Freiheitsbeschränkung mit Tabletten
Österreichische Heimbewohnervertretung fordert bessere Kontrolle der Medikation
Wels – Bauchgurte gehörten der Vergangenheit an, die Bettgitter seien weitgehend verschwunden, Käfigbetten verboten; Rosalinde Pimon von der Bewohnervertretung in Oberösterreich zieht eine positive Bilanz: In den knapp zehn Jahren, seit das Heimaufenthaltsgesetz in Österreich in Kraft ist, habe sich für die Bewohner der mehr als zweitausend Einrichtungen viel zum Positiven verändert.
Das seit Juli 2005 geltende Gesetz regelt unter anderem, unter welchen Voraussetzungen Menschen in Seniorenheimen oder in Einrichtungen für Behinderte in ihrer individuellen Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden dürfen. Solche Maßnahmen sind meldepflichtig. Für die Überprüfung sind professionelle Bewohnervertreter zuständig. Diese wiederum rufen in strittigen Fällen die Gerichte an.
So positiv die Bilanz bei einer Fachtagung in Wels am Freitag hinsichtlich der Reduktion mechanischer Freiheitsbeschränkungen bei möglicher Eigen- oder Fremdgefährdung auch war, in einem wichtigen Bereich orten die Bewohnervertreter gewaltige Defizite: Zu häufig würden Tabletten gegen Traurigkeit, Unruhe, gegen das Nicht-im-Heim-bleiben-Wollen eingesetzt. Und nur selten würde eine solche Medikation als Freiheitsbeschränkung gemeldet, obwohl sie eine darstelle. Hier sei mehr Kontrolle notwendig.
Sozialpharmaka
Es handle sich in einigen Fällen um eine „Bedarfsmedikation“, beschreibt Christian Grill, Sachverständiger für Heilpädagogik, die mancherorts vorhandene Praxis Heimbewohner vorsorglich zu sedieren. Etwa wenn ein Pfleger oder eine Pflegerin allein Nachtdienst habe und nur so der geregelte Ablauf einer Nacht gewährleistet werden könne.
Für die Bewohnervertreter handelt es sich um ein schwieriges Terrain. Dass die Verabreichung von Psychpharmaka oft nicht von den Heimen als Freiheitsbeschränkung gemeldet werde, liege daran, dass die Medikamente sowohl von Ärzten als auch vom Pflegepersonal als Therapie einer psychischen Erkrankung klassifiziert würden.
Die Gesetzeslage sei aber eindeutig, hielt Manfred Lengauer, Richter im Rechtsmittelsenat des Landesgerichtes Wels, fest: Auch wenn es beispielsweise „nur“zu einer Dämpfung des Bewegungsdrangs auf das Normalmaß mittels Medikamenten komme, sei das eine Freiheitsbeschränkung. Ähnliches gelte auch, wenn die Medikamente gegen Symptome wie Aggressivität, Rastlosigkeit, nächtliche Unruhe und Weglauftendenzen älterer Menschen verabreicht würden.
Susanne Jaquemar, ÖsterreichChefin der Bewohnervertretung, fordert freilich nicht nur eine Überprüfung der medikamentösen Freiheitsbeschränkungen. In vielen Fällen wären diese einfach nicht notwendig, sagt Jaquemar im
Gespräch. Oft müsse man sich nur vor dem Einsatz von Psychopharmaka fragen, welche Maßnahmen man bei einem „herausfordernden Verhalten“eines Heimbewohners ergreifen könne. Vielfach gehe es ja ohne Tabletten.