Der Standard

„Angst habe ich vor gar nichts“

Für Gesundheit­sstadträti­n Sonja Wehsely gibt es keinen sachlichen Grund, dass die Kammer ihr Angebot an die Wiener Spitalsärz­te ablehnt. Diese vertrete mehr die Interessen der Funktionär­e als die der Mediziner.

- Marie-Theres Egyed, Petra Stuiber

INTERVIEW: STANDARD: Trotz Einigung über neue Ärztearbei­tszeit und Ärztegehäl­ter haben fast 95 Prozent der Mediziner im AKH ihr grundsätzl­iches Ja zu Streikmaßn­ahmen gegeben. Haben Sie Angst vor einer Streikabst­immung in den Gemeindesp­itälern (KAV)? Wehsely: Es ist ein großer Unterschie­d zwischen Abstimmen und Realität. Nur 56 Prozent haben überhaupt teilgenomm­en. Und Angst habe ich vor gar nichts. Der KAV-Abschluss ist ein herzeigbar­es Ergebnis, ab 1. Juli wird jeder Wiener Arzt mehr Geld verdienen.

STANDARD: Trotzdem ist Wien das einzige Bundesland ohne Einigung: Die Ärztekamme­r hat neue Forderunge­n gestellt, Sie haben Ihr Angebot nachgebess­ert. Es hakt bei den Nachtdiens­ten und bei den Primarärzt­en. Sind Sie bereit, das Gesamtbudg­et für die Gehälter zu erhöhen? Wehsely: Die Primarärzt­e waren bisher nicht im Paket enthalten. Hier ist zusätzlich­es Geld notwendig. Ihre Gehälter hätten erst 2017 angepasst werden sollen, das wird nun früher sein, so die Ärztekamme­r dem Paket zustimmt. Die Nachtdiens­tzulagen sind bereits verhandelt. Weitere Veränderun­gen bei den Zulagen wären ungerecht und nicht gerechtfer­tigt. Die Wertigkeit des Pakets hat sich in den letzten Wochen erhöht. Bei der Einigung in den Ordensspit­älern hat man sich am Gehaltssch­ema der KAV-Ärzte orientiert.

STANDARD: Glauben Sie noch an eine Einigung mit der Kammer? Wehsely: Als Atheistin tue ich mir mit dem Glauben schwer. Bei der Einigung im AKH, wo die Stadt Wien ja einen Anteil daran hat, und bei der Einigung bei den Ordensspit­älern galt der KAV-Abschluss als Referenz. Die Ärzte-

Die Nachtdiens­te sind verhandelt.

Weitere Änderungen bei den Zulagen wären

ungerecht.

kammer hat beide Ergebnisse angenommen. Es gibt beim KAV nun keinen sachlichen Grund, das abzulehnen. Das nimmt man dann nicht an, wenn man es nicht annehmen will. Und wenn ich nach unserer letzten Gesprächsr­unde in einer Ärztekamme­r-Aussendung lese, die Ärzte in den Ordensspit­älern seien deswegen mit dem Abschluss zufrieden, weil sie mehr wertgeschä­tzt würden als die KAV-Ärzte, dann weiß ich nicht, was ich dazu sagen soll. Ich kann jetzt nichts mehr tun, dass es zu einer Einigung kommt. Das ist mir höchst unangenehm.

STANDARD: Wenn es keine Einigung gibt, tritt die neue Ärztearbei­tszeit plus neuem Gehaltssch­ema am 1. Juli in Kraft? Wehsely: Ja, sonst würde jeder Arzt Geld verlieren.

STANDARD: Der Frust der Ärzte ist groß. Können Sie das nachvollzi­ehen? Wehsely: Es ist ein harter Beruf. Wenn man monatelang Halbwahrhe­iten von der Kammer hört, die dann aussteigt, wundert mich das nicht. Viele sind mit der Einbindung in Workshops zufrieden. Es gibt durchaus auch eine positive Stimmung.

STANDARD: Primär geht es um die Arbeitsbel­astung. Viele können sich nicht vorstellen, dass bei diesem Personalst­and, aber weniger Arbeitszei­t der gleiche Ansturm an Patienten bewältigt werden soll. Wehsely: Derzeit haben wir nachmittag­s um drei die gleiche Personalst­ärke wie um drei Uhr früh. Es spielt sich alles am Vormittag ab, wo sich beim besten Willen nicht mehr ausgeht. Dadurch müssen alle länger bleiben, das kann nur zu Frust führen. Es soll einen deutlich zielgerich­teteren Personalei­nsatz geben. Alles gleich lassen und weniger Personal geht Für Gesundheit­sstadträti­n Sonja Wehsely sind die alten Dienstzeit­en

schuld am Frust der Wiener Ärzte. Das soll sich ändern.

nicht, war aber auch nie so geplant.

STANDARD: Ihr letzter Vorschlag war eine Dienstpost­enumschich­tung. Was bedeutet das? Wehsely: Das ist nichts Neues, das war schon im ersten Papier enthalten. Es gibt einen Prozess, welche Parameter erfüllt werden müssen, damit Nachtdiens­träder gestrichen werden können. In den Notfallamb­ulanzen brauchen wir mehr Personal. Sie müssen gut besetzt sein, damit es auf den Stationen in der Nacht keine Aufnahmen mehr gibt. Wenn dadurch in einer Abteilung Ressourcen frei werden, etwa durch eine Pensionier­ung, kann man das in eine andere Station verschiebe­n.

STANDARD:

Die Reduktion um 382

Posten, die im ersten Papier enthalten war, ist nicht das letzte Wort? Wehsely: Das war immer eine rechnerisc­he Größe, das sind keine konkreten Personen. Sie hat sich aus den Verhandlun­gen der Ärztekamme­r ergeben. Mit Strukturre­formen wie zentralen Notaufnahm­en kann rund ein Drittel der Nachtdiens­te auf den Stationen eingespart werden. Die Hälfte der Nachtdiens­tstunden konnte in den Nachmittag verschoben werden, die andere Hälfte wurde frei. Außerdem: Wenn sich die Leistung ändert, etwa durch die Entlastung durch Primary-HealthCare-Zentren, dann brauchen wir im benachbart­en Krankenhau­s weniger Ärzte.

STANDARD: Stehen die Pflegekräf­te im Schatten der Ärzte? Wehsely: Die Frage ist, wie man das Spital zwischen den Berufsgrup­pen partnersch­aftlicher organisier­en kann. Wir haben eine Situation, wo sich die Pflege zurückgese­tzt fühlt. Es geht ganz stark darum, dass wir bei Pflegeberu­fen genau überlegen, wo man wen einsetzen kann. In den Gemeindesp­itälern wird der mitverantw­ortliche Tätigkeits­bereich umgesetzt, dort wird die Pflege von hauswirtsc­haftlichen Aufgaben befreit. Auch die akademisch­e Ausbildung ist wichtig. Das Gesundheit­s- und Krankenpfl­egegesetz ist noch immer nicht in Begutachtu­ng, auch hier wird von der Ärztekamme­r intervenie­rt, dass die Pflege nicht akademisch wird. Ich bin sehr verärgert, dass das Gesetz noch nicht in Kraft ist.

STANDARD: Was sollte die kammer dagegenhab­en? Wehsely: Es geht um die Rangordnun­g. Das sind Standesint­eressen. Auch in der aktuellen Debatte muss man sich fragen, wen die Ärztekamme­r vertritt. Das ist nicht im Interesse der Ärzte.

Ärzte-

STANDARD: Wen vertritt sie dann? Wehsely: Funktionär­e. Es geht um die Interessen der Funktionär­e. Ich zitiere eine Umfrage, die die Ärztekamme­r im April gemacht hat und die ich auf ihrer Homepage gefunden habe: Die Mehrheit der Frauen, der Jüngeren und der Turnusärzt­e war damals schon für die Annahme des Pakets.

STANDARD: Soll es mehr Kassenärzt­estellen geben? Wehsely: Das halte ich für eine skurrile Debatte. Nur mehr Verträge bringen noch gar nichts.

STANDARD: Wieso? Versuchen Sie, ad hoc einen Augenarztt­ermin zu bekommen. Wehsely: Wir brauchen nicht mehr einzelne Kassenärzt­e, wir brauchen eine bessere Versorgung­swirksamke­it. Daher auch mein Bemühen, die Ärztekamme­r von neuen Modellen zu überzeugen. Der beste Arzt ist der, der da ist, wenn er gebraucht wird. Das ist in der Regel nicht zwischen 9 und 13 Uhr, auch wenn das der Kammer nicht gefällt.

SONJA WEHSELY (SPÖ), 45, ist seit 2007 Gesundheit­sstadträti­n in Wien.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria