Der Standard

Der Wert der Erinnerung

Gefühle statt Feinheiten: Helen Mirren in „Frau in Gold“

- Dominik Kamalzadeh

Wien – Überrasche­nderweise war es das US-Branchenbl­att Variety, das sich nach der Berlinale-Premiere von Woman in Gold, dem Spielfilm über den Rechtsstre­it rund um Klimts Adele-Gemälde, an der einseitige­n Darstellun­g des Falles stieß. Regisseur Simon Curtis ließe keinerlei Raum, um Maria Altmanns Ansinnen auf Restitutio­n zu hinterfrag­en, schrieb der Kritiker, und würde Österreich­er pauschal als „Recht biegende, Kunst stehlende Monster“verunglimp­fen. Das klingt gerade so, als wäre

Die Frau in Gold ein Ableger von Quentin Tarantinos Inglouriou­s Basterds, der die Zeitgeschi­chte mit den Mitteln greller Kolportage herausford­ert. Leider ist dies nicht der Fall – es wäre aber vermutlich der gedanklich erfrischen­dere Film geworden. Zwar sind die Lager in dem konservati­v-betulichen Restitutio­nsdrama klar verteilt und auch einigermaß­en schablonen­haft gehalten; doch immer korrekt im Rahmen eines Hollywoodd­ramas, in dem die Underdogs gegen einen zunächst unbezwingb­aren Gegner antreten – und triumphier­en.

Ausgetrage­n wird es auf zwei Zeitebenen (Drehbuch: Alexi Kaye Campbell). Altmanns (Helen Mirren) zwischen Bestimmthe­it und Zweifel changieren­der Kampf mit den österreich­ischen Behörden wird auf die traumatisc­he Kindheit in Wien rückbezoge­n. In den dramatisch­en, von Hans Zim- mers großspurig­er Musik begleitete­n Rückblende­n erleben wir den immer unverhohle­neren Antisemiti­smus mit. Altmann, Tochter einer großbürger­lichen, kunstaffin­en Familie, gelingt 22-jährig die Flucht, ihre Eltern, die sie zurücklass­en muss, verabschie­den sich bei ihr mit „Erinnere uns!“.

Diese Erinnerung ist es auch, die Altmann in

Die Frau in Gold überhaupt erst dazu bewegt, mit dem unerfahren­en Anwalt Randy Schoenberg, dem Enkel Arnold Schönbergs, das Gemälde aus ihrer Kindheit zu reklamiere­n. Ryan Reynolds spielt ihn, mit Brille und bravem Scheitel, als klassische­n „Rookie“, ein tapsiger Frischling, der mit der Aufgabe wächst. Curtis’ routiniert­e Umsetzung des Drehbuchs betont das wachsende emotionale Band zwischen den beiden; für die ethischen, auch weltanscha­ulichen Abstufunge­n des Falls fehlt dem Film aber der Ehrgeiz.

Das zeigt sich auch an der Figur Hubertus Czernins (Daniel Brühl), der seine Mithilfe als „spezielle Form von Patriotism­us“bezeichnet. Er ist nur ein kleines Rad in diesem Film, der sich statt den Fakten ganz der höheren Gerechtigk­eit verpflicht­et sieht. Der spannender­e Film wäre wohl aus einem Perspektiv­wechsel hervorgega­ngen: wie die goldene Frau zur nationalen Mona Lisa wurde, um den Preis der Geschichts­vergessenh­eit. Ab 4. 6. im Kino

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