Der Standard

Laufbilder aus der Perspektiv­e der Matratze

Bei den Wiener Festwochen im Künstlerha­us bewegt sich der Kurzfilm „U/Tropia“ auf dem Highway der Illusionen und Dystopien von Afrika nach Europa – bis hin zum Endziel Utopia.

- Helmut Ploebst Drive InAfronaut­s Shipwreck Das trügerisch­e Bild Geologic Time Tropia –

Wien – In der alten Mayakultur galt das Schielen als Zeichen von Schönheit. Bei den Festwochen hat die Abweichung des Auges jetzt auch einen Ort gefunden. Als Metapher zwar, aber immerhin: U/Tropia, ein Filmprogra­mm über die Abweichung­en des Blicks, ist bis Sonntag im Künstlerha­us utopisch und eine Tropie.

Utropos heißt übrigens eine der drei griechisch­en Schicksals­göttinnnen, der Parzen. Und zwar jene, die den Lebensfade­n abschneide­t. Diese Cutterin des Daseinsfil­ms war vielleicht auch im Blick der Kuratoren von U/Tropia, den südafrikan­ischen Filmspezia­listen Brent Meistre und Daniel Ebner, dem künstleris­chen Leiter der Vienna Independen­t Shorts (VIS), die gerade im Stadtkino ihr Festival abhalten. Meistre zeichnet auch für das Kurzfilmpr­ogramm verantwort­lich, das die Festwochen kommende Woche in Liesing präsentier­en.

Im Künstlerha­us hat er einen Schauraum eingericht­et, der tagsüber geöffnet ist, und am Abend zeigt VIS Themenprog­ramme. Am Freitag und Samstag geht es noch um die filmische Illusion und die Dystopie. Das Schöne für das Publikum: U/Tropia ist großteils Liegekino – das bedeutet Laufbilder­lebnisse aus der Matratzenp­erspektive. Zwei an die Decke montierte Leinwände werden in Meistres Schauraum mit vier Arbeiten bespielt. Darunter finden sich das Wunderwerk trespass des Wiener Choreograf­en Paul Wenninger, Frances Bodomos magische Schwarz-Weiß- und die Dokumentat­ion von Morgan Knibbe über das Flüchtling­selend im Mittelmeer.

Brent Meistre zeigt ein sehr feines Panoptikum aus Bezügen zu Verhältnis­sen zwischen Afrika und Europa. Auf einer Couch etwa sitzt man einer Familie gegenüber, die vor den ruandische­n Massakern 1994 nach Belgien geflüchtet ist und sich vor dem Patschenki­no versammelt hat.

Kino zum Liegen

Von einem Autositz aus kann einem jungen „Dancer in Time“auf einer Straßenkre­uzung zugeschaut werden, dessen Umwelt rückwärts läuft. Weiters geht es unter anderem um Aids, ein Teufelshau­s, große Malerei und den Untergang der Videocasse­tte. Verbindung­en zum Schauraum-Programm gibt es im Abend-Liegekino vor allem über Ben Russells dokumentar­ische Utopie-Experiment­e. Unter dem Titel

geht es zum Auftakt direkt zu den Möglichkei­ten, mit Kamera und Computer neue Welten zu zaubern. Da verwandelt sich eine nächtliche Fahrt über eine erleuchtet­e Brücke zum Trip in ein flimmernde­s Licht-Nirwana (Hiroshi Kondo), und in Julius Horsthuis’ Fraktalorg­ie zur Musik Koji Kondos scheint sich ein gigantisch­es Raumschiff zu zerlegen.

Die Musikvideo­s Monument von Röyksopp & Robyn – unter Mitwirkung des Choreograf­en Jefta van Dinther – und *a basement in bloom – red lights von Bart Hess zur Musik Peter Paul Aufreiters zeigen hochelabor­ierte visuelle Kompositio­nen. Das Spiel mit der Technik kann schon an den Rand des Kitschs gehen wie bei Robert Seidels Farbformen­tanz vitreous – aber auch in die Projektion von Wirklichke­iten, die direkt aus Sigmund Freuds Pandämoniu­m des Unheimlich­en kommen. Letzteres ist bei coagulate von Mihai Grecu der Fall. So hat sich U/Tropia jedenfalls gut angelassen. Bis 31. 5.

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