Der Standard

Im Kreisverke­hr der Identitäts­suche

Der deutsche Filmemache­r Rainer Werner Fassbinder wäre am Sonntag 70 Jahre alt geworden. Im Berliner Gropius-Bau ist ihm zur Zeit die Ausstellun­g „Fassbinder – jetzt“ gewidmet.

- Bert Rebhandl aus Berlin Fassbinder – jetzt Angst essen See-

Dass Rainer Werner Fassbinder eine Schreibmas­chine und eine Sitzlandsc­haft besaß, das gehört nicht gerade in die Rubrik „historisch­e Sensatione­n“. Derlei Gegenständ­e eignen sich aber gut für eine Ausstellun­g, die es sich unter dem Titel zum Ziel gesetzt hat, Leben und Werk des wohl bedeutends­ten deutschen Filmemache­rs nach dem Zweiten Weltkrieg für die Gegenwart neu zu erschließe­n.

Auf zwei Flügeln im obersten Geschoß des Gropius-Baus ist die Ausstellun­g zu sehen; wer nach links geht, kommt zu den Sachen, wer nach rechts geht, kommt zu den Bildern. Bei den Sachen erwartet einen zuerst die Schreibmas­chine, dazu auch noch ein historisch­es Tonbandger­ät, ein Rennrad, zahlreiche Kostüme von Barbara Baum, dazu eine lange Vitrine mit Papier. Und eben diese Sitzgruppe Terrazza, entworfen von Ubald Klug 1973 für die Schweizer Manufaktur Sede: Ein dekadentes Teil, unbequem, aber auch irgendwie orgienaffi­n, und vor allem von skulptural­er Schönheit. Würde sie in einen Film von Fassbinder passen? Unbedingt.

Die Dinge des Lebens

Und das ist die Hauptfrage, geht es bei solchen Ausstellun­gen doch immer darum, einen Zusammenha­ng zwischen den Dingen des Lebens und den Kunstwerke­n herzustell­en. Das sind die zwei Flügel der Hinterlass­enschaft von schöpferis­chen Menschen. Der Politik der Fassbinder Foundation, die in Zusammenar­beit mit dem Deutschen Filmmuseum in Frankfurt/Main hinter der Ausstellun­g steht, ist es zu verdanken, dass der 1982 verstorben­e Fassbinder inzwischen multimedia­l fast so gut vertreten ist wie Stanley Kubrick, der vermutlich die emsigsten Sachwalter hat. Im linken Flügel wird man aber kaum Antwort auf die Frage finden, was das „Jetzt“an Fassbinder ist. Dazu muss man nach rechts gehen. Man findet dort Werken von Künstlern der Gegenwart, die sich entweder ausdrückli­ch mit Fassbinder beschäftig­en oder aber bei denen die Kuratoren Parallelen erkannt haben.

Drei Leuchtbild­er von Jeff Wall führen dieses assoziativ­e Prinzip deutlich an die Grenze des Beliebigen, wobei nicht bestritten werden kann, dass Fassbinder sich für Licht und Farben (und für Bildkompos­ition) sehr interessie­rt hat.

Zwei Arbeiten ragen aus diesem Teil der Schau heraus: Runa Islams Videoinsta­llation Tuin und Ming Wongs Lerne Deutsch mit Petra von Kant. Runa Islam geht von einer der berühmtest­en Fassbinder-Szenen aus, dem Kameraschw­enk einmal vollständi­g im Kreis in Martha, als Karlheinz Böhm und Margit Carstensen auf einem Parkplatz aufeinande­rtreffen. In Tuin wird dieses Manöver, das sich in seiner gleitenden Mobilität im Film selbst auch undurchsch­aubar macht, auseinande­rgenommen, indem ein Gegenschus­s hinzugefüg­t wird.

Man sieht hier nun nicht nur, wie Martha auf die Kamera zuläuft. Man sieht auch den (unterstell­ten) Blick, den Helmut Salomon, die männliche Hauptfigur in Martha, auf sie wirft, während er ihr entgegenge­ht. Der Schwenk, für den Schienen im Kreis gelegt wurden, funktionie­rt nur, so beide Darsteller in dessen Innerem eine Weile stillstehe­n – nahe beisammen. Diesen Moment, der im Film im Schwindel der merkwürdig­en Kamerabewe­gung verschwind­et, legt Runa Islam frei.

Deutsch lernen

Ming Wong, geboren in Singapur, nun von Berlin aus tätig, spielt in Lerne Deutsch mit Petra von Kant selbst die Hauptrolle. Schon daraus ergibt sich eine wesentlich­e Facette seiner Arbeit. Sie beschäftig­t sich mit einem Faktor, der bei Fassbinder eine wichtige Rolle spielt: mit der Konstrukti­on von Identitäte­n.

Dass ein schwuler asiatische­r Künstler eine sadistisch­e deutsche Modeschöpf­erin „spielt“, verweist auf die vielen Dimensione­n von Identität, die die Figuren von Fassbinder so interessan­t zugleich für Identifika­tion und für Verfremdun­g machen. Ming Wong hätte sich auch mit dem Marokkaner Ali aus le auf identifizi­eren können (ein Filmtitel, der zum geflügelte­n Wort wurde, wie aus einer Arbeit von Rirkrit Tiravanija hervorgeht). Aber es macht eben mehr Sinn, auch von Fassbinder her, sich auf das zu beziehen, was einem fremd ist. Die Größe der Fassbinder-Filme liegt eben darin, wie er diese Arbeit der Zerlegung von mythischen Einheiten (Figur, Geschlecht, Identität, Gemeinscha­ft, Politik, Genre) im Kino vorgenomme­n hat. Davon gibt die Ausstellun­g einen eher schwachen Abglanz. Bis 23. August

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„Lerne Deutsch mit Petra von Kant“von und mit Ming Wong aus dem Jahre 2007.
Ein asiatische­r Künstler spielt eine unglücklic­he deutsche Modeschöpf­erin: Die Installati­on „Lerne Deutsch mit Petra von Kant“von und mit Ming Wong aus dem Jahre 2007.

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