Höhenangst auf der Spitze der Fahnenstange
Die goldenen Jahre für Anleiheninvestoren gehören wohl der Vergangenheit an. Staatsanleihen sind zwar keine Selbstläufer mehr, doch der Markt für Festverzinsliche bietet noch attraktive Nischen.
Wien/Frankfurt – Auf der einen Seite das milliardenschwere Anleihenkaufprogramm der EZB, andererseits steigende Inflationserwartungen in der Eurozone. „Die Situation ist sehr interessant, weil verschiedene Kräfte in unterschiedliche Richtungen zerren“, beschreibt Walter Liebe, Anlagespezialist von Pictet Asset Management, die Lage am Markt für europäische Staatsanleihen. Zwar hat sich das Beben, das die Rendite für zehnjährige, deutsche Bundesanleihen binnen weniger Wochen von 0,05 auf über 0,7 Prozent hochschießen ließ, weitgehend gelegt, die Nervosität am Markt wegen dieses Abverkaufs ist jedoch geblieben.
Gesunde Normalisierung
Kurzfristig erwartet Liebe angesichts der Anleihenkäufe der EZB keine weitere Verkaufswelle, denn „die EZB hat entschieden, dass bis September 2016 der Fuß am Gas bleibt. Dadurch gibt es einen Deckel nach oben bei den Renditen.“Platz für weitere Kurs- gewinne sieht er jedoch auch nicht, daher erwartet der PictetExperte für die zehnjährigen, deutschen Bundesanleihen, die als wichtigster Bezugspunkt auch die Verzinsung anderer Länder stark beeinflussen, eine Seitwärtsbewegung: „Die Rendite wird sich in einer Handelsspanne zwischen null und 0,8 Prozent bewegen.“
Auch für Andreas Riegler, Leiter des Anleihenteams der Raiffeisen KAG, sind die fetten Jahre für Staatsanleihen vorbei: „Die Erträ- Allen voran europäische Staatsanleihen bieten nur noch minimale Renditen. Platz nach oben räumen Experten dem Markt nicht mehr ein, Alternativen sind gefragt. ge der letzten zehn bis 15 Jahre sind so nicht mehr zu erwarten, das wäre komplett unrealistisch.“Was er als Normalisierung am Markt für Staatsanleihen interpretiert: „Das finde ich durchaus gesund.“Denn europäische Staatsanleihen hält Riegler schon für teuer, daher seien die künftigen Ertragserwartungen „überschaubar“.
Freilich wollen sich die Experten nicht mit der Magerkost der sicheren Staatsanleihen zufriedengeben – und rücken andere Teilmärkte des Anleihenuniversums ins Rampenlicht. Eine lohnende Alternative zu Staatspapieren sieht der Riegler etwa in Unternehmensanleihen, die er angesichts tiefer Ausfallsraten als fundamental werthaltig einstuft: „Diese schätzen wir als attraktiver ein als Staatsanleihen.“
Attraktive Schwellenländer
Neben den Unternehmensanleihen bringt Pictet-Experte Liebe auch Staatspapiere aus Schwellenländern ins Spiel, wobei er Anleihen in der jeweiligen Währung des Emittenten bevorzugt. Laut einem globalen Index für Emerging Market-Anleihen in Lokalwährung von JPMorgan, der 16 Länder mit einem Rating im Investment-Grade-Bereich umfasst, lassen sich derzeit durchschnittlich eine Verzinsung von 6,55 Prozent erwirtschaften. „Diese Rendite wird aber mit dem Wechselkursrisiko erkauft“, gibt Liebe zu bedenken. Allerdings hält er dieses Wagnis für überschaubar, da er Schwellenländerwährungen eher für unterbewertet hält.
Auch Riegler hat Schwellenländer-Anleihen auf dem Radar, würde aber eher zur sichereren Variante der auf Hartwährungen laufenden Papiere greifen. Generell rät er Anlegern zu einer vorsichtigen Vorgangsweise: Veranlagungen in Anleihen streuen und tendenziell kürzere Laufzeiten wählen.