbedarf. Josef Graf