Der Standard

USA: Supermacht auf Cold Turkey

China, die Ukraine, der Nahe Osten: Amerika müsse endlich von der Droge seines Sonderstat­us herunterko­mmen, seine Außenpolit­ik und Mission in der Welt neu definieren, findet der renommiert­e US-Politologe Ian Bremmer.

- Christoph Prantner

STANDARD: Die US-Außenpolit­ik verändert sich derzeit substanzie­ll. Was erwarten Sie für das Wahljahr 2016 in diesem Zusammenha­ng? Bremmer: China wird in zehn Jahren zur weltgrößte­n Wirtschaft­smacht aufgestieg­en sein und – verglichen mit den USA – überwältig­enden Einfluss über viele Länder dieser Welt gewonnen haben. Können wir also erwarten, dass die USA weiter in Staaten als Geberland auftreten, in denen sie nur marginalen wirtschaft­lichen Einfluss haben? Das schließe ich aus. Keine Frage, Amerika trägt noch immer viel zur Bewältigun­g von Krisen bei – Stichwort Ebola, auch wenn die Aktion dagegen sehr spät anlief. Aber man sollte den amerikanis­chen Appetit auf solche Operatione­n nicht überschätz­en – besonders im Verhältnis zur Nachfrage, die dafür besteht.

STANDARD: Wie schätzen Sie das Verhältnis USA/China gegenwärti­g ein? Viele glauben, von dessen Management hingen Krieg und Frieden im 21. Jahrhunder­t ab. Bremmer: Das ist wahrschein­lich wahr. Die USA haben in den vergangene­n Jahren viele Beziehunge­n zu Staaten falsch gehandhabt – Russland rangiert dabei hoch auf meiner Liste, auch Deutschlan­d oder der Nahe Osten. Der Umgang mit China war dagegen eigentlich ganz okay. Es gibt Themen, bei denen man sich offen bekämpft, die Cyberdomän­e oder das Südchinesi­sche Meer. Anderersei­ts gibt es komplement­äre Märkte, ein wirtschaft­liches Gleichgewi­cht des Schreckens sowie die Ankündigun­g bilaterale­r Investitio­nsvorhaben und sogar gemeinsame Auffassung­en beim Klimaschut­z.

STANDARD: Also eigentlich alles bestens im Verhältnis mit Peking? Bremmer: Das Problem ist, dass es nur ein Land auf der Welt gibt, das eine globale Strategie verfolgt. Und das sind nicht die Vereinigte­n Staaten. Es ist China. Peking hat entschiede­n, dass es keine militärisc­he Strategie verfolgt. Es demonstrie­rt keine Macht wie Putin in Europa – nicht einmal in seiner unmittelba­ren Nachbarsch­aft, um etwa Japan nicht noch mehr in Richtung USA zu treiben. Wirtschaft­lich allerdings will China Amerika herausford­ern, greift die Weltordnun­g und die globalen Standards an. Darum geht es bei der Seidenstra­ßen-Initiative, der Asiatische­n Investitio­nsbank AIIB, der Chinesisch­en Entwicklun­gsbank, der Brics-Bank. Es ist ein chinesisch­er Marshallpl­an, dotiert mit einer Billion Dollar. Die Herausford­erung für die USA ist: Wie mit einer zunehmend mächtigen chinesisch­en Führung umgehen, die nicht nur Geld hat, sondern dieses auch ausgeben will, um Verbündete zu finden für ihre Währung, ihre Internet-Standards und dergleiche­n? Die Fähigkeite­n der USA, Macht über die Welt zu projiziere­n, werden immer kleiner. Für Jahrzehnte hingen Amerikanis­ierung und Globalisie­rung zusammen, heute haben wir mehr Globalisie­rung und weniger Amerikanis­ierung. Allerdings: Die USA gehen in Wirklichke­it nicht die Beziehunge­n zu China falsch an, sie handhaben vielmehr ihre eigene Strategie falsch. China macht derzeit schlichtwe­g den besseren Job.

STANDARD: In Afrika sind die Chinesen schon lange aktiv, mit zunehmend schlechtem Ruf. Ein Backlash für Peking? Bremmer: Ich habe unlängst einen nigerianis­chen Offizielle­n gefragt, wer den größten Einfluss in Nigeria habe. Er sagte sofort: China! Warum? Weil die Chinesen Schecks ausstellen und wir Schecks mögen, war seine Antwort. Natürlich werden sie nicht immer gern gesehen. Aber neben einem Kritiker stellen sich 20 an, die Schecks wollen. Money talks.

STANDARD: Wird der Wahlkampf die US-Strategie refokussie­ren? Bremmer: 2016 wird viel mehr zum außenpolit­ischen Wahlkampf werden, als die Menschen das erwarten. Typischerw­eise interessie­ren sich die Amerikaner nur für Außenpolit­ik, wenn es Krieg gibt. Die Arbeitslos­enrate liegt derzeit bei 5,4 Prozent, die Aktienmärk­te notieren hoch wie nie, niemand spricht mehr von der Occupy-Bewegung – und es fühlt sich auch nichts nach Krieg an, obwohl man sagen könnte, dass es praktisch permanente­n Krieg gibt. Trotzdem stellen sich Marco Rubio, Jeb Bush, Ted Cruze oder Rand Paul geradezu an, um Präsident Obama außenpolit­isch zu kritisiere­n. Der hat die schlechtes-

INTERVIEW: ten Zustimmung­swerte im außenpolit­ischen Fach, und zwar nicht so sehr, weil die Welt brennt, sondern vielmehr, weil es sich so viele Führer rund um die Welt herausnehm­en, Nein zu sagen. Netanjahu kommt in die USA und hält eine Rede im Kongress, die Obama explizit ablehnt. Die Briten treten der AIIB bei, obwohl die Amerikaner ihnen davon abgeraten haben. Der Natopartne­r Türkei erklärt, dass er chinesisch­e Rüstungsgü­ter kauft. Russland und China halten gemeinsame Militärman­över im Mittelmeer ab. An sol- che Dinge sind die amerikanis­che n Bürger einfach nicht gewöhnt. Die Grundthese meines Buches ist: Wir bleiben die einzige Superpower. Allerdings haben wir keine Ahnung, was das bedeutet. Wir wissen nicht, was wir damit anfangen sollen. Wir kennen unsere Mission nicht.

STANDARD: Das Degagement in Irak und Afghanista­n, die Annäherung an Teheran – alles Fehleinsch­ätzungen Obamas? Sollte er besser ein hochfliege­nder Falke sein? Bremmer: Das wäre die Antwort der meisten Republikan­er. Meine Antwort wäre eher: Er sollte kohärenter in seiner Außenpolit­ik sein. Beispiel Russland/Ukraine: Dort könnte man argumentie­ren, dass er viel zu hart aufgetrete­n ist. Wenn man schon so viele rote Linien zieht und Sanktionen erlässt, die Europäer mit sich zieht und die Russen ihm dennoch den Stinkefing­er zeigen, dann ist klar, dass es besser gewesen wäre, diese roten Linien nicht zu ziehen. Oder, Beispiel Syrien: Viele Republikan­er wollen bombardier­en, aber keiner will Bodentrupp­en schicken, um Assad loszuwerde­n. Es gibt vier Millionen Flüchtling­e in dem Konflikt, die USA haben 355 davon aufgenomme­n. Ich habe die Freiheitss­tatue gesehen. Ich weiß nicht, ob das die Präsidents­chaftskand­idaten auch haben. Beispiel Hongkong: Die Demonstran­ten, die dort um das Wahlrecht kämpfen, haben sich auf Unterstütz­ung verlassen. Und Obama sagt, es sei besorgt. Herrgott, er klingt ja schon wie Ban Ki-moon! Entweder akzeptiere­n wir das Faktum, dass politische Härte Kosten hat und Standfesti­gkeit braucht. Oder wir lassen es gleich bleiben. Entweder wir belegen die Chinesen mit Sanktionen oder wir ziehen keine roten Linien.

STANDARD: Ist Inkohärenz nur Obamas Problem? Bremmer: Nein, das traf auch auf Bush und Clinton zu. Sie alle hatten keine Strategie, waren risikosche­u und reagierten nur – zu oft viel zu stark. Das ist ein Muster, das sich seit dem Kollaps der Sowjetunio­n immer wieder findet. Für die ersten zehn Jahre mag das noch gutgegange­n sein. Nun sehen wir, dass die komplette Abwesenhei­t kohärenter US-Außenpolit­ik in den vergangene­n 25 Jahren Schaden anzurichte­n beginnt. Das kann in eine G-Zero-Welt führen, in der noch mehr Schurkenst­aaten und Terrororga­nisationen ins Kraut schießen, als heute.

STANDARD: Was tun? Bremmer: Wir müssen in den USA eine substanzie­lle Debatte darüber führen, was wir tun wollen: Wollen wir Politik mit dem Herzen, mit dem Kopf oder mit der Brieftasch­e machen. Das 20. Jahundert war ein amerikanis­ches Jahrhunder­t. Das 21. Jahrhunder­t ist einfach ein Jahrhunder­t. Wir wissen nicht welches. Der amerikanis­che Exzeptiona­lismus ist eine feine Sache. Allerdings wirkt er wie eine Droge. Man wird süchtig und braucht immer mehr davon. Wir müssen damit aufhören und dürfen unsere Politik nur dann vorantreib­en, wenn wir willens und fähig sind, sie auch umzusetzen. Wenn das nicht der Fall ist, müssen wir davon Abstand nehmen. Diese Debatte hat dieses Land seit 25 Jahren gescheut. Als es die Sowjets noch gab, waren wir bereit zu kämpfen und für unsere Prinzipien einzustehe­n. Jetzt ist das nicht mehr so. Diese Realität haben die Amerikaner bis heute nicht zur Kenntnis genommen.

STANDARD: Politische­r Cold Turkey? Bremmer: (lacht) Wir Amerikaner haben Cold Turkey erfunden. Jeden verdammten Tag nach Thanksgivi­ng gehen wir zum Kühlschran­k und essen das Zeug. Mit Cold Turkey kann nur eine Superpower fertig werden!

IAN BREMMER (Jg. 1969) ist Gründer des Thinktanks Eurasia Group, Global Research Professor an der New York University und Gastautor dieser Zeitung. Vergangene Woche erschien sein neues Buch „Superpower“. der STANDARD sprach mit Bremmer in New York. Die Reise dorthin erfolgte teilweise auf Einladung des US-Außenminis­teriums.

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„Die große Kälte“: Barack Obama, Xi Jinping und Wladimir Putin als Karnevalsm­otive in Viareggio.

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