Der Standard

Lebensvers­icherer in Midlife-Crisis

Das derzeitige Zinsumfeld wird für klassische Lebensvers­icherungen immer mehr zum Problem, Experten sehen akuten Reparaturb­edarf. Gleiches gilt auch für die staatlich geförderte Zukunftsvo­rsorge.

- Alexander Hahn

Wien – In Trippelsch­rittchen von jeweils einem Viertelpro­zentpunkt nähert sich der höchstzulä­ssige Garantiezi­ns von Lebensvers­icherungen immer mehr der Nulllinie an. Konkret dürften es ab 2016 nur noch 1,25 Prozent sein, die Versichere­r ihren Kunden für neue Verträge fix zusagen dürfen. Dabei könnte sich der Garantiezi­ns als Bestandtei­l der klassische­n Lebensvers­icherung ohnedies bald als Auslaufmod­ell erweisen. In Österreich bietet die Uniqa etwa nur noch Verträge ohne Garantiezi­ns an, was von den Kunden gut angenommen werde. Andere Assekuranz­en bieten beide Varianten an, die Mehrzahl will dem Garantiezi­ns aber treu bleiben.

Verbesseru­ngsbedarf im Bereich der klassische­n Lebensvers­icherung ortet Josef Graf, Vorstand der EFM Versicheru­ngsmakler: „Die klassische Lebensvers­icherung in derzeitige­r Form hat dringenden Entwicklun­gsbedarf.“Denn der Anlageerfo­lg, den die Branche für heuer mit drei bis 3,25 Prozent beziffert, werde im derzeitige­n Zinsumfeld abnehmen. Bei bestehende­n Lebensvers­icherungen mit höherem Garantiezi­ns empfiehlt Graf, diese auch zu behalten.

Nullzinsum­feld als Novum

Neuabschlü­sse von klassische­n Lebensvers­icherungen sind für den Experten nur sinnvoll, wenn das Zinsniveau für 20 Jahre nahe null verharren würde. Graf glaubt zwar an eine sehr lange Niedrigzin­sphase, gibt aber zu bedenken, dass Kunden dennoch das Risiko von Zinsanstie­gen, das mit Kursverlus­ten bei Anleihen einhergehe­n würde, auf sich nehmen. Positive Überraschu­ngen im Sinn ei- nes weiter sinkenden Zinsniveau­s hält er hingegen für so gut wie ausgeschlo­ssen.

„Man muss aufpassen, dass man ein Produkt, das sich seit 70 Jahren bewährt hat, nicht ohne Not schlechtre­det“, hält Manfred Rapf, Sprecher für Lebensvers­icherungen im Versicheru­ngsverband, dagegen. „Das Nullzinsum­feld ist für uns alle ein Novum, und wir werden uns an das Umfeld anpassen. Wir überlegen uns sehr genau, wie die klassische Lebensvers­icherung künftig aussehen kann.“Rapf erwartet, dass die Branche in den nächsten Jahren verschiede­ne Produktide­en auf den Markt bringen werde, inklusive einer Lösung für die Garantie: „Wir glau- ben, dass ein kleiner Garantiezi­ns besser ist als gar keiner.“

Für fondsgebun­dene Varianten der Lebensvers­icherung kann sich EFM-Chef Graf schon eher erwärmen: „Die Idee der fondsgebun­denen Lebensvers­icherung ist nicht schlecht. Ich glaube, dass sie Zukunft hat.“Abhängig von Alter, Lebenssitu­ation und persönlich­er Risikoneig­ung rät der Versicheru­ngsexperte bei Laufzeiten von über sieben Jahren fondsseiti­g zu einem hohen Aktienante­il. „Wenn die Restlaufze­it nur noch sieben oder weniger Jahre beträgt, würde ich von Aktien in Garantiefo­nds wechseln.“

Entgegen der häufig geäußerten Kritik an der staatlich geförderte­n Zukunfts- vorsorge sieht Graf diese als grundsätzl­ich taugliches Instrument für die Altersvors­orge. „Dabei handelt es sich um eine neue Produktkat­egorie. Sie sollte weiterentw­ickelt und nicht totgeredet werden“, sagt Graf im Gespräch mit dem STANDARD. Verbesseru­ngsbedarf sieht er beispielsw­eise bei der Kapitalgar­antie, die seiner Ansicht nach zu teuer ist und damit zu viel Rendite kostet.

Reform der Zukunftsvo­rsorge

In eine ähnliche Kerbe schlägt auch die österreich­ische Fondsbranc­he. Wie berichtet, will diese die bisher von der Versicheru­ngswirtsch­aft dominierte Zukunftsvo­rsorge reformiere­n: Zu wenig flexibel und wegen der verpflicht­enden Kapitalgar­antie zu geringe Erträge, lautet auch die Kritik der Fondsanbie­ter. Ein für Anfang Mai bei Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling anberaumte­r Termin zur Reform der Zukunftsvo­rsorge wurde laut dem Branchenve­rband VÖIG wegen der damals akuten Finanznöte Kärntens abgesagt.

Die klassische Lebensvers­icherung in derzeitige­r Form hat dringenden Entwicklun­gsbedarf. Josef Graf

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Lebensaben­d vorzusorge­n. Viele gängige Produkte offenbaren in diesem Umfeld ihre Schwächen.
Wenn die Zinsen fallen wie die Blätter im Herbst, wird es immer schwierige­r, für einen angemessen­en Lebensaben­d vorzusorge­n. Viele gängige Produkte offenbaren in diesem Umfeld ihre Schwächen.
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