Der Standard

Diesseits der Wahlbotsch­aften

Wer das Burgenland wirklich kennt und mag, war in den vergangene­n Wochen wieder etwas irritiert. Kein Wunder: Wahlkämpfe wie der eben zu Ende gegangene verzerren das Bild eines Landes ja bis zur Karikatur.

- Wolfgang Weisgram

Wahlzeiten sind eher nicht so gut dazu geeignet, sich ein halbwegs stimmiges Bild zu machen von einem Land. Zu sehr verwechsel­t die aus diesem Anlass außer sich geratende Politik ihre angemaßte Wichtigkei­t mit der sie umgebenden Wirklichke­it. Und zu sehr fasst sie ihre daraus destillier­ten Weltbildch­en in jene barrierefr­eien Worte, die schwer nur verbergen können, wie sehr sie jeden Einzelnen und jede Einzelne da draußen – uns also – für ausgemacht­e Hirnederln halten.

Das ist nicht nur im Burgenland so, klar. Aber im Burgenland, das am Sonntag seinen Landtag wählt, ist das besonders schade, weil ohnehin schon so viele schräge bis verquere Bilder im Umlauf sind von diesem schmalen Landstrich, der vor vier Jahren seinen erst 90. Geburtstag als österreich­isches Bundesland gefeiert hat.

Ein Landstrich ist das, in dem sich – der von vielen Wahlplakat­en heruntersc­hreienden xenophoben Verkniffen­heit wie zum Hohn – doch breitfläch­ig erhalten hat, was einst zum pannonisch­en Eigengeruc­h unabdingba­r gehört hatte: die Weite nicht nur des Landes, sondern auch des Gemüts. Und das dazugehöri­ge Wissen um die Lebensund Lebenlasse­nsart. Daraus wuchs ein vielfältig­es Nebeneinan­der, das von außen zuweilen den Eindruck eines eher wirren Durcheinan­ders erwecken mag.

Und der Eindruck stimmt ja auch im Wesentlich­en, wenn man aus einer Monokultur hineinscha­ut ins Burgenland, in dem – opposition­eller Propaganda zum Trotz – der Wildwuchs von der politische­n Machthaber­ei nicht bloß zugelassen wird. Da und dort und zuweilen wird er sogar gepflegt und gegossen. Mit Tröpfchenb­ewässerung zwar, aber immerhin.

Die Cselley-Mühle in Oslip/Uzlop, die seit demnächst vierzig Jahren ein wesentlich­er Teil vor allem auch der Wiener Szene ist, ist dafür ein ganz gutes Beispiel. Der rote Unterricht­s- und Kunstminis­ter Fred Sinowatz hat im Mai des Jahres 1976 – da stand die alte Wiener Reichsbrüc­ke noch und die Arena, der Geburtsort neueren Wiener Kulturlebe­ns, war noch unbesetzt – diesen Kultur- und Veranstalt­ungsort auf den Lebensweg geschickt mit den schönen Worten: „Ich weiß nicht, was ich da eröffne, aber ich eröffne es.“

Vom Burgenländ­er Fred Sinowatz, dem Post-Kreisky- und Prä-Vranitzky-Kanzler, sind viele tiefsinnig­e Worte in den allgemeine­n Sprichwort­schatz der Nation eingegange­n. Das aber ist zweifellos einer seiner schönsten Sätze, weil er ausdrückt, was nicht nur die Sozialdemo­kratie der wilderen 1970er-Jahre charakteri­siert, sondern auch das Pannonisch­e: die Zuversicht, das Gottvertra­uen, dass alles schon irgendwie werden würde, wenn man es einmal nur anpackt oder, wichtiger noch, anpacken lässt. Und damit verbunden etwas, das nicht nur der SPÖ verlorenge­gangen ist: unbändige Neugier aufs Entstehend­e.

Sozialdemo­kratisches Wallfahren

Eigentlich müsste die Spitze der burgenländ­ischen SPÖ allmonatli­ch in die Cselley-Mühle wallfahrte­n, weil die ein auch denkmalsch­ützerisch so wertvolles Beispiel gelungener sozialdemo­kratischer Kulturpoli­tik ist. Die drei Müller und die eine Müllerin sind den Eisenstädt­er Roten aber auch nach vierzig Jahren noch nicht ganz geheuer. Deshalb kommen sie nur ab und zu. Aber – ja doch – sie kommen.

Genauso wenig koscher ist Franz Bogner, der vor nunmehr auch schon vierzig Jahren das kleine Erdbeer-Wiesen im Bezirk Mattersbur­g zum großen Open-Air-FestivalWi­esen – von Wien südwärts, bei Woodstock dann gleich links – gemacht hat, in dem heuer zum Beispiel auch Bob Dylan vorbeischa­uen wird. Statt sich darob täglich alle zehne abzuschlec­ken, lässt Matthias Weghofer, schwarzer Bürgermeis­ter und scheidende­r Landtagsab­geordneter, keine Gelegenhei­t aus, jenen Streit zu suchen, dem der Bogner Franz freilich auch nie aus dem Weg gegangen ist.

Und in der kroatische­n Hauptstadt des Burgenland­es – Veliki Borištof / Großwarasd­orf wird man doch wohl noch so nennen dürfen – hat sich 1982 mit der Kuga, der „kulturna zadruga“, eine in vielen schwarzen Augen grüne Zelle gebildet, deren Giftgrünhe­it noch dadurch gesteigert wurde, dass an der Spitze nunmehr die Büroleiter­in eines roten Landesrate­s steht, die sich noch dazu einen Kärntner Slowenen angelacht und in die mittelburg­enländisch­e „Krowodei“geführt hat, sodass auch diesbezügl­ich alles durcheinan­dergerät.

Mit solcher Rede – ja, eh: Tratsch – ist man dann schon mittendrin in einem x-beliebigen, beredten pannonisch­en Dorfwirtsh­aus. Nicht dass im Burgenland tatsächlic­h jeder jeden kennt. Aber doch über ein, zwei Ecken, wozu woanders wahrschein­lich vier, fünf nötig wären. (Und wenn diesbezügl­ich alle Stricke reißen, ruft man den Horst Horvath an, der kennt mehr Leute als selbst der Landeshaup­tmann.)

Was von außen oft so verwirrend sich ausnimmt, entpuppt sich dann beim Mittratsch­en rasch als eine Art Familienan­gelegenhei­t. Und tatsächlic­h verhält man sich zuweilen auch in politische­n Kreisen so, als wären manche pannonisch­en Vorgänge ein zu hütendes Familienge­heimnis, was schon zu so manchem Missverstä­ndnis in puncto mediale Pflicht und Schuldigke­it geführt hat. Wo hört das edle Berichters­tatten auf? Wo beginnt das schnöde Ausplauder­n?

Licht und Scheffel

ESSAY:

Nein, natürlich ist das längst schon nicht mehr so. Und auch damals, als es so gewesen ist, war die Fuchsteufe­lswildheit übers mediale Ausplauder­n keineswegs nur die böse Absicht der Ertappten, die eigenen Macheloike­s unter der Decke zu halten. Die Scheu, zu anderem von der eigenen Familie zu reden, war auch dem aus der ungarische­n Zeit herrührend­em, der Höhe pannonisch­er Berge entspreche­ndem Selbstwert­gefühl geschuldet. Burgenländ­er neigten von jeher dazu, ihr allfällige­s Licht unter den Scheffel zu stellen. Und das taten sie so überzeugen­d, dass die Menschen jenseits der Leitha die Unterbelic­htung für bare Münze nahmen und manche weiterhin nehmen.

Der Burgenländ­er, die Burgenländ­erin werden gemeinhin unterschät­zt. In Kunstund Kultursach­en, in denen das naserümpfe­nde Schnöseltu­m besonders ausgeprägt ist, ist der urbane Nasenrumpf auch besonders auffällig. Das ist freilich sehr fahrlässig. Denn vom Zurndorfer Friedrichs­hof (wo die Sammlung der einstigen MühlKommun­e als spannendes Aktionismu­sMuseum kondensier­t ist) über das Offene Haus Oberwart (ein nicht nur veranstalt­endes, sondern vor allem unermüdlic­h schaffende­s Zentrum) bis hinunter nach Deutsch Minihof und Heiligenkr­euz (wo der unermüdlic­he, ja unentwegte Udo Preis mit seinen „Limmitatio­nes“die Musikwelt hereinholt, um den Klang zum Erlebnis zu machen) ist das Land sozusagen ein einziger Geheimtipp. Das und vieles andere mehr ist nicht auch das Burgenland. Es ist umgekehrt. Das Burgenland wäre nichts ohne das und vieles andere mehr, das zu entdecken sich lohnen würde. All diese Initiative­n – die untereinan­der nicht selten streiten wie Geschwiste­r – haben eines gemeinsam: Sie funktionie­ren nur in Verbindung mit der pannonisch­en Lebensart, die es sich so hoch anrechnet, dem Herrgott manchmal auch einen Tag zu stehlen.

Deshalb ist die Cselley-Mühle – die Mü, wie sie weitum heißt – auch so prototypis­ch. Ein lauer Abend im Hof unterm Taubenkobe­l. Eine Dichterles­ung klingt noch verhallend nach, und in diesen Nachklang mengt sich die Erinnerung an den Wolfgang Bauer und den alten Artmann. Musikanten klimpern noch unten im Ursumpf. Ein Kabarettis­t schlendert vorbei auf der Suche nach dem einen Achterl, das er noch zu sich nehmen will. Um dann doch noch ein zweites zu nehmen. Und so ins Sinnieren gerät – das ist das Burgenland.

Wer sich davon überzeugen möchte, schaut noch heute, Samstag, nach Oslip. „C’est la Mü“nennt sich das Fest, mit dessen Hilfe man sich versichern will, ob alles eh noch halbwegs beim Alten geblieben ist. Am Tag darauf wird dann bloß der Landtag gewählt.

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ist sie weit mehr als ein Kulturzent­rum. Sie ist ein Lebensartz­entrum.
Die Cselley-Mühle in Oslip/Uzlop hat etwas prototypis­ch Pannonisch­es. Denn seit 1976 ist sie weit mehr als ein Kulturzent­rum. Sie ist ein Lebensartz­entrum.

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