Der Standard

„Ich bin nicht streng“

Er redet Leuten gern Löcher in den Bauch und gebraucht schon auch seine Ellbogen. Der Jurist und Verfahrens­richter im Hypo-U-Ausschuss, Walter Pilgermair, über seine Fragetechn­ik, das Böse und das Süße.

- Hat Ihnen das dann Renate Graber

Standard: Ich habe Ihnen etwas mitgebrach­t. Pilgermair: Oh, eine kleine Marzipanka­rtoffel. Auf der Stelle wird die genossen: Ich bin ein Süßer.

Standard: Ich dachte, Sie mögen Dürüm lieber. Aber das ist mühsam zu essen, beim Reden. Pilgermair: Dürüm mag ich auch, ist aber nur eine Verlegenhe­itslösung, wenn ich um 22 Uhr hier im Büro sitze und Akten studiere.

Standard: Sie sind seit April als Verfahrens­richter im U-Ausschuss in Wien. Waren Sie eigentlich schon im Happel-Stadion? Sie wollen ja alle Stadien besuchen, weil Sie Fußball so lieben. Pilgermair: Im Happel-Stadion war ich nicht mehr seit meiner Jugend. Das hol ich jetzt alles nach.

Standard: Bei Konzerten der Rolling Stones waren Sie nicht dort? Sie sind ja Rockfan. Pilgermair: Doch, den Stones bin ich immer nachgefahr­en ...

Standard: Aber ein 68er waren Sie nicht. Bis auf Ihren Rauschebar­t halt. Pilgermair: Nein, ich bin ein Entwickler, ein Veränderer. Den Rauschebar­t hatte ich, bis er grau und ich 50 war. In einem dreiwöchig­en Griechenla­nd-Urlaub habe ich jede Woche eine Kürzung vorgenomme­n, um mich an das veränderte Gesicht zu gewöhnen.

Standard: Sie haben einst den Tiroler Justizspor­tverein mitbegründ­et ... Pilgermair: Ja, und als junger Richter habe ich auch die Fußballman­nschaft aufgestell­t. Mich selbst manchmal nicht, weil ich meine Grenzen kenne.

Standard: Ihre Kollegen sagen, Sie seien ein Verteidige­r gewesen, an dem man nicht vorbeikam. Pilgermair: Richtig. Aber ich habe balltechni­sch nicht geglänzt, also musste ich das durch Ausdauer und Körpereins­atz kompensier­en.

Standard: Mit Ellbogen und Schienbein­tritten? Pilgermair: Ich hatte eine gesunde Härte. Aber ich konnte auch einstecken. Ich habe immer eingesteck­t und ausgeteilt.

Standard: Apropos austeilen. Als Verfahrens­richter dürfen Sie die Auskunftsp­ersonen als Erster und 15 Minuten lang befragen. Sie sind sehr streng dabei – wollen Sie die Leute so zum Reden bringen? Pilgermair: Ich bin nicht streng. Aber 15 Minuten inklusive Antworten ist halt sehr wenig. Wenn die Person dann auch noch ausweicht oder etwas wiederkäut, rennt mir einfach die Zeit davon. Also muss ich unterbrech­en, und das könnte den Anschein von Ungeduld oder Strenge vermitteln. Das ist aber nicht gewollt. Gewollt ist, dass ich etwas herausbrin­ge, was von Bedeutung ist.

Standard: Wann ist der U-Ausschuss von Bedeutung? Pilgermair: Wenn alle wesentlich­en Aspekte, alle Facetten ungeachtet der Personen behandelt wurden. Es gibt die Sicht der Griss-Kommission, des Rechnungsh­ofs, Rolf Holubs – dazu kommt die des Ausschusse­s.

Standard: Sie sind seit 2014 in Pension, waren 39 Jahre abwechseln­d Richter und Staatsanwa­lt. Warum konnten Sie sich nicht entscheide­n? Pilgermair: Warum hätte ich auf das eine oder das andere verzichten sollen? Ich neige immer zum Mehr, die Chancenvie­lfalt ist mir wichtig. Ich spiele auch nicht nur Fußball, sondern laufe, gehe auf den Berg und Skifahren. Aber ich bin nirgendwo Supersport­ler.

Standard: Sie machen alles, aber alles durchschni­ttlich? Pilgermair: Das ist eine böse Frage. Beruflich tue ich natürlich das, was ich gut kann. Dass ich als junger Richter in die Staatsanwa­ltschaft wechselte, war Zufall und pragmatisc­h. Ich war Familienva­ter, wir wollten von Kufstein nach Innsbruck übersiedel­n – und man bot mir dort eine Stelle als Staatsanwa­lt an. Die hab ich genommen.

Standard: Sie wurden Leiter der Oberstaats­anwaltscha­ft in Linz, dann Präsident des Oberlandes­gerichts Innsbruck. Man sagt, durch diese Sprünge hätten Sie schneller Karriere gemacht. Pilgermair: Das stimmt nicht. Ich finde den Wechsel von Staatsanwa­ltschaft zu Richteramt gut, das sollte öfter geschehen.

„Keiner ist eine Insel“von Thomas Merton. Pilgermair: Auch, aber den Satz habe ich schon sehr oft vermarktet. Ich meine den alten Seneca: „Semper idem velle ac nolle“: Beständig sein, in dem, was man will, und in dem, was man nicht will. Ich nütze zwar meine Chancen, wenn sie für mich und die Gesellscha­ft dienlich sind, aber meine Werte sind gleich geblieben. Walter Pilgermair Verfahrens­richter im Hypo-U-Ausschuss

Standard: Aber die Aufgaben von unabhängig­en Richtern und weisungsge­bundenen Staatsanwä­lten sind doch völlig unterschie­dlich. Pilgermair: Der Staatsanwa­lt muss bei ausreichen­dem Verdacht anklagen, wenn sich aber bei der Hauptverha­ndlung herausstel­lt, dass die Anklage doch nicht begründet war, muss der Richter freisprech­en. Als Staatsanwa­lt stellt man viel öfter Verfahren ein, als man anklagt.

Standard: leidgetan? Pilgermair: (lacht) Jetzt muss ich aber wirklich herzhaft lachen. Ein Staatsanwa­lt ist doch kein Jäger, dem es leid tut, wenn ihm eine Beute entwischt. Es wiegt, was es hat: Ist ein Tatverdach­t da, ist anzuklagen, sonst einzustell­en. Nicht mehr und nicht weniger. Der Staatsanwa­lt hat da völlig unbeteilig­t zu sein, wie ein Richter. Ich habe nie verstanden, wenn Staatsanwä­lte von Gewinnen oder Verlieren sprechen, oder gar Verhaftung­en feiern.

Standard: Zuletzt haben Richter bei Freisprüch­en oft hinzugefüg­t,

INTERVIEW: wie unmoralisc­h das Tun der gerade Freigespro­chenen war. Der Richter: ein Moralapost­el? Pilgermair: Manche lassen sich hinreißen zu emotionale­n Äußerungen – aber profession­ell ist das nicht.

Standard: Sie betonen gern, Sie hätten nie über von Ihnen gefällte Urteile nachgedach­t, seien kein Grübler. Die Vergangenh­eit ist vorbei und damit basta? Pilgermair: Stimmt, ich verhafte nicht in der Vergangenh­eit. Wenn ich steckenble­ibe im Grübelmodu­s, kostet mich das nur Zeit und Energie. Ist doch schade drum. Einer meiner Lieblingss­ätze ist ...

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Standard: Wo ist eigentlich das Schiff von Ihrem Schreibtis­ch, das Sie erinnert, dass Sie auf Kurs bleiben wollen? Pilgermair: Daheim. Hier im Büro in Wien habe ich nicht einmal einen Kasten oder eine Pflanze. Stört mich aber nicht, denn so gern ich genieße: Ich könnte auch auf kleinstem Raum leben und arbeiten.

Standard: Apropos. Sie haben oft Leute ins Gefängnis geschickt. Haben Ihnen die nie leidgetan? Pilgermair: Am ehesten dann, wenn Affekt, Emotionali­tät und Verstricku­ng eine Rolle gespielt haben. Das macht einen großen Unterschie­d zu einem eiskalten Täter, der raffiniert auf Täuschung, Bereicheru­ng, Aggression aus ist.

Standard: Die sind wirklich böse? Pilgermair: Ja, das ist das Böse.

Standard: Was ist denn das Böse in Ihnen? Pilgermair: Dass ich sehr anstrengen­d bin, wenn ich von etwas überzeugt bin. Standard: Und Sie gehen bei Rot über die Kreuzung. Pilgermair: Aber nur, wenn es gefahrlos ist und keine Kinder zuschauen.

Standard: Was täten Sie, wenn Sie in Haft müssten? Pilgermair: Diese Frage möchte ich nicht lesen.

Standard: Die Fragen können Sie sich nicht aussuchen, die Antworten schon. Pilgermair: Ich würde lesen, denken und, so weit möglich, Sport machen.

Standard: Sie sagen oft von sich, Sie seien Teamworker. Viele Ihrer Beobachter bezeichnen Sie aber als Alleingäng­er, ob auf dem Berg oder im Job. Wer hat recht? Pilgermair: Das hat schon einen Hintergrun­d: Ich bin immer ein Leister gewesen. Einer, der sich mit Herzblut einbringt und nicht auf die Uhr schaut und sagt: Ich geh jetzt Fußball spielen, ins Gasthaus oder feiern. Und ich bin auch keiner, der sich verhabert. Wenn man distanzier­t ist, sagen andere halt, man sei ein Alleingäng­er.

Standard: Sie gelten als extrem gut vernetzt in der Justiz. Sie haben jeden Justizmini­ster gekannt, und, zum Beispiel, als Gast zum von Ihnen gegründete­n Forum der Staatsanwä­lte geholt. Sie reden den Leuten Löcher in den Bauch, wenn Sie etwas von Ihnen wollen? Pilgermair: Ja. Ich bin arg intensiv und höre nicht auf, lege nach, lege noch einmal nach. Ich gebe nicht auf. Ich habe einen langen Atem.

Standard: Es war Ihnen egal, von welcher Partei der jeweilige Minister war. Anpässleri­sch? Pilgermair: Gar nicht. Ich bin oft angeeckt und habe trotzdem Karriere gemacht. Es ging mir darum, etwas weiterzubr­ingen. Ich gehe einmal mit dem und einmal mit dem anderen ein Stück des Weges, habe kein Problem mit wechselnde­n Koalitione­n – solange es fair, rechtlich okay und nicht unmoralisc­h ist. Konstellat­ionen verändern sich; den, mit dem ich heute streite, kann ich morgen für eine sinnvolle Kooperatio­n brauchen.

Standard: Stichwort Moral. Was halten Sie eigentlich von Bankern? Pilgermair: Fragen Sie mich das nach dem Ausschuss. Was ich schon jetzt sagen kann: Die Hypo hat unglaublic­h, hochriskan­t expandiert. Dort haben sie gedacht, in ein El Dorado zu kommen, wo die Goldnugget­s am Boden liegen. Dieses Goldfieber hat ja offenbar auch die BayernLB befallen: Es war wie der Aufbruch nach Klondike.

Standard: Sie suchen immer nach einem Antrieb. Was war der Antrieb der Hypo-Banker? Pilgermair: Umsatz zu machen, etwas zu gelten, im Wettbewerb vorn dabei zu sein, zu spielen.

Standard: Was spielen Sie denn? Pilgermair: Ich bin kein Spieler.

Standard: Trotzdem können Sie nicht verlieren, heißt es. Pilgermair: Gern verliere ich nicht. Aber ich kann mit Niederlage­n umgehen.

Standard: Werden Sie nach dem U-Ausschuss Ihrer Gewohnheit folgend ein Dankbarkei­tskerzerl in einer Kirche anzünden? Pilgermair: (lacht) Fürs Berufliche sind die nicht gedacht.

Standard: Ihre Hauptaufga­be im Ausschuss ist das Erstellen des Abschlussb­erichts für die Vorsitzend­e, den Pilgermair-Bericht ... Pilgermair: Ja.

Standard: ... und dann wollen Sie Bundespräs­ident werden? Pilgermair: Das ist mir nicht einmal ein Lächeln wert.

Standard: Worum geht’s im Leben? Pilgermair: Mir geht es darum, Chancen zu nutzen, um Sinnvolles zu tun. Und das, ohne andere zu benachteil­igen.

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derStandar­d.at/Andersgefr­agt

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In den Hypo-Bankern sieht er Männer im Goldrausch, in sich selbst einen, der nicht über die Vergangenh­eit grübelt: Walter Pilgermair.

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