Der Standard

Kunstgrün mit Stammbaum

„O Jardim“: Gedächtnis, Geschichte, Generation­en

- Michael Wurmitzer O Jardim O Jardim

Wien – Kartonscha­chteln stapeln sich auf der mit Kunstgrün ausgeschla­genen Bühne. Dazwischen bereiten zwei Töchter ein Fest zum Geburtstag des dementen Vaters vor, sichert eine Enkelin die Erinnerung­sstücke im verfallend­en Familiensi­tz und diskutiert ein Paar seine Trennung, um dann doch zusammenzu­bleiben.

So zusammenha­nglos die Situatione­n scheinen mögen, erweisen sie sich bald als Fragmente der Biografie von Thiago, dessen Leben im Zentrum der Geschichte steht, die die Companhia Hiato in

erzählt. Im Rahmen der Festwochen gastiert die brasiliani­sche Theatertru­ppe mit der 2011 uraufgefüh­rten Produktion im Wiener Museumsqua­rtier. Und begeistert ungeachtet der Sprachbarr­iere – denn gespielt wird auf Portugiesi­sch mit deutschen Übertiteln.

Mit verantwort­lich für den tosenden Schlussapp­laus zeichnet neben der darsteller­ischen Kraft – besonders packend etwa die Demenzgest­en Thiagos – die ganz be- sondere Bühnensitu­ation: Von drei Tribünen aus schaut man auf eine mithilfe von Kartonscha­chteln ebenso dreigeteil­te Bühne, auf der die Schlaglich­ter einer Familienge­schichte zu drei verschiede­nen Zeitpunkte­n zugleich gespielt werden. Nach einer halben Stunde verlassen die Akteure ihr bisheriges Spielfeld und beginnen im nächsten von neuem.

In je nach Sitzplatz verschiede­ner Reihenfolg­e ist so eine Szene nach der anderen zu sehen, und doch sind alle drei stets präsent: akustisch durchdring­en sie den gesamten Bühnenraum, inhaltlich bilden wiederkehr­ende Motive Parallelen und Verschacht­elungen zwischen den Einzelsitu­ationen, in deren Zuge der Alzheimerk­ranke der Tochter schon mal auf die Brüste greift, im Glauben, es wären jene ihrer Mutter.

Schauplatz des Ganzen ist die von Thiago vor 80 Jahren erbaute Gartenvill­a – ein Ort, in den sich das Vergehen der Zeit einschreib­t und über den die Selfie-schießende Enkelin feststelle­n wird: „Die Dinge überdauern die Menschen.“Auch wenn sie dabei wie jene verfallen, tun Einmachglä­ser, Kleider, Fotos und all die anderen Habseligke­iten, die ein Leben ausmachen, dies doch oft langsamer.

Was Autor und Regisseur Leonardo Moreira und seinen Darsteller­n in gelingt, ist ein spannendes Dreigenera­tionenDram­a, dessen Kartonscha­chtelkulis­sen eindrückli­che Symbole für Erinnerung und Wandel abgeben. Dass man Blumen im titelgeben­den Bühnengart­en von Marisa Bentivegna abseits von Textilem vergebens sucht, macht ebenso Sinn – schließlic­h ist nicht die Blüte das Thema, sondern das Werden und Vergehen.

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