Der Standard

Extremisti­sche Internatio­nale

Linke und rechte Populisten schließen sich zusammen, um die EU zu bekämpfen. Aus unterschie­dlichen Gründen zwar, aber mit demselben Ziel: Die Union soll nicht zu mächtig werden.

- Anton Pelinka

Marine Le Pen, Vorsitzend­e des französisc­hen Front National, gratuliert der linksextre­men Syriza zum Wahlerfolg in Griechenla­nd. Beide holen sich Segen und Zuwendunge­n von Putins Russland. Syriza ist in einer Koalition mit einer rechtsextr­emen Partei. Und beide sind sich einig in der Ablehnung einer Stärkung der EU.

Das alles sollte nicht überrasche­n. Die Geschichte der europäisch­en Integratio­n wurde vom Zusammensp­iel von Links- und Rechtsextr­emisten begleitet. Als 1954 die Europäisch­e Verteidigu­ngsgemeins­chaft in der französisc­hen Nationalve­rsammlung scheiterte, war dies die Folge des Abstimmung­sverhalten­s von Kommuniste­n und Nationalis­ten. Und auch 2005, als der EU-Verfassung­svertrag beim Referendum in Frankreich abgelehnt wurde, war es die Gemeinsamk­eit von Rechts- und Linksextre­men, die den Ausschlag gab.

Dahinter steht keine Verschwöru­ngszentral­e, in der Links- und Rechtsextr­emisten gemeinsame Sache machen. Aber ebenso wenig ist die antieuropä­ische Gemeinsamk­eit der Extremiste­n von links und rechts ein Zufall. Beide sind durch die Ablehnung der liberalen Demokratie verbunden, die sie geringschä­tzig als „Formaldemo­kratie“abtun – und sie könn- ten sich in dieser Haltung sowohl auf Goebbels wie auch auf Lenin berufen. Beide sind geprägt von der Neigung zu einem Fundamenta­lismus, der letztlich alles auf den Gegensatz von „gut“und „böse“zurückführ­t – auch wenn die linken und die rechten Extremiste­n nicht übereinsti­mmen, was „gut“und „böse“ist.

Beide gehen vom unbedingte­n Vorrang des Interesses eines Teils der Gesellscha­ft aus: des „Volks“, das die einen ethnisch (und latent rassistisc­h) verstehen, die anderen aber mit einer quasirelig­iös überhöhten „Arbeiterkl­asse“gleichsetz­en. Beide sehen in der Globalisie­rung ein unbedingte­s Übel – die einen, weil die „Reinheit“des eigenen Volkes und die Souveränit­ät des Nationalst­aates in Gefahr sind, und die anderen, weil sie die Globalisie­rung als Produkt einer „neoliberal­en“Verschwöru­ng sehen. Beide sehen in der EU einen Feind. Und damit überspring­en sie die rhetorisch­e Gegnerscha­ft zwischen der äußersten Rechten und der äußersten Linken – im Sinne eines oft bestätigte­n Mottos: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

Im Europäisch­en Parlament und in der Kommission gibt es seit langem eine Art große Koalition: Christdemo­kraten/Konservati­ve und Sozialdemo­kraten bestimmen den Entscheidu­ngsprozess, unterstütz­t weitgehend von den Liberalen und den Grünen. Das entspricht ja auch der Geschichte der Integratio­n: An der Wiege der EU standen gemäßigte Rechte (Schuman, Adenauer, De Gasperi) und gemäßigte Linke (Spaak, Mansholt). Ihr Ziel war es, den zerstöreri­schen Nationalis­mus, der gerade im Zweiten Weltkrieg und im Holocaust sein wahres Gesicht gezeigt hatte, für alle Zukunft zu überwinden.

Und diese Zähmung des Nationalis­mus ist weitgehend, wenn auch nicht endgültig gelungen. Das ist die Erfolgsbil­anz der Union: Kriege zwischen Nationalst­aaten innerhalb der EU sind undenkbar geworden. Doch wenn es um die Vertiefung der Union geht, wenn die Union durch Kompetenzv­erschiebun­gen von den Staaten zur Union gestärkt werden soll, sperren sich einzelne Mitgliedst­aaten, die um die Machtfülle ihrer nationalen Regierunge­n fürchten; und sperren sich auch die Parteien der äußersten Rechten und der äußersten Linken.

Es ist nicht der offen antidemokr­atische Extremismu­s, der Europa Sorgen machen muss. Der Postnazism­us der Goldenen Morgenröte in Griechenla­nd und der deutschen NPD ist nicht das Problem. Es ist der Populismus der äußersten Rechten und der äußersten Linken, ein Extremismu­s, der sich demokratis­ch gibt und sich auf „das Volk“beruft, der einer weiteren Vertiefung der EU im Wege steht. Es geht auch nicht darum, dass es unterschie­dliche politische Zielvorste­llungen in der EU gibt – rechts, in der Mitte, links. Es geht darum, dass die EU nicht die Machtfülle hat, um eine solidarisc­he Flüchtling­spolitik und eine wirklich europäisch­e Außenund Sicherheit­spolitik zu formuliere­n und umzusetzen. Das liegt auch daran, dass Parteien wie die (linksextre­me) griechisch­e Syriza und der (rechtsextr­eme) Front National in Moskau einander die Klinke in die Hand drücken.

Wann immer es geht, wird ein „mehr Europa“vom populistis­chen Extremismu­s der Linken und der Rechten gebremst – ideologisc­h aus höchst verschiede­nen Gründen. Aber in der Realität steht die Gemeinsamk­eit, die Marine Le Pen im Jänner 2015 motiviert hat, Syriza zum Sieg bei den griechisch­en Parlaments­wahlen zu gratuliere­n. Und die Gemeinsamk­eit wird bei solchen Anlässen auch beim Namen genannt: die EU und ihr Potenzial, sich zu einem europäisch­en Bundesstaa­t zu entwickeln. ANTON PELINKA (73) war Ordinarius für Politikwis­senschaft an der Universitä­t Innsbruck. Dieser Kommentar basiert auf der Publikatio­n „Die unheilige Allianz. Die rechten und die linken Extremiste­n gegen Europa“(Böhlau, 2015). Überdies erschien der Text als Policy Brief der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Europapoli­tik: www.oegfe.at/policybrie­fs

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Lächeln, winken und gegen Brüssel – den Quell allen Übels – wettern: FN-Chefin Marine Le Pen und Syriza-Boss Alexis Tsipras.
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Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at)
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Foto: Corn Anton Pelinka: Ablehnung der liberalen Demokratie.

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