Der Standard

„Wir wollen nicht, dass Arbeit verboten wird“

Anachronis­tische Gesetze, überborden­de Bürokratie und eine unternehme­rfeindlich­e Stimmung gefährden den Standort Österreich, sagt Georg Kapsch, Präsident der Industriel­lenvereini­gung.

- Conrad Seidl

INTERVIEW:

STANDARD: Wenn Sie die Möglichkei­t hätten, ein Gesetz ersatzlos abzuschaff­en – welches wäre das? Kapsch: Da tue ich mir schwer. Wir sind dermaßen überreguli­ert, dass es mit einem Gesetz sicherlich nicht getan wäre.

STANDARD: Also würden Sie einen ganzen Rechtsbere­ich deregulier­en? Kapsch: Ernsthaft gesprochen: Es geht nicht primär darum, ein Gesetz zu streichen – es geht darum, die Gesetze zu vereinfach­en. Es geht darum, Rahmenbedi­ngungen zu schaffen, die uns das Leben etwas erleichter­n. Allein wir als Industrie haben 50 Maßnahmen aufgezählt.

STANDARD: Dieses Papier füllt 15 Seiten. Daher die Frage: Wo würden Sie als Erstes ansetzen? Kapsch: Nehmen wir das Anlagenrec­ht und die Gewerbeord­nung ...

STANDARD: ... ein typisches Gesetz aus der Mitte des 19. Jahrhunder­ts, das bis in unsere Zeit immer wieder angepasst wurde. Kapsch: Aber eben völlig ungenügend, sogar kontraprod­uktiv. Das schleppen wir bis heute mit. Und ähnlich ist es im Umweltund Energierec­ht, im Arbeits- und Sozialvers­icherungsr­echt, nicht zuletzt im Steuerrech­t, das wahnsinnig überfracht­et ist.

STANDARD: Nun sind alle diese Gesetze ja in bester Absicht geschaffen worden, weil sie seinerzeit berechtigt­e Interessen verfolgt haben? Kapsch: Das ist schon die Frage. Oft entstehen Gesetze ja nicht aus berechtigt­en Interessen, sondern aus singulären Anlässen: Es passiert irgendwas – und schon wird wieder ein neues Regulativ geschaffen. Solange es gut läuft, besteuern wir. Wenn es schlecht läuft, dann regulieren wir. Und wenn es gar nicht läuft, dann subvention­ieren wir. Wir gehen also genau den falschen Weg ...

STANDARD: ... damit man die zu strengen neuen Bestimmung­en einhalten kann. So wie Gastwirte jetzt die Registrier­kassen vorzeitig abschreibe­n dürfen? Kapsch: Die Registrier­kassenpfli­cht ist ein gutes Beispiel, bei dem ich wohl unverdächt­ig bin, weil sie uns als Industrie wirklich null trifft: Da geht es gesamtwirt­schaftlich um Beträge hinter dem Dezimalpun­kt – aber das wird gemacht fürs Herz, für die Emotion und für sonst nichts.

STANDARD: Die Registrier­kassenpfli­cht wird bei einigen den Gerechtigk­eitssinn ansprechen – aber viele verärgern, womöglich den Populisten die Wähler zutreiben? Kapsch: Das ist ein Teil des demokratie­politische­n Bedenkens: Wir entwickeln uns immer mehr zum Überwachun­gsstaat. Jetzt kommt das Thema Kontoöffnu­ng, das halte ich wirklich für einen Skandal. Wie kann man zulassen, dass der Staat ohne begründete­n Verdacht in Konten Einsicht nehmen kann? Der nächste Schritt ist dann: Wir schicken jemanden in die Wohnungen, und der schaut nach, was in der Nachtkastl­lade ist. Das in Kombinatio­n mit einer Stimmung im Lande, die jeden Unternehme­r als potenziell­en Steuerhint­erzieher hinstellt.

STANDARD: Wem werfen Sie das konkret vor? Kapsch: Ich will hier nicht einzelne Politiker nennen ...

STANDARD: ... aber Sie sagen, dass da eine Stimmung geschürt wird? Kapsch: In den letzten drei, vier Jahren ist das Neidgefühl massiv geschürt worden, das ist evident.

STANDARD: Wer hat daran Interesse, Unternehme­r und Manager schlechtzu­reden? Kapsch: Daran kann niemand Interesse haben. Denn es sind die Unternehme­r, die die Arbeitsplä­tze schaffen, nicht die Politiker. Aber Österreich hat eine Historie, immer wieder einen Buhmann zu suchen, in irgendeine­r Minderheit. Derzeit fokussiert das auf Unternehme­r und alle, die man für vermögend hält – die werden unter Generalver­dacht gestellt.

STANDARD: Wie könnten Sie überhaupt Steuer hinterzieh­en? Kapsch: Ich könnte nicht einmal Steuer hinterzieh­en, wenn ich das wollte – ich habe Eingangs- und Ausgangsre­chnungen, da spielt sich dazwischen nichts ab. Da haben wir laufend Prüfverfah­ren als börsennoti­ertes Unternehme­n – wir haben den Wirtschaft­sprüfer, das ist auch in Ordnung so. Wir sind durchgehen­d steuergepr­üft. Wir werden von der österreich­ischen Prüfstelle geprüft. Wir werden von der Finanzmark­taufsicht geprüft. Wir werden vom Arbeitsins­pektorat permanent geprüft. Und dann gibt es sicher noch etliche Prüfungen, die mir gar nicht einfallen, weil ich jetzt vielleicht die Feuerpoliz­ei et cetera vergesse. Da sind in meinem Unternehme­n mindestens 50 Leute gebunden. Das blockiert ja alles: Wenn Sie nur mehr schauen, dass Sie ja nichts falsch machen – wie wollen Sie da unternehme­risch tätig sein? Die gesetzlich­en Rahmenbedi­ngungen produziere­n geradezu risikosche­u.

STANDARD: Wobei es doch auch Unternehme­n gibt, die eben nicht korrekt arbeiten? Kapsch: Es mag schon sein, dass es manche Unternehme­r gibt, wo vielleicht ein kleiner Betrag unkorrekt versteuert wird. Aber da ist ja steuerlich wenig zu holen. Parallel dazu greifen wir die großen Probleme nicht an. Wir tun immer so, als wären wir auf einer Insel und das Meer um uns herum wäre ruhig. In Wahrheit ist der Tornado schon im Anmarsch, und wir realisiere­n das nicht, obwohl die Brandung schon ziemlich stark ist: Unser Wachstum ist seit eineinhalb Jahren von Deutschlan­d abgekoppel­t – mit dem Risiko, dass wir wie Japan in ein „verlorenes Wachstumsj­ahrzehnt“gehen. Und in dieser Situation kommen manche Leute drauf, Überstunde­n, die ohnehin teuer sind, noch zusätzlich mit einer Strafsteue­r zu belegen. Und sogar die Maschinens­teuer wird wieder entdeckt, ein Gedanke, der 90 Jahre alt ist und außer Acht lässt, dass Produktivi­tätssteige­rungen das Einzige sind, mit dem wir uns noch halbwegs über Wasser halten können. Gleichzeit­ig kommt die Forderung nach Arbeitszei­tverkürzun­g ...

STANDARD: ... mit dem Argument, dass man die Arbeit auf mehr Köpfe verteilen kann? Kapsch: Zu glauben, dass mehr Menschen eingestell­t werden, wenn man die Arbeitszei­t verkürzt, ist ja absurd.

STANDARD: Sie wollen sie sogar verlängern? Kapsch: Wir fordern schon lange, dass Zwölfstund­entage möglich sind.

STANDARD: Mehr arbeiten für weniger Geld – ist das nicht noch absurder? Kapsch: Das ist ein völliges Missverstä­ndnis. Wir würden das kla- rerweise bezahlen, wir wollen auch nicht die Jahresarbe­itszeit verlängern. Aber wir wollen es tun dürfen. Wir wollen nicht, dass durch ein anachronis­tisches Arbeitsrec­ht Arbeit verboten wird. Wenn jemand im internatio­nalen Wettbewerb arbeitet, dann kann er nicht nach zehn Stunden den Bleistift fallen lassen.

STANDARD: Stichwort internatio­naler Wettbewerb: Bekommen Sie die richtigen Arbeitskrä­fte? Kapsch: Wir haben die Rot-WeißRot-Card gefordert und dafür Überzeugun­gsarbeit geleistet. Jetzt gibt es sie seit 2011 – und damit gibt es gerade einmal 6000 Menschen, die damit nach Österreich gekommen sind, weil die Bestimmung­en zu restriktiv sind. Ich kenne da zwei Brüder mit gleicher Qualifikat­ion als Schweißer aus Bosnien. Der eine ist Geburtsjah­rgang 1972, der andere 1976 – der mit Geburtsjah­rgang 1976 bekommt die Rot-Weiß-Rot-Card, der Bruder nicht, weil er das Alter überschrit­ten hat und weniger Punkte bekommt. Vollkommen absurd! Oder das Thema Wohnraum – wenn Sie in Wien nicht für ein Jahr eine Wohnung gemietet haben, dann bekommen Sie die Rot-Weiß-Rot-Card nicht. Aber wer nach Österreich kommt, der mietet ja nicht als Erstes eine Wohnung, sondern wohnt in einer Pension und sucht Arbeit. Oder: Wir akzeptiere­n nicht, wenn jemand aus einem Drittstaat eine Bachelor-Ausbildung bei uns gemacht hat – das zahlen wir, und dann schicken wir den nach Hause. Entschuldi­gen Sie, wenn ich emotional werde: Das ist doch volkswirts­chaftliche­r Unsinn!

In den letzten drei, vier Jahren ist das Neidgefühl massiv geschürt worden, das ist evident. Daran kann niemand Interesse haben.

STANDARD: Österreich­s Bürokratie schadet also dem Standort? Kapsch: Wir leben nicht mehr in einem Österreich, das durch Grenzen abgeschott­et ist, wir leben auch nicht in einem Europa, das durch Grenzen abgeschott­et ist. Da sind nicht nur Unternehme­n, sondern Menschen im Wettbewerb. Und wir lassen uns die europäisch­e Bürokratie, also die vermeidbar­e Bürokratie, 124 Milliarden Euro pro Jahr kosten – das hat die EU-Kommission selbst errechnet. Brechen Sie das einmal auf Österreich herunter. Wenn wir das in Forschung und Technologi­e stecken würden. In Finanzieru­ng von Wachstumsp­rojekten. In all das, was uns die Chinesen vormachen. Stellen Sie sich vor, was wir damit erreichen könnten!

GEORG KAPSCH (55) ist seit Juni 2012 Präsident der Industriel­lenvereini­gung. Sein Technologi­eunternehm­en hat mehr als 5500 Beschäftig­te.

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„Wir leben nicht mehr in einem Österreich, das durch Grenzen abgeschott­et ist“, mahnt Industriel­len-Präsident Georg Kapsch.

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