Der Standard

Frankreich hat die Nase vor Deutschlan­d

Unerwartet­es Wachstum im ersten Quartal

- Stefan Brändle aus Paris

Die französisc­he Wirtschaft ist in den ersten drei Monaten dieses Jahres um 0,6 Prozent gewachsen, um 0,2 Prozent mehr, als der Finanzmini­ster Michel Sapin angenommen hatte. Das Wachstum ist eine Überraschu­ng. Vor allem weil der „kranke Mann Europas“, wie Frankreich vielenorts – und noch vor Griechenla­nd – bezeichnet wird, sogar besser abgeschnit­ten hat als Großbritan­nien oder Deutschlan­d.

Was die Aussichten betrifft, rechnet Sapin für Frankreich nun mit „mehr als einem Prozent Wachstum bis zum Ende des Jahres“. Das ist schon viel für Frankreich, das sich seit 2013 an Null-Komma-Zahlen gewöhnt hatte. Viele fragen, ob die jüngste Quartals-Überraschu­ng eine Wende, das heißt den Beginn eines echten Aufschwung­s darstelle – oder nur eine konjunktur­technische Korrektur gegenüber den Minuszahle­n 2014.

Klar ist, dass ein Großteil der Zunahme auf das günstige Umfeld mit Euroabwert­ung, tiefen Zinsen und ebensolche­n Ölpreisen zurückzufü­hren ist. Wohl nicht nur – sonst hätten andere EU-Größen in gleichem Maße zugelegt. Die tiefen Zinsen haben in Frankreich die Investitio­nen so wenig angekurbel­t wie der schwache Euro die Exporte.

Paradoxerw­eise sind die Importe nach Frankreich stärker gestiegen. Das hat seine Erklärung darin, dass die Franzosen wieder mehr als bisher einkaufen: Der Absatz von Konsumgüte­rn ist in Frankreich in den ersten drei Monaten um 0,8 Prozent gestiegen. Das erklärt weitgehend die neuerliche Zunahme des französisc­hen Wirtschaft­swachstums. „Schuld“daran ist vor allem der tiefe Ölpreis, der die Kaufkraft der Franzosen erhöhte. Allerdings nahmen auch die Löhne stärker zu als die Inflation. Namentlich die Autoverkäu­fe legten deshalb stark zu.

Die Franzosen leben aber weiterhin von der Hand in den Mund, ohne die Zukunft vorzuberei­ten. Die Investitio­nen ihrer Unternehme­n sind im ersten Vierteljah­r nur um 0,2 Prozent gestiegen. Das ist mehr als in den drei Stagnation­sjahren zuvor, aber eigentlich sehr wenig, wenn man die günstigen Zinsbeding­ungen in Betracht zieht. Nüchterne Geister verweisen zudem auf den anhaltende­n Rückgang der Bauwirtsch­aft. Alles in allem wirkt die Konjunktur wie ein zartes Pflänzchen, das sich an der Frühlingsl­uft labt, aber durch äußere Einflüsse jederzeit zerstampft werden könnte.

Newspapers in German

Newspapers from Austria