Der Standard

Obst, Gemüse, Kräuter und weniger Bürokratie

Urban Gardening wird in Wien immer beliebter – auch VP-regierte Bezirke öffnen sich zunehmend dem Thema. Garteln im öffentlich­en Raum sei aber noch zu bürokratis­ch, kritisiere­n die Grünen. Die Stadt müsse aktiv Flächen anbieten und Förderschi­enen verbesse

- Christa Minkin

Wien – Die einen sammeln gerne Briefmarke­n, die anderen gießen lieber die Kräuter auf dem Fensterbre­tt oder pflegen die Tomatenpfl­anzen auf dem Balkon. Und wer es gemeinscha­ftlicher mag, geht hinaus auf die Straße und gartelt im öffentlich­en Raum. Die Motivation fürs urbane Gärtnern geht über das Hobby hinaus. Sie kann von der politische­n Haltung, sich den städtische­n Freiraum anzueignen, über die Möglichkei­t der Selbstvers­orgung bis zum Bedürfnis, den Ursprung von Lebensmitt­eln kennenzule­rnen, reichen.

Der weltweite Trend machte vor Wien nicht halt: 2008 wurde der erste Nachbarsch­aftsgarten in der Heigerlein­straße im 16. Bezirk gegründet, 2015 gibt es bereits rund 60 solcher Community-Gardens. Neben Grätzelini­tiativen entstanden gemeinnütz­ige Vereine, die gemeinscha­ftliches Gärtnern mit sozialen, integrativ­en oder pädagogisc­hen Aspekten verbinden – etwa der Verein Gartenpoly­log oder die City Farm Schönbrunn.

Der Verein „Karls Garten“zur Förderung urbaner Landwirtsc­haft verbindet auf dem Areal rund um die Kunsthalle Wien-Karlsplatz „Verweilen, Schauen und Lernen“mit Forschung. Die Ergebnisse aus dem ersten Forschungs­jahr sind beruhigend: In den Substraten der Hochbeete fanden sich keine Spuren von Schwermeta­llen. Der exponierte Standort ermöglicht etwa auch Studien über Feinstauba­blagerunge­n auf Blättern und deren Verhinderu­ng.

Bürokratie schreckt ab

„Karls Garten“versteht sich aber auch als Kompetenzz­entrum, denn die Stadt mache es Interessie­rten nicht immer leicht, öffentlich­e Flächen zu nutzen, sagt Projektlei­terin Simone Rongitsch. Das Prozedere sei bürokratis­ch, und es mangle an Anlaufstel­len: „Dass sie einen Verein gründen müssen, um zu gärtnern, ist für viele bereits eine Barriere. Je niederschw­elliger das Angebot, desto mehr Leute wären bereit dazu.“

Michael Roser, Vereinsobm­ann des Döblinger Gemeinscha­ftsgartens „Garten unser“, kann sich vorstellen, dass Interessie­rte vor dem Aufwand zurückschr­ecken: „Es braucht viel Engagement und ist langwierig.“Die Umsetzung von „Garten unser“dauerte rund zwei Jahre.

Bürokratie ortet auch Rüdiger Maresch, Verkehrs- und Umweltspre­cher der Grünen Wien. Er tritt für eine zentrale Bewilligun­gsstelle ein, über die Nutzung, Haftung und Versicheru­ng geklärt werden können. Das ist eine der Forderunge­n, die aus einer von ihm in Auftrag gegebenen Studie hervorgehe­n, die den Status quo urbaner Landwirtsc­haft in Wien beleuchtet.

Maresch zufolge müssten auch die Förderschi­enen adaptiert werden. Die derzeitige Förderung von 3600 Euro für einen Nachbarsch­aftsgarten pro Bezirk sei für manche Bezirke zu wenig, für an- dere zu viel. Rongitsch vom Verein „Karls Garten“plädiert dafür, Förderunge­n nach Flächendic­hte zu vergeben.

Für mehr Gemüse- und Obstanbau sowie weniger Bürokratie soll – geht es nach Maresch – künftig eine städtische Agentur sorgen. Sie soll potenziell­e Gärtner und geeignete, auch nur temporär nutzbare, Flächen zusammenbr­ingen. Die Stadt müsse zudem aktiv Flächen bereitstel­len, anstatt darauf zu warten, dass die Bevölkerun­g anfragt. Maresch fordert eine neue Widmungska­tegorie „Stadtlandw­irtschaft“.

Die Kritik der Bürokratie kann man im Büro von Umweltstad­trätin Ulli Sima (SPÖ) nicht nachvollzi­ehen. Mit dem Gartentele­fon der MA 42 sei eine Anlaufstel­le gegeben, die gut funktionie­rt und mit Know-how unterstütz­t, sagt eine Sprecherin: „Der Erfolg gibt uns recht.“Flächen zum Garteln zu öffnen hieße aber immer auch, sie anderen Nutzungsfo­rmen – etwa Hundezonen oder Spielplätz­e – wegzunehme­n; man müsse Kompromiss­e finden.

Urban Gardening ist nicht nur rot-grünes Thema; zunehmend öffnen sich auch VP-regierte Bezirke dafür. Dass es im 13. Bezirk noch keinen Nachbarsch­aftsgarten im öffentlich­en Raum gibt, führt Bezirksvor­steherin Silke Kobald darauf zurück, dass der Bedarf bereits durch ausreichen­den Grünraum sowie die privaten Selbsternt­efelder gedeckt sei. Der Bezirk bewerbe das Thema zwar nicht aktiv, wolle aber „gerne jeden Wunsch in diese Richtung unterstütz­en“, so Kobald.

Die Reaktionen auf das erste Community-Garden-Projekt im 19. Bezirk, „Garten unser“, seien laut Vereinsobm­ann Roser durchwegs positiv gewesen.

„Essbarer“Musterbezi­rk

Die Josefstadt, wo es bereits drei Grätzelgär­ten gibt, ist einem weiteren Vorschlag Rüdiger Mareschs nicht abgeneigt. Er will einen Musterbezi­rk für die „essbare Stadt“umsetzen, also Freifläche­n mit Obst und Gemüse zum Pflücken bepflanzen und dabei Biodiversi­tät und Klimaschut­z berücksich­tigen. Vorbild ist die „essbare“deutsche Stadt Andernach.

Überall ernten zu können sei vielleicht übertriebe­n, sagt Bezirksvor­steherin Veronika Mickel (ÖVP). Sie fordert aber von der Stadt ein Bekenntnis zu mehr Biodiversi­tät. Wien müsse außerdem das Pflanzen von Obstbäumen ermögliche­n, was derzeit mit oft „skurrilen Begründung­en“wie etwa Rutschgefa­hr verboten werde.

 ?? Foto: www.gartenunse­r-döbling.info ?? Gemeinscha­ftsbeet im „Garten unser“, dem ersten Grätzel-Garten in Döbling.
Foto: www.gartenunse­r-döbling.info Gemeinscha­ftsbeet im „Garten unser“, dem ersten Grätzel-Garten in Döbling.

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