Diesseits der Wahlbotschaften
Wer das Burgenland wirklich kennt und mag, war in den vergangenen Wochen wieder etwas irritiert. Kein Wunder: Wahlkämpfe wie der eben zu Ende gegangene verzerren das Bild eines Landes ja bis zur Karikatur.
Wahlzeiten sind eher nicht so gut dazu geeignet, sich ein halbwegs stimmiges Bild zu machen von einem Land. Zu sehr verwechselt die aus diesem Anlass außer sich geratende Politik ihre angemaßte Wichtigkeit mit der sie umgebenden Wirklichkeit. Und zu sehr fasst sie ihre daraus destillierten Weltbildchen in jene barrierefreien Worte, die schwer nur verbergen können, wie sehr sie jeden Einzelnen und jede Einzelne da draußen – uns also – für ausgemachte Hirnederln halten.
Das ist nicht nur im Burgenland so, klar. Aber im Burgenland, das am Sonntag seinen Landtag wählt, ist das besonders schade, weil ohnehin schon so viele schräge bis verquere Bilder im Umlauf sind von diesem schmalen Landstrich, der vor vier Jahren seinen erst 90. Geburtstag als österreichisches Bundesland gefeiert hat.
Ein Landstrich ist das, in dem sich – der von vielen Wahlplakaten herunterschreienden xenophoben Verkniffenheit wie zum Hohn – doch breitflächig erhalten hat, was einst zum pannonischen Eigengeruch unabdingbar gehört hatte: die Weite nicht nur des Landes, sondern auch des Gemüts. Und das dazugehörige Wissen um die Lebensund Lebenlassensart. Daraus wuchs ein vielfältiges Nebeneinander, das von außen zuweilen den Eindruck eines eher wirren Durcheinanders erwecken mag.
Und der Eindruck stimmt ja auch im Wesentlichen, wenn man aus einer Monokultur hineinschaut ins Burgenland, in dem – oppositioneller Propaganda zum Trotz – der Wildwuchs von der politischen Machthaberei nicht bloß zugelassen wird. Da und dort und zuweilen wird er sogar gepflegt und gegossen. Mit Tröpfchenbewässerung zwar, aber immerhin.
Die Cselley-Mühle in Oslip/Uzlop, die seit demnächst vierzig Jahren ein wesentlicher Teil vor allem auch der Wiener Szene ist, ist dafür ein ganz gutes Beispiel. Der rote Unterrichts- und Kunstminister Fred Sinowatz hat im Mai des Jahres 1976 – da stand die alte Wiener Reichsbrücke noch und die Arena, der Geburtsort neueren Wiener Kulturlebens, war noch unbesetzt – diesen Kultur- und Veranstaltungsort auf den Lebensweg geschickt mit den schönen Worten: „Ich weiß nicht, was ich da eröffne, aber ich eröffne es.“
Vom Burgenländer Fred Sinowatz, dem Post-Kreisky- und Prä-Vranitzky-Kanzler, sind viele tiefsinnige Worte in den allgemeinen Sprichwortschatz der Nation eingegangen. Das aber ist zweifellos einer seiner schönsten Sätze, weil er ausdrückt, was nicht nur die Sozialdemokratie der wilderen 1970er-Jahre charakterisiert, sondern auch das Pannonische: die Zuversicht, das Gottvertrauen, dass alles schon irgendwie werden würde, wenn man es einmal nur anpackt oder, wichtiger noch, anpacken lässt. Und damit verbunden etwas, das nicht nur der SPÖ verlorengegangen ist: unbändige Neugier aufs Entstehende.
Sozialdemokratisches Wallfahren
Eigentlich müsste die Spitze der burgenländischen SPÖ allmonatlich in die Cselley-Mühle wallfahrten, weil die ein auch denkmalschützerisch so wertvolles Beispiel gelungener sozialdemokratischer Kulturpolitik ist. Die drei Müller und die eine Müllerin sind den Eisenstädter Roten aber auch nach vierzig Jahren noch nicht ganz geheuer. Deshalb kommen sie nur ab und zu. Aber – ja doch – sie kommen.
Genauso wenig koscher ist Franz Bogner, der vor nunmehr auch schon vierzig Jahren das kleine Erdbeer-Wiesen im Bezirk Mattersburg zum großen Open-Air-FestivalWiesen – von Wien südwärts, bei Woodstock dann gleich links – gemacht hat, in dem heuer zum Beispiel auch Bob Dylan vorbeischauen wird. Statt sich darob täglich alle zehne abzuschlecken, lässt Matthias Weghofer, schwarzer Bürgermeister und scheidender Landtagsabgeordneter, keine Gelegenheit aus, jenen Streit zu suchen, dem der Bogner Franz freilich auch nie aus dem Weg gegangen ist.
Und in der kroatischen Hauptstadt des Burgenlandes – Veliki Borištof / Großwarasdorf wird man doch wohl noch so nennen dürfen – hat sich 1982 mit der Kuga, der „kulturna zadruga“, eine in vielen schwarzen Augen grüne Zelle gebildet, deren Giftgrünheit noch dadurch gesteigert wurde, dass an der Spitze nunmehr die Büroleiterin eines roten Landesrates steht, die sich noch dazu einen Kärntner Slowenen angelacht und in die mittelburgenländische „Krowodei“geführt hat, sodass auch diesbezüglich alles durcheinandergerät.
Mit solcher Rede – ja, eh: Tratsch – ist man dann schon mittendrin in einem x-beliebigen, beredten pannonischen Dorfwirtshaus. Nicht dass im Burgenland tatsächlich jeder jeden kennt. Aber doch über ein, zwei Ecken, wozu woanders wahrscheinlich vier, fünf nötig wären. (Und wenn diesbezüglich alle Stricke reißen, ruft man den Horst Horvath an, der kennt mehr Leute als selbst der Landeshauptmann.)
Was von außen oft so verwirrend sich ausnimmt, entpuppt sich dann beim Mittratschen rasch als eine Art Familienangelegenheit. Und tatsächlich verhält man sich zuweilen auch in politischen Kreisen so, als wären manche pannonischen Vorgänge ein zu hütendes Familiengeheimnis, was schon zu so manchem Missverständnis in puncto mediale Pflicht und Schuldigkeit geführt hat. Wo hört das edle Berichterstatten auf? Wo beginnt das schnöde Ausplaudern?
Licht und Scheffel
ESSAY:
Nein, natürlich ist das längst schon nicht mehr so. Und auch damals, als es so gewesen ist, war die Fuchsteufelswildheit übers mediale Ausplaudern keineswegs nur die böse Absicht der Ertappten, die eigenen Macheloikes unter der Decke zu halten. Die Scheu, zu anderem von der eigenen Familie zu reden, war auch dem aus der ungarischen Zeit herrührendem, der Höhe pannonischer Berge entsprechendem Selbstwertgefühl geschuldet. Burgenländer neigten von jeher dazu, ihr allfälliges Licht unter den Scheffel zu stellen. Und das taten sie so überzeugend, dass die Menschen jenseits der Leitha die Unterbelichtung für bare Münze nahmen und manche weiterhin nehmen.
Der Burgenländer, die Burgenländerin werden gemeinhin unterschätzt. In Kunstund Kultursachen, in denen das naserümpfende Schnöseltum besonders ausgeprägt ist, ist der urbane Nasenrumpf auch besonders auffällig. Das ist freilich sehr fahrlässig. Denn vom Zurndorfer Friedrichshof (wo die Sammlung der einstigen MühlKommune als spannendes AktionismusMuseum kondensiert ist) über das Offene Haus Oberwart (ein nicht nur veranstaltendes, sondern vor allem unermüdlich schaffendes Zentrum) bis hinunter nach Deutsch Minihof und Heiligenkreuz (wo der unermüdliche, ja unentwegte Udo Preis mit seinen „Limmitationes“die Musikwelt hereinholt, um den Klang zum Erlebnis zu machen) ist das Land sozusagen ein einziger Geheimtipp. Das und vieles andere mehr ist nicht auch das Burgenland. Es ist umgekehrt. Das Burgenland wäre nichts ohne das und vieles andere mehr, das zu entdecken sich lohnen würde. All diese Initiativen – die untereinander nicht selten streiten wie Geschwister – haben eines gemeinsam: Sie funktionieren nur in Verbindung mit der pannonischen Lebensart, die es sich so hoch anrechnet, dem Herrgott manchmal auch einen Tag zu stehlen.
Deshalb ist die Cselley-Mühle – die Mü, wie sie weitum heißt – auch so prototypisch. Ein lauer Abend im Hof unterm Taubenkobel. Eine Dichterlesung klingt noch verhallend nach, und in diesen Nachklang mengt sich die Erinnerung an den Wolfgang Bauer und den alten Artmann. Musikanten klimpern noch unten im Ursumpf. Ein Kabarettist schlendert vorbei auf der Suche nach dem einen Achterl, das er noch zu sich nehmen will. Um dann doch noch ein zweites zu nehmen. Und so ins Sinnieren gerät – das ist das Burgenland.
Wer sich davon überzeugen möchte, schaut noch heute, Samstag, nach Oslip. „C’est la Mü“nennt sich das Fest, mit dessen Hilfe man sich versichern will, ob alles eh noch halbwegs beim Alten geblieben ist. Am Tag darauf wird dann bloß der Landtag gewählt.