Auf der Suche nach den grünen Olympischen Spielen
Die Organisatoren in Rio de Janeiro setzen auf Nachhaltigkeit. Doch die Kontraste sind groß: Brasilien ist weltweit größter Konsument von Pflanzengift und nach den USA auf Platz zwei der Gentechnik-Produzenten.
Das Organisationskomitee der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro bewegt sich zwischen den Farben Rot, Orange und Blau. Mit einem Kriterienkatalog soll sichergestellt werden, dass nur nachhaltig hergestellte Produkte auf der Einkaufsliste für das weltweit größte Sportereignis 2016 landen. Das Komitee hat ein Budget von rund einer Milliarde Euro und muss damit für die Ausstattung der Spielstätten und des Olympischen Dorfes sorgen. Auf der „roten Liste“landet zum Beispiel Holz, das aus illegal abgeholzten Gebieten stammt. Eindeutig „blau“sind dagegen die Goldmedaillen, die aus Teilen von recycelten Resten des Edelmetalls hergestellt werden. Großbildleinwände und Flatscreen-TVs sind „orange“und bereiten dem Komitee Kopfzerbrechen, weil ihre Herstellung energieintensiv ist.
Tania Braga, Direktorin für Nachhaltigkeit beim Organisationskomitee, hat die Ansprüche hoch gesteckt. Die resolute Wirtschaftswissenschafterin will ihren Landsleuten auch ein neues Bewusstsein verordnen, denn Brasilien hat Nachholbedarf. „Wir müssen über das hinausgehen, was sichtbar ist“, sagt Braga. Denn Nachhaltigkeit heiße nicht, dass ein Produkt teurer oder komplizierter in der Herstellung ist.
Die größte Herausforderung liegt aber in der Bereitstellung von täglich 14 Millionen Mahlzeiten für Athleten und Betreuer während der Sommerspiele. Alle Lebensmittel sollen aus ökologischem Anbau stammen, keine Pflanzenschutzmittel enthalten und möglichst von kleinen und mittleren Produzenten hergestellt werden.
Zu wenige Bioproduzenten
„Ein großes Problem ist, dass es nicht genügend Produzenten für biologische Lebensmittel gibt“, sagte Ming Liu, Geschäftsführer der Initiative Brasil Organics. Die große Mehrheit der Biolebensmittel wird von kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betrieben hergestellt. Allerdings fand in den vergangenen Jahrzehnten ein großer Verdrängungswettbewerb statt. Inzwischen bestimmen Agrarunternehmen, die Sojabohnen, Orangen und Zucker in Monokultur herstellen, die Landschaft. Die Ressourcen sind ungleich verteilt und Biobauern eine kleine Minderheit. 0,4 Prozent der Agrarunternehmen erzeugen die Hälfte aller landwirtschaftlichen Produkte.
Von den Olympischen Spielen erhofft sich Ming deshalb einen starken Schub für die Biobranche. „Es gibt viel zu wenig Aufklärung. Die Verbraucher wissen nichts über die Vorteile von biologisch hergestellten Lebensmitteln“, sagt er und verweist darauf, dass es seit 2011 ein einheitliches Biozertifizierungssiegel in ganz Brasilien gibt. „Es wird bei den Olympischen Spielen nicht alles zu 100 Prozent organisch sein, aber es ist ein wichtiger Schritt“, sagt Ming Liu.
Die Biobranche verzeichnete im vergangenen Jahr in Brasilien einen Zuwachs von 20 Prozent. Das Bewusstsein in der Bevölkerung steigt: Vor allem in den Großstädten legt die Mittelklasse zunehmend Wert auf gesundes Essen und greift dafür auch tiefer in die Tasche. Bioprodukte sind zwischen 30 und 40 Prozent teurer. Doch selbst bei gutem Willen ist es für Brasilianer schwer, sich in den Supermarktregalen durch den Dschungel der vermeintlichen Bio-Produkte zu bewegen. Die großen Hersteller sprechen deshalb auch von „gesunden“Lebensmitteln. Dazu zählen sie Bio-, Light-, antitoxische, probiotische, genetisch nicht veränderte und rein organische Lebensmittel.
In 70 Prozent Giftrückstände
Aufgeschreckt sind viele Brasilianer durch jüngste alarmierende Untersuchungen. Fünf Liter reines Pflanzengift konsumieren sie pro Jahr, versteckt ist es in Lebensmitteln, wie das brasilianische Krebsforschungsinstitut INCA herausfand.
Denn seit 2008 hält Brasilien einen zweifelhaften Rekord: Das Land ist der weltweit größte Verbraucher von Pestiziden. In 70 Prozent aller Lebensmittel fanden die Forscher Giftrückstände. In 28 Prozent entdeckten sie Spuren nicht zugelassener Pflanzengifte. Vor allem gentechnisch veränderte Lebensmittel seien voll von diesen chemischen Substanzen, sagt Toxikologin und Biomedizinerin Karen Friedrich von der auf öffentliche Gesundheit spezialisierten Stiftung Oswaldo Cruz mit Sitz in Rio de Janeiro.
Hinzukommt, dass viele der in Brasilien verwendeten Pestizide in Europa und den USA längst verboten sind, ebenso wie der Einsatz von Sprühflugzeugen. „Der ökonomische Druck ist enorm“, betont die Wissenschafterin. Der gehe vor allem von den PestizidHerstellern und deren mächtiger Lobby aus. Im brasilianischen Kongress ist die Fraktion der Agrarindustrie die stärkste.
Brasilien gilt als GentechnikParadies. Vor zwölf Jahren gab die damalige Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva den Anbau frei. Inzwischen stammen bereits 80 Prozent der Maispflanzen aus gentechnisch veränderten Samen, bei Soja sind es sogar 90 Prozent. Mais zählt neben Bohnen und Reis zu den Grundnahrungsmitteln in Brasilien.
Die Versprechen nach mehr Produktivität haben sich für die Bauern aber inzwischen in das Gegenteil umgekehrt. Schädlinge haben Resistenzen gebildet und befallen jetzt die Pflanzen, die eigentlich mit einem Insektengift ausgestattet sind. Besonders betroffen ist Mais, mehr als 30 Prozent der Pflanzen waren im vergangenen Jahr befallen. Als Konsequenz müssen die Bauern zusätzlich Insektengift einsetzen, um nicht ihre gesamte Ernte zu verlieren. pwww. organicsbrasil.org
www.rio2016.org.br