Der Standard

Wieder scheitern. Besser scheitern.

Literarisc­her Streifzug Nummer drei: Christoph W. Bauer folgt in Paris den Spuren von Samuel Beckett und Robert Pinget.

- Christoph W. Bauer

Je suis en route, ich lese mich von einem Brief in den nächsten, laufe durch Straßen und gelange schließlic­h in die Rue des Favorites. Hier hatte er 1937 seine erste Wohnung in Paris bezogen, hier traf im August 1942, kaum eine halbe Stunde nach seiner Flucht, die Gestapo ein. Später wird er seine Tätigkeit in einer französisc­hen Widerstand­sgruppe als Pfadfinder­kram bezeichnen und: „Obwohl ich 1942 verschwind­en musste, konnte ich meine Wohnung behalten. Ich kehrte dorthin zurück und begann wieder zu schreiben – auf Französisc­h.“Bis an sein Lebensende wird ihm Paris Heimatstad­t bleiben, auch wenn es ihm manchmal schwerfäll­t, „das Frankreich wiederzuer­kennen, an das man sich einmal geklammert hat, an das ich mich noch immer klammere“.

Was ihn dazu bewogen habe, nicht mehr in seiner Mutterspra­che zu schreiben: Noch oft wird Samuel Beckett auf die Beweggründ­e angesproch­en werden. Die Palette seiner Antworten reicht von „Um mich bemerkbar zu machen“über „Ich hatte einfach Lust dazu“bis hin zur bemerkensw­erte Aussage: „Um ohne Stil zu schreiben.“1968 wird er hinzufügen: „Um mich noch ärmer zu machen. Das war der wahre Beweggrund.“Ein Jahr später wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeich­net, schon zuvor war er mit Warten auf Godot zum weltberühm­ten Schriftste­ller geworden. Was Beckett nicht vor Selbstzwei­feln feite, im Gegenteil. Davon zeugt sein umfangreic­hes Briefwerk, mehr als 15000 Briefe umfasst es, adressiert an Familienan­gehörige, Freunde, Verleger und Wegbegleit­er. In der Korrespond­enz spiegeln sich Becketts Interessen wieder, seine Beschäftig­ung mit diversen Literature­n, mit Musik und bildender Kunst, sein poetologis­cher Ansatz.

Mal tritt er einem selbstbewu­sst entgegen, dann hadernd, das Scheitern am Leben wird manifest, es bedingt mitnichten Selbst- aufgabe, sondern Neuanfang. Und so sind Sätze wie: „Ich kann den Mund nicht aufmachen, ohne den Kopf zu verlieren“keineswegs als launisches Aperçu oder gar als Attitüde zu lesen, vielmehr beinhaltet der Satz wohl den Appell, den Kopf beim nächsten Mal besser zu verlieren. Kann man sich von einem Nobelpreis­träger einen klügeren Rat erhoffen?

Überleben

So mag es auch Robert Pinget empfunden haben, mit dem Beckett eine langjährig­e Freundscha­ft und Arbeitsbez­iehung verband. Pinget, 1919 in Genf geboren, zog es nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Paris, 1951 wurde er freier Schriftste­ller. Zunächst publiziert­e er einen Band mit Erzählunge­n, später Romane und Novellen, schließlic­h wandte er sich vermehrt dem Theater, dem Hörfunk und auch dem Fernsehen zu. Bald trat er in briefliche­n Kontakt mit Beckett, suchte Ermutigung für sein Schreiben, Beckett rät ihm: „Verzweifel­n Sie nicht, stecken Sie Ihren Stecker in die Verzweiflu­ng und singen Sie uns von ihr.“Ein andermal antwortet er dem jüngeren Kollegen: „Überleben – ich weiß, das ist nicht die Frage, und es ist kein Argument. Aber weiterschr­eien zu können ist vielleicht eins, für die, die nicht schweigen können.“

Heute gilt Pinget, der 1997 in Tours starb, als einer der radikalste­n Vertreter des Nouveau roman. Dennoch scheint er im deutschspr­achigen Raum in Vergessenh­eit geraten zu sein. Die Lektüre seiner Bücher sei anempfohle­n, die der Briefe Becketts ebenso: „Aber nachdem ich ein Leben lang Mist gebaut habe, steht es mir nicht zu, Ihnen Ratschläge zu erteilen“– Beckett an Pinget. Wieder scheitern. Besser scheitern. Je suis en route.

Robert Pinget, „Tintenklec­kse.“Deutsch von Gerda Scheffel. € 25,20 / 64 Seiten. Wagenbach-Verlag

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