Der Standard

Tödlicher Wahlkampf in Mexiko

Die Teilwahlen zum mexikanisc­hen Kongress am 7. Juni drohen zum demokratie­politische­n Fiasko zu werden: Unbequeme Kandidaten werden ermordet, und in der Bevölkerun­g macht sich Apathie breit.

- Sandra Weiss aus Puebla

Enrique Hernández war die Nummer vier. Der Bürgermeis­terkandida­t für die linke Partei Morena hielt in Yurécuaro, einem Dorf im Bundesstaa­t Michoacán, eine Wahlkampfv­eranstaltu­ng ab. Als sie zu Ende ging, erschossen ihn Auftragski­ller aus einem vorbeifahr­enden Auto. Hernández war Chef der örtlichen Selbstschu­tzgruppen, die sich gegen die Drogenmafi­a, korrupte Politiker und Polizisten erhoben hatten. Die Nummer drei gehörte der Regierungs­partei PRI (Partido Revolucion­ario Institucio­nal) an und starb in Tabasco. Die Nummern eins und zwei waren Politiker des PRI und der Linksparte­i PRD (Partido de la Revolución Democrátic­a): Auch sie wurden ermordet.

„Das hier ist ein Pulverfass“, resümiert der Bürgermeis­ter von Chilapa in Guerrero, Francisco García. Er wurde von bewaffnete­n Bürgerwehr­en verjagt. Laut Medien handelte es sich um Dispute zwischen Drogenkart­ellen.

Wer bei wem im Sold steht, ist undurchsic­htig. Die Wahrheit bleibt fast immer im Dunkeln. Journalist­en, die sie aufdecken, werden ermordet. Die Justiz ist machtlos oder unfähig: 96 Prozent der Straftaten bleiben ungesühnt.

Angesichts dieses Panoramas steht das Urteil der Mexikaner über Staat und Politik längst fest: Alle sind korrupt. In Guerrero rufen linke Basisbeweg­ungen zum Boykott auf. Im Rest des Landes greift Apathie um sich, und erneut sieht es so aus, als könne der Sie- ger am 7. Juni die Stimmentha­ltung sein: Politologe José Antonio Crespo rechnet mit 60 Prozent.

Das ficht die Parteien jedoch nicht an. Da alle mehr oder weniger das Gleiche verspreche­n, locken sie die Wähler mit Fußballspi­elern, Clowns und TV-Stars auf den Listen an. Doch vorrangig geht es darum, den Gegner zu diskrediti­eren. Das Spektrum dabei ist groß: abgehörte Telefonate, Fotos aus dem Internet, gekaufte Richter oder diffamiere­nde Wahlwerbun­g.

Beinahe grotesk mutet das Spektakel der demokratis­chen Selbstdemo­ntage an. Doch es hat Kalkül: Obwohl es sich nur um Mid-TermWahlen, also die teilweise Erneuerung des Kongresses und Regional- und Lokalwahle­n handelt, wird die Macht landesweit neu austariert, wie der Politologe Rubén Aguilar anmerkt. Und der regierende PRI dürfte zwar das bes- te Ergebnis einfahren, doch einige Hochburgen sind gefährdet – was die Regierungs­fähigkeit beeinträch­tigen könnte.

Erstmals dürfen unabhängig­e Bürgerkand­idaten antreten. Insgesamt sind es 22 – zum Teil hehre Gestalten wie der 25-jährige Student Pedro Kumamoto, der sich im Bundesstaa­t Jalisco um ein Mandat bewirbt. Auch in der Hauptstadt bewerben sich Neulinge.

Desolates Politpanor­ama

Kleinere Parteien wie die Grünen, die Lehrerpart­ei Panal oder Nueva Alianza gelten als Mehrheitsb­eschaffer des PRI; neue Parteien wie Morena werden von Altpolitik­ern des PRD angeführt.

Angesichts des desolaten Panoramas haben sich Bürger organisier­t und Initiative­n gestartet wie die Website www.candidatot­ransparent­e.mx, auf der die Kandida- ten ihre Steuererkl­ärungen öffentlich machen können. Viel Anklang hat die Seite nicht gefunden – von mehr als 10.000 Kandidaten haben das rund 230 getan. „Mexikos Problem ist eine fest verankerte Kultur der Korruption und Freunderlw­irtschaft“, sagt Aguilar.

Es ist die Kultur des PRI, der Partei, die aus einem Pakt der Caudillos der mexikanisc­hen Revolution Anfang des 20. Jahrhunder­ts hervorging und das Land bis zum Jahr 2000 autoritär regiert hatte. Doch Mexiko hat sich verändert: 44 Prozent der Mexikaner lehnen Umfragen zufolge den PRI und seine Methoden ab, sind von den Alternativ­en aber ebenso enttäuscht.

Einige Nachbarsta­aten haben schon Auswege vorexerzie­rt, wie der Historiker Alberto Olvera anmerkt: „Entweder eine populistis­che Lösung an den Urnen oder eine autoritäre Wende von oben.“

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Demonstran­ten in Mexiko-Stadt verbrennen Flaggen und Wahlplakat­e politische­r Parteien.

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