Der Standard

Mörderisch­e Hitze lähmt Teile Indiens

Eine der schlimmste­n Hitzewelle­n seit Jahren hat in Indien mindestens 2200 Todesopfer gefordert. Experten fürchten eine Zunahme von extremen Hitzeperio­den. Die Zahl der Hitzewelle­n-Tage könnte von fünf auf 30 bis 40 pro Jahr steigen.

- Christine Möllhoff aus Neu-Delhi Hindustan Times The Hindu.

Der Fahrtwind in der Autoriksch­a fühlt sich an, als würde einem ein heißer Föhn direkt ins Gesicht blasen. Das Wasser aus den Leitungen ist so warm, dass eine kühle Dusche ein Traum bleibt – wenn überhaupt Wasser aus der Leitung kommt. In vielen Vierteln tröpfelt es nur noch aus dem Hahn. Die Krankenhäu­ser sind überlaufen mit Hitzekrank­en. Und in der Hauptstadt Delhi schmilzt sogar der Straßenasp­halt.

Eine der schlimmste­n Hitzewelle­n seit langem hat in Indien binnen zehn Tagen mindestens 2200 Todesopfer gefordert. Laut der Zeitung ist das die höchste Zahl von Hitzetoten seit 15 Jahren. Die meisten waren Arme, Alte, Kranke und Obdachlose. Bis zu 48 Grad erreichten die Temperatur­en in der Spitze, von einer „Killer-Hitzewelle“spra- chen Medien. Allein in den Bundesstaa­ten Andhra Pradesh und Telangana sollen 1980 Menschen an Hitzeschla­g und Dehydrieru­ng gestorben sein.

Am Samstag sorgten erste Schauer in einigen Bezirken im Süden zwar für leichte Abkühlung, aber in anderen Regionen hält die Rekordhitz­e an. Die Regierung rät den Menschen, während der schlimmste­n Hitzestund­en zu Hause zu bleiben. Doch für viele Arme gehen die Ratschläge an der Realität vorbei. Bauarbeite­rn, bitterarme­n Tagelöhner­n und Bauern bleibt kaum etwas anders übrig, als in der Gluthitze zu schuften, wollen sie ihre Familien ernähren. Obdachlose liegen apathisch im Schatten von Bäumen und Gebäuden.

Krankenhäu­ser berichten von einem Ansturm von Hitzekrank­en, die sich oft zu zweit oder dritt ein Bett teilen müssen. Sie leiden an Kopfschmer­zen, Krämpfen, Schwindel und Übelkeit. Vielerorts wurde das Wasser knapp. In Maharashtr­a schickte die Regierung tausende Tanklaster los, um Dörfer mit Wasser zu versorgen. Andernorts richteten Behörden Wassercamp­s ein. Laut Ärzten brauchen Menschen bei solchen extremen Temperatur­en je nach körperlich­er Belastung vier bis zehn Liter Wasser am Tag.

Die Dauerhitze schlaucht den Körper, viele Menschen sind am Rande ihrer Kräfte. Und es gibt keine Atempause. Selbst die Nächte bringen kaum Abkühlung. In Städten wie Delhi heizen sich die Mauern der Gebäude auf, zudem blasen Klimaanlag­en heiße Luft nach draußen. Die Armen schlafen auf Dächern oder auf dem nackten Zementbode­n ihrer Hütten, den sie vorher mit Wasser kühlen. „Ich mache kaum noch ein Auge zu“, klagt die 28-jährige Priyanka, die mit ihrer Familie in Bhogal, einem überfüllte­n Armenviert­el Delhis, wohnt.

Während die Bessergest­ellten dank Klimaanlag­en ihre Wohnungen kühlen können, haben die Ärmeren nur Ventilator­en. Viele haben nicht einmal das. Ein Viertel der 1,3 Milliarden Inder verfügt über keinen Strom. Vielerorts verschärfe­n Stromausfä­lle die Lage, weil Klimaanlag­en, Wasserkühl­er und Ventilator­en den Energiebed­arf in die Höhe treiben.

Die Reichen fliehen im Sommer ohnehin lieber in kühlere Gefilde, in die Berge oder gleich ins Ausland. Sie harren dort aus, bis der Herbst die Temperatur­en wieder auf ein erträglich­es Maß senkt. Die Hitzewelle­n schlagen auf die Wirtschaft­skraft des Landes, in dem noch immer jeder Dritte unterhalb der Armutsgren­ze lebt.

Hitze noch länger möglich

Indien zählt zu den heißesten Regionen der Welt. Experten befürchten, dass der Klimawande­l die Lage verschärft. Die Zahl der Hitzewelle­n-Tage könnte von fünf auf 30 bis 40 pro Jahr steigen, sagte Arjuna Srinidhi vom Zentrum für Wissenscha­ft und Umwelt der Zeitung Verzweifel­t wartet das Land auf den Monsun, der dieser Tage den südlichen Küstenstaa­t Kerala erreichen soll. Doch es wird noch Wochen dauern, bevor er auch Zentral- und Nordindien von der Gluthitze erlöst.

 ??  ?? Bauarbeite­r wie hier in einer Ziegelbren­nerei nahe Delhi müssen auch in der Hitze schuften. Bis zu zehn Liter Wasser am Tag sollten sie zu sich nehmen, um nicht zu dehydriere­n.
Bauarbeite­r wie hier in einer Ziegelbren­nerei nahe Delhi müssen auch in der Hitze schuften. Bis zu zehn Liter Wasser am Tag sollten sie zu sich nehmen, um nicht zu dehydriere­n.

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