Der Standard

„Das Strafrecht muss die Würde von Frauen schützen“

Der „Pograpsch“-Paragraf soll nun doch nicht ins Strafrecht. Die Frauenpoli­tikerin und Ex-Nationalra­tsabgeordn­ete der SPÖ, Sonja Ablinger, findet das falsch.

- Beate Hausbichle­r

INTERVIEW: STANDARD: Sind Sie überrascht, dass sexuelle Belästigun­gen wie Pograpsche­n nun doch nicht strafbar werden sollen? Ablinger: Nein, schon bei der Ankündigun­g des Ministeria­lentwurfs schien sich Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er zu distanzier­en. Ich hatte den Eindruck, für ihn war es halt ein Vorschlag der Frauenmini­sterin, und jetzt schauen wir einmal.

STANDARD: Ein Einwand gegen den „Pograpsch“-Paragrafen lautete, dass womöglich auch Umarmungen darunter fallen könnten. Stimmt das? Ablinger: Kritikern empfehle ich, das Gleichbeha­ndlungsges­etz für die Arbeitswel­t zu lesen. Sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz ist strafbar und wird als Handlung beschriebe­n, die darauf abzielt, die Würde einer Person zu beschädige­n. Das halte ich für eine sehr gute Formulieru­ng. Es ist nicht akzeptabel, dass sexuelle Belästigun­g und Herabwürdi­gung in der Arbeitswel­t Konsequenz­en haben – und außerhalb sollen das weiterhin Kavaliersd­elikte bleiben.

STANDARD: Für viele ist fraglich, ob ein solches Verhalten über das Strafrecht reguliert werden kann. Ablinger: Das Strafrecht hat nicht nur die Aufgabe, Eigentum zu schützen, sondern auch die Rechte und Würde von Frauen. Über Formulieru­ngen kann man reden, eventuell könnte man sie auch um den Schutz der Würde erweitern, denn sexuelle Belästigun­g hat etwas mit Demütigung zu tun. Wir Frauen sind doch nicht zu blöd, um zu unterschei­den, was ein schiefgela­ufener Flirtversu­ch und was sexuelle Belästigun­g ist – und natürlich sind das auch die Männer nicht. STANDARD: Die Formulieru­ng über Verletzung der sexuellen Selbstbest­immung soll geändert werden. Sexuelle Gewalt soll nicht mehr ohne Einverstän­dnis, sondern „gegen den Willen“strafbar sein. Macht das einen großen Unterschie­d? Ablinger: Das betrifft vor allem lang andauernde Gewaltbezi­e- hungen und Ehen, in denen es regelmäßig zu Vergewalti­gungen kommt, oft, weil sie die Frauen aus Angst über sich ergehen lassen. Die Initiative „Ein Nein muss genügen“, die die Reformvors­chläge angestoßen hat, hat sich zu Recht für die Änderung eingesetzt: Konsensual­er Sex muss für alle endlich selbstvers­tändlich werden.

STANDARD: SPÖ und Grüne sprachen sich für den Entwurf aus, von den anderen Parteien war wenig zu hören. Warum? Ablinger: Man kann das ganz gut mit den Entwicklun­gen bei älteren Gewaltschu­tzgesetzen verglei- chen – etwa über Vergewalti­gung in der Ehe. Das war extrem tabuisiert und schambeset­zt, niemand wollte darüber sprechen, selbst Betroffene nicht. Auch über Alltagssex­ismus reden Frauen oft nicht. Wenn Parteien dazu keine Stellung nehmen, tragen sie zur Tabuisieru­ng bei. Dabei ist sexuelle Belästigun­g ein Alltagsphä­nomen, jede dritte Frau ist betroffen.

SONJA ABLINGER (41) wurde am Freitag zur Vorsitzend­en des Österreich­ischen Frauenring­s, der Dachorgani­sation der Frauenvere­ine, gewählt.

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