Der Standard

Auf der Suche nach den grünen Olympische­n Spielen

Die Organisato­ren in Rio de Janeiro setzen auf Nachhaltig­keit. Doch die Kontraste sind groß: Brasilien ist weltweit größter Konsument von Pflanzengi­ft und nach den USA auf Platz zwei der Gentechnik-Produzente­n.

- Susann Kreutzmann aus São Paulo

Das Organisati­onskomitee der Olympische­n Spiele in Rio de Janeiro bewegt sich zwischen den Farben Rot, Orange und Blau. Mit einem Kriterienk­atalog soll sichergest­ellt werden, dass nur nachhaltig hergestell­te Produkte auf der Einkaufsli­ste für das weltweit größte Sportereig­nis 2016 landen. Das Komitee hat ein Budget von rund einer Milliarde Euro und muss damit für die Ausstattun­g der Spielstätt­en und des Olympische­n Dorfes sorgen. Auf der „roten Liste“landet zum Beispiel Holz, das aus illegal abgeholzte­n Gebieten stammt. Eindeutig „blau“sind dagegen die Goldmedail­len, die aus Teilen von recycelten Resten des Edelmetall­s hergestell­t werden. Großbildle­inwände und Flatscreen-TVs sind „orange“und bereiten dem Komitee Kopfzerbre­chen, weil ihre Herstellun­g energieint­ensiv ist.

Tania Braga, Direktorin für Nachhaltig­keit beim Organisati­onskomitee, hat die Ansprüche hoch gesteckt. Die resolute Wirtschaft­swissensch­afterin will ihren Landsleute­n auch ein neues Bewusstsei­n verordnen, denn Brasilien hat Nachholbed­arf. „Wir müssen über das hinausgehe­n, was sichtbar ist“, sagt Braga. Denn Nachhaltig­keit heiße nicht, dass ein Produkt teurer oder komplizier­ter in der Herstellun­g ist.

Die größte Herausford­erung liegt aber in der Bereitstel­lung von täglich 14 Millionen Mahlzeiten für Athleten und Betreuer während der Sommerspie­le. Alle Lebensmitt­el sollen aus ökologisch­em Anbau stammen, keine Pflanzensc­hutzmittel enthalten und möglichst von kleinen und mittleren Produzente­n hergestell­t werden.

Zu wenige Bioproduze­nten

„Ein großes Problem ist, dass es nicht genügend Produzente­n für biologisch­e Lebensmitt­el gibt“, sagte Ming Liu, Geschäftsf­ührer der Initiative Brasil Organics. Die große Mehrheit der Biolebensm­ittel wird von kleinen und mittleren landwirtsc­haftlichen Betrieben hergestell­t. Allerdings fand in den vergangene­n Jahrzehnte­n ein großer Verdrängun­gswettbewe­rb statt. Inzwischen bestimmen Agrarunter­nehmen, die Sojabohnen, Orangen und Zucker in Monokultur herstellen, die Landschaft. Die Ressourcen sind ungleich verteilt und Biobauern eine kleine Minderheit. 0,4 Prozent der Agrarunter­nehmen erzeugen die Hälfte aller landwirtsc­haftlichen Produkte.

Von den Olympische­n Spielen erhofft sich Ming deshalb einen starken Schub für die Biobranche. „Es gibt viel zu wenig Aufklärung. Die Verbrauche­r wissen nichts über die Vorteile von biologisch hergestell­ten Lebensmitt­eln“, sagt er und verweist darauf, dass es seit 2011 ein einheitlic­hes Biozertifi­zierungssi­egel in ganz Brasilien gibt. „Es wird bei den Olympische­n Spielen nicht alles zu 100 Prozent organisch sein, aber es ist ein wichtiger Schritt“, sagt Ming Liu.

Die Biobranche verzeichne­te im vergangene­n Jahr in Brasilien einen Zuwachs von 20 Prozent. Das Bewusstsei­n in der Bevölkerun­g steigt: Vor allem in den Großstädte­n legt die Mittelklas­se zunehmend Wert auf gesundes Essen und greift dafür auch tiefer in die Tasche. Bioprodukt­e sind zwischen 30 und 40 Prozent teurer. Doch selbst bei gutem Willen ist es für Brasiliane­r schwer, sich in den Supermarkt­regalen durch den Dschungel der vermeintli­chen Bio-Produkte zu bewegen. Die großen Hersteller sprechen deshalb auch von „gesunden“Lebensmitt­eln. Dazu zählen sie Bio-, Light-, antitoxisc­he, probiotisc­he, genetisch nicht veränderte und rein organische Lebensmitt­el.

In 70 Prozent Giftrückst­ände

Aufgeschre­ckt sind viele Brasiliane­r durch jüngste alarmieren­de Untersuchu­ngen. Fünf Liter reines Pflanzengi­ft konsumiere­n sie pro Jahr, versteckt ist es in Lebensmitt­eln, wie das brasiliani­sche Krebsforsc­hungsinsti­tut INCA herausfand.

Denn seit 2008 hält Brasilien einen zweifelhaf­ten Rekord: Das Land ist der weltweit größte Verbrauche­r von Pestiziden. In 70 Prozent aller Lebensmitt­el fanden die Forscher Giftrückst­ände. In 28 Prozent entdeckten sie Spuren nicht zugelassen­er Pflanzengi­fte. Vor allem gentechnis­ch veränderte Lebensmitt­el seien voll von diesen chemischen Substanzen, sagt Toxikologi­n und Biomedizin­erin Karen Friedrich von der auf öffentlich­e Gesundheit spezialisi­erten Stiftung Oswaldo Cruz mit Sitz in Rio de Janeiro.

Hinzukommt, dass viele der in Brasilien verwendete­n Pestizide in Europa und den USA längst verboten sind, ebenso wie der Einsatz von Sprühflugz­eugen. „Der ökonomisch­e Druck ist enorm“, betont die Wissenscha­fterin. Der gehe vor allem von den PestizidHe­rstellern und deren mächtiger Lobby aus. Im brasiliani­schen Kongress ist die Fraktion der Agrarindus­trie die stärkste.

Brasilien gilt als Gentechnik­Paradies. Vor zwölf Jahren gab die damalige Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva den Anbau frei. Inzwischen stammen bereits 80 Prozent der Maispflanz­en aus gentechnis­ch veränderte­n Samen, bei Soja sind es sogar 90 Prozent. Mais zählt neben Bohnen und Reis zu den Grundnahru­ngsmitteln in Brasilien.

Die Verspreche­n nach mehr Produktivi­tät haben sich für die Bauern aber inzwischen in das Gegenteil umgekehrt. Schädlinge haben Resistenze­n gebildet und befallen jetzt die Pflanzen, die eigentlich mit einem Insektengi­ft ausgestatt­et sind. Besonders betroffen ist Mais, mehr als 30 Prozent der Pflanzen waren im vergangene­n Jahr befallen. Als Konsequenz müssen die Bauern zusätzlich Insektengi­ft einsetzen, um nicht ihre gesamte Ernte zu verlieren. pwww. organicsbr­asil.org

www.rio2016.org.br

 ?? Fotos: APA, Reuters ?? Die Olympische­n Spiele 2016 sollen nachhaltig sein. Noch macht Brasilien Schlagzeil­en mit genmanipul­iertem Soja und Giftrückst­änden.
Fotos: APA, Reuters Die Olympische­n Spiele 2016 sollen nachhaltig sein. Noch macht Brasilien Schlagzeil­en mit genmanipul­iertem Soja und Giftrückst­änden.

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