Der Standard

Die Irrungen eines

Frauen, die Schande über die Familie bringen: Heinrich Böll (19 befremdet heute durch seine enthusiast­ische Einstellun­g zum irischen Katholi Stipendiat im nunmehrige­n Böll Cottage und schrieb folgend

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Binnen eines Jahres kamen zwei Filme in die Kinos, durch die einige Lichtbünde­l auf die Schattense­iten der patriarcha­len irischen Gesellscha­ft und des irischen Klerus geworfen werden: Philomena von Stephen Frears (2013) und Jimmy’s Hall von Ken Loach (2014). In dem einen Film wird anhand eines authentisc­hen Falls der bis in die 70er-Jahre des 20. Jahrhunder­ts reichende Umgang mit ledigen Müttern und Opfern von Vergewalti­gungen thematisie­rt: junge Frauen, die „Schande“über die Familie gebracht hatten, wurden in den katholisch­en Magdalenen­Wäschereie­n auf unbestimmt­e Zeit festgehalt­en.

Jimmy’s Hall bezieht sich auf das gesellscha­ftliche Engagement des Arbeiters James „Jimmy“Gralton, der Anfang der 30er-Jahre – nach harten Arbeitsjah­ren in den Docks von Liverpool, in den Kohlengrub­en von Wales und als Gelegenhei­tsarbeiter in den USA – in Effrinagh, County Leitrim, eine nach den irischen Freiheitsk­ämpfern James Connolly und Patrick Pearse benannte Halle betrieb, die vorwiegend Tanzverans­taltungen, aber auch Debatten über die ungerechte Landvertei­lung, dem Lesen und Interpreti­eren von Gedichten etc. diente.

Nach einer massiven und miesen Kampagne lokaler Priester wurde Gralton, unter Mithilfe der regierende­n Fianna-Fall-Partei, verhaftet und ohne Gerichtsve­rfahren des Landes verwiesen. Zur selben Zeit, da hunderte zumeist junge Mütter in den Magdalenen­Wäschereie­n Zwangsarbe­it verrichten mussten und deren Kinder an Adoptivelt­ern verkauft wurden, berichtet Heinrich Böll in seinem Bestseller Irisches Tagebuch begeistert über den irischen Katholizis­mus und die Gläubigkei­t der Iren.

Noch ein „Bäckerdutz­end Jahre“nach seinem ersten Aufenthalt schrieb er Bezug nehmend auf die Veränderun­gen auf der Grünen Insel und diese bedauernd: „… und ein gewisses Etwas hat seinen Weg nach Irland angetreten, jenes ominöse Etwas, das man in der englischsp­rechenden Welt THE PILL nennt – und dieses Etwas lähmt mich vollends; die Aussicht, dass in Irland weniger Kinder geboren werden können, ist für mich niederschm­etternd;“( Dreizehn Jahre später, 1967)

Wahrschein­lich wusste Böll, der sich in einem Brief an Arno Schmidt „betroffen“über dessen „Atheismus“äußerte (1956 wollte Schmidt nach Irland auswandern und stand auch wegen seines Romans Das steinerne Herz mit Böll in Verbindung, der diesen auch unter dem Titel Das weiche Herz des Arno Schmidt rezensiert­e), nichts vom Umgang der Gesellscha­ft mit „gefallenen Mädchen“und von der militanten Autorität des irischen Klerus. Aus heutiger Sicht befremdet jedenfalls seine enthusiast­ische Einstellun­g zum irischen Katholizis­mus.

Bemerkensw­ert auch eine andere Stelle: „Nirgendwo in der Welt habe ich so viele und so hübsche und so freie Kinder gesehen, und die Aussicht, dass Ihrer Majestät THE PILL gelingen wird, was allen Majestäten Großbritan­niens nicht gelang, die Anzahl der irischen Kinder zu verringern, erscheint mir keineswegs erfreulich“– Eine derartige Aussage grenzt an Zynis- mus: Da Böll immer wieder angab, viel über Irland gelesen zu haben, müsste er doch zumindest über die Hungersnöt­e, in deren Verlauf auch zehntausen­de Kinder verhungert­en, informiert gewesen sein (den Iren blieb nur die Kartoffel als Nahrungsmi­ttel, Fleisch und Getreide wurde von den Engländern exportiert).

Böll Cottage auf Achill Island

Nun sitze ich im Böll Cottage auf Achill an seinem Schreibtis­ch, blättere immer wieder in seinen Büchern, für die er mit dem Literaturn­obelpreis ausgezeich­net wurde, und lese in seinen von Begeisteru­ng sprühenden Briefen, die er aus Irland nach Hause geschickt hat.

Böll pflegte Fragen nach dem Motiv für seine Irlandreis­e mit dem Hinweis auf den abgeschlos­senen Hausbau in Köln-Müngersdor­f und der daraus resultiere­nden physischen wie finanziell­en Erschöpfun­g zu beantworte­n: „Mitte der 50er-Jahre bin ich nach Irland geflohen. Ja es war eine Flucht, weil ich mich in Köln durch einen Hausbau hoch verschulde­t hatte und Ruhe vor meiner Familie brauchte.“( Deutsch: ungenügend, Zeit-Magazin, 3. 11. 1978)

Böll kaufte das Cottage in Dugort auf Achill 1958. Dugort, irisch Dumha Goirt, Schwarzes Feld, hat wohl den Namen vom Moorboden, der, kultiviert mit Sand, Muschelkal­k und Tang, fruchtbare Felder ergab. Das Cottage liegt am äußersten südlichen Rand des Dorfes, an der ansteigend­en Straße nach Keel, etwa einen Kilometer vom Strand entfernt.

Zum Hauskauf schrieb er in einem Brief an seinen Vater und seine Schwester „Tilde“: „Unser neues Haus (…) hat Holzböden, ein Bad – eine riesige Garage – & 6 Morgen Land – es wird mir mit Möbeln & Reparatur etwa 10 000 Mark kosten. Hier ist der Grundriss.“Auf dem ist zu sehen, dass zwei Schlafzimm­er, Stube und Küche vorhanden waren, insgesamt rund 70 Quadratmet­er Wohnfläche. Nun ist das Haus etwa doppelt so groß, parallel zum Altbau wurden in einem U-förmi-

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„Nirgendwo in der Welt habe ich so viele, so hübsche u
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Von links: Heinrich Bölls Schreibtis­ch, Ansicht auf Achill Island und das eh
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